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500. Geburtstag von Martin Luther

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Am 10. November ist der Geburtstag des Reformators. Viele seiber Anliegen brachte das Zweite Vaticanum auch für Katholiken zur Geltung.

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Am 10. November ist der Geburtstag des Reformators. Viele seiber Anliegen brachte das Zweite Vaticanum auch für Katholiken zur Geltung.

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Martin Luther ist ein, ja der Johannes der Täufer der Neuzeit. Seine Schüler nannten ihn oft den „dritten Elias“. Die Funktion des Täufers und damit Luthers ist das Hinweisen auf Christus. Und für Johannes wie für Luther gilt in bezug auf Christus: „Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.“ (Joh. 3,30) Je tiefer unser Luthertum reicht, desto entbehrlicher wird der Mensch Martin Luther — auch und gerade im Luther-Jahr. Denn die Botschaft Luthers läßt sich mit dem einen Wort sagen, mit dem in der Regel Luthers Schriften begannen: Jesus.

Die Christenheit war seit den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz von einer tödlichen Gefahr bedroht, nämlich zu sagen oder doch zu denken: Christus und (Christus und der Kaiser, Christus und Abraham, Christus und Maria, Christus und Mohammed ...). Es ist die - unverzichtbare - Botschaft Luthers, daß es heißen muß: Christus allein.

Es ist die unverzichtbare Botschaft des Bibelprofessors Luther, die Christenheit zur Sache zu rufen, zu ihrer ureigensten Sache, zur Wahrheit in Christus. Wo es gilt, und seit Luther gelten muß: „allein durch Christus“, muß es auch heißen „allein durch die Gnade“.

Wer allein auf Christus sehen will, kann nicht auf seine Werke — in unserem Modejargon heißt das: auf seine Selbstverwirklichung schauen. Darum sieht man so gerne weg, auf eigene Wünsche, fremde Autoritäten, eine der lästigen Verantwortlichkeit entbindende Ideologie. Luther ruft, wenn er zur Sache, zu Christus ruft, zur Verantwortung.

Und Verantwortung ist für die Christenheit immer nur Antwort auf Gottes Wort, auf nichts anderes. So ist die Botschaft Luthers, seine unverzichtbare Botschaft, auch die: „allein Gottes Wort“...

Daß „glauben“ nach biblischem Wortlaut nicht „etwas für wahr halten“ heißt, sondern „vertrauen“, das machte der Bibelprofessor Luther den Christen durch seine Bibelübersetzung klar. So kommt es zur vierten Allein- Formulierung Luthers „allein durch den Glauben“.

Dem Glauben erschließt sich Gottes Wort im Alten und Neuen Testament immer klarer, auch wenn er stets (dankbarer) Bettler bleibt. Das Wort Gottes erweist sich dabei nicht als eine Mischung aus Zitatenschatz und Selbstbedienungsladen, aus dem man einmal etwas zur Disziplinierung der Untertanen oder zur Hebung der Arbeitsmoral, ein andermal etwas zur frommen Verinnerlichung heraussuchen kann.

Gottes Wort legt sich selbst aus und bleibt verbindlich — für alle Christen in seiner Gesamtheit!

Es ist nicht für zwei Klassen in der Christenheit, für Unvollkommene und für Vollkommene, für Laien und Priester, für das Kirchenvolk und die „Religiösen“, in verschiedener Gewichtung gesprochen und geschrieben. Es meint jeden ganz, der „mit Ernst Christ sein“ will. Es gibt nicht zwei Klassen von Christen ... ,

Christsein ist für Luther immer ein Christwerden, wie Menschsein immer Menschlichwerden heißt. Gefordert ist — biblisch gesprochen — „Umkehr, Sinnesänderung, Buße“. Die Reformation fand das unerträgliche Ärgernis der Kirchenspaltung vor und suchte es durch das Insistieren auf dem Worte Gottes zu überwinden. Römische Christen, orthodoxe Christen, Utraquisten, „Lutherrose“: Seit 1516 Siegel und „Merkzeichen seiner Theologie“ Böhmische und Mährische Brüder, Waldenser und die Christen der altorientalischen Kirchen sollten durch eine „Rückkehr zum Leben“, durch eine Hinwendung zu Christus zueinander finden, sich nicht länger durch „Menschensatzungen“ den Weg zueinander verbauen.

Umkehr, Sinnesänderung, Buße — dabei geht es nicht um Einzelaktionen, zeitlich und psychisch wohldosiert, sondern um eine lebenslange dynamische Grundhaltung. Denn wenn unser Herr und Heiland spricht „Tut Buße“, will er ja, daß das ganze Leben des Christen eine permanente Umkehr, Buße, Sinnesänderung sei.

Mit dieser ersten von 95 an den zuständigen Bischof und Erzbischof an einem 31. Oktober versandten Thesen begann unerwartet, ungeplant, unglaublicherweise eine der großen Erneuerungsbewegungen der Christenheit, die das Ärgernis der vorhandenen Kirchenspaltung überwinden wollte.

Sie konnte unerhört positive Einzeländerungen bewirken. Aber im 16. Jahrhundert war es ihr nicht gegeben, alle Christen zur vollen Erkenntnis der evangelischen Wahrheit zu führen. Wir warten darauf noch immer — getrost und bestürzt, geduldig und ungeduldig zugleich.

Auszug aus dem Referat „Martin Luther - der Prophet" gehalten am 31. Oktober beim nö. Reformationsfest auf der Schallaburg. Der Autor ist Professor für Kirchengeschichte an der evangelisch-theologischen Fakultät in Wien.

Wenn man^sich als katholischer Theologe unpolemisch, einfach mit dem Willen, der Wahrheit Raum zu geben, mit Luthers Person und Werk befaßt, gilt dies einer Randgruppe von Katholiken auch heute als schwerer kirchlicher Makel, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Doch die Mehrzahl der Katholiken — keineswegs nur der kirchlich entfremdeten — scheint bereit, sich einer objektiven Darstellung und Interpretation zu öffnen.

Die sich immer mehr konsolidierenden Ergebnisse der neueren katholischen Lutherforschung bieten hierfür die Grundlage; sie sind eine Anfrage an die katholische Kirche, aber auch an jene, die den Reformator seit je als Führer im Glauben angenommen haben.

Das Konzil von Trient hat es vermieden, Luther direkt zu nennen, hat aber lutherische Positionen und Sätze verurteilt. Auch heute geht es nicht darum, Luther von aller Schuld und aller theologischen Fehlaussage freizusprechen.

Wenn man Luthers Einzelaussagen, die oft in polemischer Situation entstanden sind, ins Auge faßt und besonders wenn man sie nicht in Spannungseinheit mit an deren Aussagen Luthers interpretiert, wird man aus katholischer Sicht sagen müssen, daß sich Luther in manchem nicht nur im Ton, sondern auch in der Sache vergriffen hat. Aber das ist nicht mehr das erste, was katholischer- seits über Luther zu sagen ist.

Zunächst ist Luthers Ringen um die Wahrheit des Evangeliums zu würdigen, dessen Herold er gegenüber vielen kirchlichen und theologischen Verdunkelungen sein wollte und auch war. So heißt es z. B. in dem Wort der Gemeinsamen Römisch-katholischen/ Evangelisch-lutherischen Kommission (die katholischerseits offiziell vom Sekretariat für die Einheit der Christen beschickt ist) anläßlich des 500. Geburtstages Martin Luthers: „Man beginnt ihn gemeinsam als Zeugen des Evangeliums, Lehrer im Glauben und Rufer zur geistlichen Erneuerung zu würdigen“ (Nr. 4).

Was den Wandel des katholischen Lutherbildes betrifft, wären aus österreichischer Sicht neben dem als Abt von St. Peter in Salzburg verstorbenen Förderer und Freund Luthers, Johann von Staupitz, aus dem vorigen Jahrhundert z. B. Clemens Maria Hofbauer und Bischof Strossmayer zu erwähnen, doch mehr im Sinne von Ausnahmen, die dem Schema gegenseitiger Verteufelung nicht erlagen.

Von Clemens M. Hofbauer ist das Wort überliefert: „Nicht durch Ketzer und Philosophen, sondern durch Menschen, die wirklich nach einer Religion für das Herz verlangten, ist die Reformation verbreitet und erhalten.“

Zu einem wirklichen Wandel vermag aber die katholische Lutherforschung der letzten Jahrzehnte führen, wobei der Reformationshistoriker Joseph Lortz als wichtigste bahnbrechende Gestalt gilt. Lortz’s These ist, daß Luther einen Katholizismus niedergerungen hat, der selbst nicht voll katholisch war; und weiters (nach einer Formulierung des Lortz-Schülers und Lutherforschers Peter Manns), „daß der .katholische“ im .reformatori- schen“ Luther erhalten bleibt und daß beide sich nicht trennen, auch wenn ihre problematische Einheit sich bis heute einer gültigen Bestimmung entzieht“ (in: „Lutherforschung heute“, Wiesbaden 1967, S. 25).

Die Forschungen von Peter Manns, Otto Hermann Pesch und anderer haben ihrerseits noch deutlicher gemacht,

• daß Luthers katholisches Erbe breiter war, als es katholische und evangelische Christen oft annehmen:

• daß sein nicht in scholastischen, sondern in existentiellen und biblischen Formulierungen vęrgetragener Ansatz bzw. seine Rechtfertigungslehre, die für Luther ja der Artikel war, mit dem die Kirche steht und fällt, nicht theologisch zwingend ins Unkatholische führen mußte;

• daß Aussagen des späten Luther, alles hätte anders verlaufen können, wenn nicht sofort er, sondern Tetzel verurteilt worden wäre, auch theologisch ernst zu nehmen sind.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat wesentliche Anliegen Luthers als katholische Anliegen zur Geltung gebracht (zentrale Stellung der Heilsmittlerschaft Christi, Bedeutung der Heiligen Schrift für Leben und Lehre der Kirche, geistliche Dimension der Kirche, Priestertum aller Getauften und Berufung aller Christen zur Vollkommenheit, Erneuerungsbedürftigkeit und dienende Gestalt der Kirche und des Amtes u. a.). Es tat dies ohne Verwischung des Katholischen.

Wenn der evangelische Theologe Gottfried Maron in einer kritischen Analyse des katholischen Lutherbildes der Gegenwart zu dem Ergebnis kommt, daß wegen des hohen Stellenwertes der Kirche als grundlegende sakramentale Wirklichkeit im konziliaren und katholischen Denken Luther „in dem entscheidenden Punkt sein Konzil noch nicht gefunden“ habe (vgl. „Das katholische Lutherbild der Gegenwart“, Göttingen 1982, S. 61), so stellt sich von der katholischen Lutherforschung her die Frage, ob Luther hier nicht zu stark von einer bestimmten verengenden Interpretation und Konfessionalität her beurteilt ist, statt diese von Luther her, jedenfalls von dem Luther her, bei dem sich Reformatorisch und Katholisch nicht so einfach gegenüberstellen läßt.

Und dieser Luther ist zur Überraschung vieler auf beiden Seiten durch zahlreiche systematisch relevante Fakten zu belegen.

In der heutigen Situation der Ökumene ist Luther demnach eine Anfrage sowohl an die römisch-katholische wie an die evangelisch-lutherischen Kirchen.

Der Autor ist Professor für ökumenische Theologie und Fundamentaltheologie an der Universität Salzburg.

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