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Beirut wird langsam wieder das „Paris des Nahen Ostens“

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Vorbei die Zeiten, in denen mit der MEA ganze vier Passagiere von Kairo nach Beirut flogen und alle, in die Erste Klasse verfrachtet, mit Kaviar und Sekt bewirtet wurden. Seit März ist die Kursmaschine - trotz neuer Unrast im Südlibanon - täglich bis auf den letzten Platz besetzt. Heimkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge, Transitpassagiere und Geschäftsleute mit projektprallen Diplomatentaschen.

Die syrischen Müitärkontrollen an der mit Bombentrichtern übersäten Avenue vom Beiruter Flughafen stadteinwärts haben alle Grimmigkeit eingebüßt. Sie lassen keine Kofferräume mehr öffnen. Hinter dem Stadion hat sich ein neues Büro für die „Auferstehung der palästinensischen Flüchtlingslager“ etabliert. Auf der Hamra, der „Bahnhofstraße“ des islamischen Beirut-West, gibt es in den wiedereröffheten Boutiquen bereits die Frühjahrscreationen aus Paris und London zu kaufen. Langsam wird wenigstens dieser Teü der libanesischen Hauptstadt wieder der alte. Seine Nachkriegsblüte erhält durch die Übersiedlung vieler Auslandsbanken und Firmenvertretungen aus der völlig zerstörten und ausgebrannten City weiteren Aufschwung. Knapp sind noch immer die Lebensmittel und vor allem Benzin, um das die mit ihren Straßenkreuzern aus Damaskus oder Amman heimgekehrten Bürger von Beirut an den Tankstellen einander erbitterte Kämpfe liefern.

Das Beiruter Westend ist in den letzten vier Wochen fast schon wieder elegant geworden. Nachgelassen hat hingegen die öffentliche Sicherheit, über die. bislang von den sonst so unbeliebten Syrern mit Strenge und Umsicht gewacht worden ist. Noch vor einem Monat konnte man zu jeder Nachtzeit in dem finsteren und menschenleeren Beirut völlig ungeschoren umherstrolchen. Nur der Ausweis mußte in Ordnung sein. Da lauerten weder Räuber noch Diebe hinter der nächsten Ecke. Nicht einmal von holderen Wesen eines früher gerade in Beirut stark verbreiteten Gewerbes wurde man angesprochen.

Heute werden die Beiruter West- und Südviertel, die im Bürgerkrieg ziemlich glimpflich weggekommen sind, von einer anderen Landplage heimgesucht: von sunnitischen, schii- tischen, griechisch-orthodoxen und palästinensischen Flüchtlingen aus dem Süden, die sich mit Duldung der Besatzungsmacht in leerstehende Wohnungen eingenistet haben. Sie organisieren bandenweise nächtliche Streifzüge, denen sowohl die Brieftaschen von Passanten wie Naturalien aus den Geschäften der Nachbarschaft zum Opfer fallen. Kein Wunder, daß die Bewohner der Hamra bei ihren Reparaturbemühungen der Anbringung von Fenstergittern vor der Ein- glasüng neuer Fensterscheiben den Vorrang geben. Sogar die kleinen Vorgärten werden mit starken Stahlnetzen überdacht, um Eindringlinge auch von hier abzuhalten.

Im alten Beiruter Geschäfts- und Bankviertel, das die Ruinen des Suk Sursock von der christlich-maroniti- schen Hochburg Aschrafie trennen, herrscht von Wiederaufbau noch immer keine Spur. Nur die Hauptpost hat ihren Betrieb aufgenommen. Ihre Telephonistinnen, Telexisten und Briefpostbearbeiter leisten unter Trümmern schon wieder viel bessere und flinkere Arbeit als in jeder anderen arabischen Hauptstadt

Von einem Wiederaufbau kann zwischen dem Hafen und dem alten os- manischen Saray nicht die Rede sein. Es muß alles abgerissen Werden und als völlig neue Beiruter City Wiedererstehen. Dafür fehlen der Regierung Sarkis immer noch die Mittel. Die arabischen Unterstützungszahlungen gehen fast zur Gänze in „Besatzungskosten“ auf, während der neue Hilfsplan der Weltemährungsorganisation (tAO) einer wieder gesicherten Lebensmittelversorgung dienen wird. Der Beiruter Hafen ist längst wieder in Betrieb, wird aber noch kaum ausgelastet. Und in den Hafenkneipen tummeln sich nicht Matrosen, sondern Syrer mit ihren „Besatzungsmädchen“.

Im Hügelland hinter den Kasernen liegt der Trümmerhaufen der einstigen palästinensischen Lagerfestung Teil al-Zatar. Dort ist inzwischen alles planiert worden, was Belagerung und Erstürmung dieses „Thymian-Hügels“ im vergangenen August an Mauerresten und anderen grausigeren Überresten hinterlassen hatten.

Uber das Massengrab von Teil al-Zatar, das immer an eine der dunkelsten Stunden des libanesischen Bürgerkrieges erinnern wird, erheben sich die unerhört rasch aufgebauten Werks- Einlagen der Beiruter Industriezone Mkalles. Hier sind hauptsächlich maronitische, armenische und christlich-syrische Unternehmer dabei, die Produktion unter primitivsten Verhältnissen wieder anzukurbeln. Das Aluminiumwerk hat bereits erste Lieferungen nach den Golfstaaten getätigt, in der benachbarten Möbelfabrik herrscht Hochbetrieb, um der enormen Nachfrage für Geschäftsausstattungen und Büromöbel nachkommen zu können. Nur dsis beim Kampf um Teil al-Zatar als Bunker benützte und dann mit Brandbomben ausgeräucherte Philips-Werk steht wie ein düsteres Mahnmal über dem Trümmerfeld zu seinen Füßen.

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