6844540-1976_12_01.jpg
Digital In Arbeit

Der Sieger heißt Genscher

19451960198020002020

Der Polit-Thriller, der in Bonn jetzt unter dem Titel „Polen-Vereinbarungen“ lief, endete mit einem den dramatischen Vorspielen entsprechend überraschenden Ergebnis: Alle Bundesländer, auch sämtliche von den Unionspärteien regierten, gaben ihre Zustimmung im Bundesrat. Das von CDU/CSU zunächst heftig attackierte Vertragswert fand nach einem tagelang sich zuspitzenden Kampf innerhalb der Unionsparteien wie auch zwischen diesen und den Vertretern der sozialliberalen Koalition doch die nicht für möglich gehaltene allgemeine Unterstützung.

19451960198020002020

Der Polit-Thriller, der in Bonn jetzt unter dem Titel „Polen-Vereinbarungen“ lief, endete mit einem den dramatischen Vorspielen entsprechend überraschenden Ergebnis: Alle Bundesländer, auch sämtliche von den Unionspärteien regierten, gaben ihre Zustimmung im Bundesrat. Das von CDU/CSU zunächst heftig attackierte Vertragswert fand nach einem tagelang sich zuspitzenden Kampf innerhalb der Unionsparteien wie auch zwischen diesen und den Vertretern der sozialliberalen Koalition doch die nicht für möglich gehaltene allgemeine Unterstützung.

Werbung
Werbung
Werbung

Die scheinbar so friedliche Szene, in der die Ministerpräsidenten der Bundesländer im Bundesrat der Reihe nach das „Ja“ zu den Polen-Vereinbarungen sprachen, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich mit der Auseinandersetzung um diese Vereinbarung erhebliche politische Veränderungen in der Bundesrepublik anbahnen. Denn wenn auch die Polen-Vereinbarungen als gemeinsames Werk der sozialliberalen Koalition gelten müssen, so eröffnen gerade sie den Weg für eine Aufweichung der SPD/FDP-Koalition.

Die Vereinbarungen waren zunächst ein Werk von Bundeskanzler Helmut Schmidt, der sie am Rande der Helsinki-Konferenz aushandelte. Dann aber wurden sie immer mehr zur Sache von Außenminister Genscher, der in der Bundesrepublik wie in Polen zum entschiedensten Kämpfer für das Zustandekommen dieser Vereinbarungen wurde. Schmidt schleuderte der Opposition sein kompromißloses „An den Vereinbarungen gibt es nichts zu ändern“ entgegen.

Die Haltung Schmidts schien so lange vertretbar zu sein, so lange in Niedersachsen eine SPD/FDP-Koalition bestand. Als diese jedoch zerbrach und sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat deutlich zugunsten der unionsregierten Länder verschoben, wurde Schmidts Härte zur rein rhetorischen Deklamation, mit der er, ebenso wie die Gegner der Polen-Vereinbarungen in den Unionsparteien, das Zustandekommen gefährdete. Genscher dagegen verlegte sich auf das Verhandeln mit der Opposition und bemühte sich intensiv, wenigstens die Minderheits-regierung von Niedersachsen auf seine Seite zu ziehen.

Er durfte davon ausgehen, daß die CDU in Niedersachsen die FDP, die als möglicher Koalitionspartner heftig umworben wird, nicht brüskieren

und deren Außenminister und Parteivorsitzenden keine Niederlage bereiten will. Die CDU, die ihrerseits seit dem Auseinanderbrechen der SPD/FDP-Koalition in Hannover erkannt hat, daß die Chancen für eine Annäherung an die FDP überraschend gestiegen sind, zeigte sich ebenfalls verhandlungsbereit. Aus der ursprünglichen Forderung nach Neuverhandlungen mit Polen wurde das Verlangen, die Ausreisemöglichkeit für alle ausreisewilligen Deutschen in Polen müsse gewährleistet sein.

In Tag und Nacht dauernden Verhandlungen mit Warschau erreichte Genscher eine solche Präzisierung des Abkommens. Dabei schien zuletzt alles an dem Wörtchen „können“ zu hängen. Erst als dieses in der Zusatzerklärung gestrichen wurde und es nun dezidiert hieß, auch nach Ablauf von vier Jahren würden Ausreiseanträge von Deutschen in Polen behandelt werden, waren die Unionsparteien zustimmungsbereit.

Überraschend aber trug nun die Forderung des CDU-Kanzlerkandidaten Kohl Früchte, daß die unionsregierten Länder „Geschlossenheit“ zu zeigen hätten. Bis kurz vor der Abstimmung wurde allgemein angenommen, daß diese Geschlossenheit angesichts mancher scharfer Töne von Baden-Württembergs Filbinger und Schleswig-Holsteins Stoltenberg nur ein gemeinsames „Nein“ sein könne. Doch dann wurde daraus ein einheitliches „Ja“.

Damit war klar, daß sich Kohl durchgesetzt hatte. Er hatte sich auch gegen Strauß behauptet, der als einer der ersten das geschlossene „Nein“ der Union verlangt hatte. Prompt kam es auch noch wegen des durch Ministerpräsident Goppel abgegebenen „Ja“ zu einer Kontroverse mit der CSU, die dies nicht billigte. Durchgesetzt hat sich in der Union der eher liberale Flügel, der

nichts von der Straußschen Oppositionspolitik der Härte hält. Der Wechsel Walter Leisler Kieps von Bonn nach Niedersachsen, wo er Finanzminister wurde, stellt sich jetzt als klarer Erfolg für den durch Kiep repräsentierten liberalen Flügel dar, während zunächst darin noch etwas Resignation Kieps gesehen wurde. Denn Niedersachsen war es, das wesentlich dazu beitrug, daß die Zusatzerklärungen zu den Polen-Vereinbarungen zustandekamen und damit ein Ja der unionsregierten Länder überhaupt möglich wurde. Kohl hat erreicht, daß die Union geschlossen aufgetreten ist und doch nicht mit dem Makel in den Bundestagswahlkampf ziehen muß, die Aussöhnung mit Polen verhindert zu haben.

Auf der Regierungsseite ist Genscher der eindeutige Gewinner. Seine Politik der Flexibilität gegenüber der Union hat zum Erfolg geführt. Damit hat er sich nicht nur innerhalb der Regierung profiliert, sondern auch eine erste Brücke zur Union geschlagen. Die Artigkeiten, die sich Genscher und Kohl im Bundestag sagten, sprachen bereits eine deutliche Sprache. In Hannover kann nun ziemlich sicher mit einer Duldung der CDU-Minderheitsregierung durch die FDP gerechnet werden und im Saarland könnte aus der bisherigen FDP-Duldung eine Koalition mit der CDU werden.

Die politischen Fronten sind mit einem Schlag in Bewegung geraten, und dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, in dem sich die SPD anschickte, ihrem sichersten Sieg in einer Bundestagswahl, und die Union einem ähnlich sicheren Debakel entgegenzugehen. Seit der Wachablöse in Hannover ist in der Bundesrepublik aber alles nicht mehr so, wie es vorher war. Die Abstimmung im Bundesrat über die Polen-Vereinbarungen zeigte dies. Weitere Ereignisse ähnlicher Art könnten folgen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung