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Die Blutorgie des Untergangs

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Nach dem 20. Juli 1944 offenbarten sich die Charaktere: die deutschen Generäle Rundstedt. Guderian, Manstein und Bock wollten nie etwas mit den anderen zu tun gehabt haben und halfen bei deren Verfolgung mit. Witzleben und die Seinen wurden gehenkt, Rommel und Kluge mußten Selbstmord begehen, Fromm wurde, nachdem er bei einem neuerlichen Kurswechsel die Gruppe des Olbricht hatte füsilieren lassen, seinerseits von den Nazis verurteilt und erschossen. Stülpnagel endete, durch einen Selbstmordversuch schwer verletzt am Galgen. Falkenhausen kam ins KZ und überlebte, Canaris wurde im KZ umgebracht. Hunderte von Offizieren, darunter die später in der NATO tätigen Speidel und Heusinger, wurden in Untersuchung gezogen, konnten aber alles abstreiten. Hunderte wurden jedoch verurteilt, gehenkt, erschossen, zuni Selbstmord getrieben oder eingesperrt. Von den vielen Bluturteilen und KZ-Morden auf der zivilen Seite ganz zu schweigen.

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Nach dem 20. Juli 1944 offenbarten sich die Charaktere: die deutschen Generäle Rundstedt. Guderian, Manstein und Bock wollten nie etwas mit den anderen zu tun gehabt haben und halfen bei deren Verfolgung mit. Witzleben und die Seinen wurden gehenkt, Rommel und Kluge mußten Selbstmord begehen, Fromm wurde, nachdem er bei einem neuerlichen Kurswechsel die Gruppe des Olbricht hatte füsilieren lassen, seinerseits von den Nazis verurteilt und erschossen. Stülpnagel endete, durch einen Selbstmordversuch schwer verletzt am Galgen. Falkenhausen kam ins KZ und überlebte, Canaris wurde im KZ umgebracht. Hunderte von Offizieren, darunter die später in der NATO tätigen Speidel und Heusinger, wurden in Untersuchung gezogen, konnten aber alles abstreiten. Hunderte wurden jedoch verurteilt, gehenkt, erschossen, zuni Selbstmord getrieben oder eingesperrt. Von den vielen Bluturteilen und KZ-Morden auf der zivilen Seite ganz zu schweigen.

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Aus Wien mußte ein Oberst in den qualvollen Tod durch den KZ-Henker gehen, ein anderer Oberst, überstand das Konzentrationslager. Den übrigen gelang es, sich herauszureden und bis zum zweiten Wiener Offizierskomplott dim April 1945 durchzuhalten.

Die Verhaftungswelle unter den Zivilisten überstieg in dieser Stadt den ,,großdeutschen“ Durchschnitt, da man möglichst alle österreichischen Widerstandsgruppen und die Politiker der Ersten Republik hinter Schloß und Riegel bringen wollte, obwohl sie mit den Zielsetzungen des Staatsreiches in Berlin nichts Näheres zu tun hätten. Zwei Tage nach der Niederschlagung des Put-sches marschieren die Wiener Betriebe und Ortsgruppen mit Fahnen und Transparenten auf dem Schwarzenbergplatz auf. Tausende müssen vor dem stellvertretenden Gauleiter Schari'tzer, der am 20. Juli nachmittags im Wehrkreiskommando am Stubenring verhaftet worden war, für die Vernichtung der Verschwörer demonstrieren und für die „Errettung des Führers durch die Vorsehung“ danken. Verwundete und Frauen, die um Gefallene Trauer tragen, sind unter den ärgsten Schreiern.

Himmler übernahm den Oberbefehl des Ersatzheeres, Göring führte den Deutschen Gruß an Stelle des Salutierens ein. Die großdeutsche Wehrmacht war zur Parteitruppe geworden und hatte damit den letzten Rest von Bindungen an Werte von früher eingebüßt. Der Fanatismus einer Parteiformation sollte nun die Niederlagen der mit Verrätern durchsetzten Traditionsarmee wettmaohen. Wir kennen den Ausgang dieses Versuches, der entgegen den alliierten Erwartungen immerhin noch ein Dreivierteljahr anhielt, und können daher noch einmal zur Vorbereitung des Attentates und des Staatsstreiches selbst zurückkehren. Hiebei fesseln die glänzenden historischen Erscheinungen Rommels und Staufenbergs unseren Blick.

Generalfeldmarschall Erwin Rommel war früher durchaus nationalsozialistisch eingestellt gewesen, wie aus den in der Wiener Neustädter Militärakademie befindlichen Dokumenten hervorgeht. Rommel hatte einige Zeit dieses Institut geleitet. Gegen Ende seines Afrikafeldzuges, als er auf den Jagdflugplätzen mit-

ansehen mußte, wie die deutschen Maschinen infolge der Benzinknappheit nicht mehr entkommen konnten, machte er zu seiner Umgebung die ersten Bemerkungen über die Notwendigkeit einer Verständigung mit den Alliierten. Als Befehlshaber einer deutschen Heeresgruppe in Italien trat er für die sofortige Rücknahme der Verteidigungslinien bis in den Raum von Florenz ein, während Feldmarschall Kesselring noch in Süditalien standhalten wollte. Hitler gab Kesselring den Vorzug und überließ ihm den Oberbefehl auf diesem Kriegsschauplatz. Rommel, dessen Beliebtheit in Deutschland das Prestige aller anderen Heerführer weit übertraf, ging bald darauf nach Frankreich, um unter der Leitung

des alten Marschalls Rundstedt die Vorkehrungen zur Abwehr der Invasion zu treffen. Demgemäß wurde der Atlantikwall mit seinen „Rommelspargeln“, Hindernisse für Landetruppen, errichtet. Rommel vertrat im Gegensatz zu Rundstedt die These, man müsse den Feind unmittelbar bei der Landung schlagen, und betrieb daher den Ausbau des Atlantikwalles derart, daß alliierte Fachleute später erklärten, die Invasion sei gerade noch im letzten Moment erfolgt. Einige Wochen später wären die deutschen Befestigungen weitgehend uneinnehmbar gewesen.

Aber Rommel war bezüglich der kommenden Ereignisse pessimistisch eingestellt, wenngleich er in seinen offiziellen Reden das Gegenteil sagte. Er hoffte im stillen auf die Möglichkeit eines Abkommens mit den Westmächten gegen die Russen. Speidel und Stülpnagel beeinflußten ihn im Sinne des Komplotts, aus Deutschland langten zahlreiche Hilferufe zwecks Beendigung des Ringens und damit des unerträglichen Luftkrieges ein. So kam es noch vor der alliierten Landung in der Normandie zu technischen Vereinibarungen zwischen Rommel und den Verschwörern, die ihm den Oberbefehl über die deutschen Feldarmeen nach dem Staatsstreich anböten. Rommel lehnte, zum Unterschied von Beck, Olbricht und Stauffenberg, die Tötung Hitlers ab und wünschte statt dessen seine Ge-

fangennahme, wenn der Führer allen Forderungen auf Herbeiführung des Kriegsendes gegenüber unzugänglich bleiben sollte. Mit diesen Überlegungen zeigte Rommel wenig Sinn für die Wirklichkeit, bei der Vorbereitung des geplanten Staatsstreiches ging er jedoch konsequent mit. Ein Hauptverschwörer, der Generalquartiermeister Wagner, sandte deswegen seinen Vertrauten, den Obersten Finokh, als Oberquartiermeister zu Rommel, als im Osten am 25. Juni 1944 der russische Durchbruch entlang der Rollbahn Smolensk-Minsk Wirklichkeit geworden war. Gleichzeitig forderten im Westen mehrere Truppenführer, darunter sogar Sepp Dietrich und andere SS-Kommandeure, von Rommel den Rückzug oder die Beendigung der Feindseligkeiten. Da gelang es ihm, gemeinsam mit Rundstedt eine Vorsprache auf dem Obersalzberg zu erzwingen. Doch das Gespräch mit dem Diktator verlief ergebnislos, da Hitler an seine Wunderwaffen glaubte. Einmal mißtrauisch geworden, schlug er gleich zurück, enthob Rundstedt des Kommandos und überging bei anderen Umbesetzun-gen im Westen die Person Rommels. Feldmarschall Kluge übernahm den Oberbefehl in Frankreich, stritt sich zunächst mit Rommel, wurde jedoch bald von diesem bekehrt. Sogar Stauffenberg sagte sich durch hervorragende Mittelsmänner zum Besuch an. Während jeder in Umsturzpläne vertieft war, winkte Anfang

Juli das Schicksal. Di Alliierten verlangten auf dem Funkwege, zwecks Austausch gewisser Kriegsgefangener, an einer Frontstelle kurze Waffenruhe. Jetzt hätte man verhandeln oder die Kapitulation des Westheeres anbieten müssen. Der Augenblick verstrich ungenützt und Rommel schickte am 15. Juli seine berühmt gewordene Aufforderung an Hitler, aus der sich abzeichnenden Katastrophe endlich doch die Konsequenzen zu ziehen. Zwei Tage später erwischten alliierte Tiefflieger den Feldmarschau bei einer Inspektionsfahrt und verwundeten ihn so schwer, daß er für die bevorstehende Aktion ausfiel.

Stauffenberg und das Ende

Claus Schenk Graf von Stauffenberg war 1938 in den Generalstab aufgenommen worden und galt dort als militärische Leuchte. Kurze Zeit später war er bereits mit allen Verschwörern bekannt und eines Sinnes. Aber noch versuchten andere, an Hitler heranzukommen, um ihn zu beseitigen. Stauffenberg stellte währenddessen deutschfreundliche russische Hilfstruppen auf und ging dann nach Tunis, wo er schwer verwundet wurde. Anschließend beschäftigte er sich im Ersatzheer mit dem Operationsplan einer Besetzung Berlins und vollendete die Anweisungen für „Walküre“. Stauffenberg vertrug sich mit Goerdeler und manchen anderen Mitverschworenen sehr schlecht, wozu politische Differenzen beitrugen, da

der Graf auf stärkere Kontakte zu den Kommunisten drängte und sich in viele Angelegenheiten der zivilen Schattenregierung einmischte. Ende

1943 entschloß sich Stauffenberg, die Attentatsangelegenheit selbst in seine bereits stark verkrüppelten Hände zu nehmen. Die Zeit drängte, da die Entdeckungsgefahr, insbesondere nach dem Auffliegen der berühmten Teegesellschaft bei Solf, sehr groß geworden war. Anfang Juni 1944 wurde Stauffenberg zum Oberst befördert und zum Stabschef des Befehlshabers des Ersa'tzheeres ernannt. Diese Punktion sollte ihn wiederholt mit Hitler persönlich zusammenfahren. Vier Wochen spater wurden die Absichten Stauffenba t3 zweimal durchkreuzt, denn die Fühlungnahme mit den Kommunisten erwies sich als Falle der GESTAPO und die Alliierten landeten an der normannischen Küste. Damit war die Verschwörung in höchste Zeitnot geraten, weil Massenverhaftungen unmittelbar gewärtigt werden mußten und der Wert einer Umsturzregierung für die Westmächte dauernd absank. Am 11. Juli flog Stauffenberg mit einer Bombe zu Hitler auf den Obersalzberg. Auch hier lächelte das Schicksal, aber er bemerkte es nicht. Er sah nur, daß Göring und Himmler nicht anwesend waren und verschob nach telefonischer Rücksprache mit Berlin das Attentat. Drei Tage darauf war Hitle^ bereits in seinem ostpreußischen Hauptquartier und Stauffenberg kam abermals mit seiner Bombe. Wieder fehlte Göring und wieder wurde mit Berlin zwecks neuer Instruktionen telephoniert. Diesmal erklärten die Verschwörer, Hitler solle allein getötet werden. Doch als Stauffenberg zur Lagebesprechung zurückkam, verließ der Führer gerade das Zimmer. So nahte der 20. Juli heran, an dem Stauffenberg bei Hitler über den Zustand des Ersatzheeres berichten sollte. Da geschah es.

Bevor wir das charakteristische Ende der Tragödie streifen, soll noch der Ost-West-Gegensatz, auf den die Nazis so große Hoffnungen setzten, in Zusammenhang mit den Aussichten des Komplotts gewerte't werden. Stauffenberg wollte nicht nur Mit den Kommunisten im Reich, sondern auch mit den Sowjets und ihrem Kriegsgefangenenkomitee „Freies Deutschland“ ins Gespräch kommen. Der liberale Goerdeler und die Sozialistentruppe um Dr. Julius Leber waren dagegen. Um den Westen vor einem Abschwenken der Verschwörer ins östliche Lager zu warnen, unternahm Legationsrat Adam Trott im Einvernehmen mit Hasseil im Herbst 1943 und im Frühjahr 1944 Reisen nach Schweden und in die Schweiz. Dabei kam nur heraus, daß die GESTAPO noch mehr Wind von den Umsturzplänen bekam und Trott nach dem 20. Juli ebenfalls gehenkt wurde.

Das Ende war die bekannte Blutorgie der untergehenden Nazigesellschaft. Vorher hatten in Berlin und in Wien ein paar Österreicher auf beiden Seiten besondere Rollen gespielt, so der Linzer Oberstleutnant Robert Bernardis, den man zusammen mit Witzleben strangulierte, der SS-Hauptsturmführer Otto Skor-zeny, der am Abend des 20. Juli aus dem Schnellzug nach Wien geholt wurde, um den Berliner Staatsstreich liquidieren zu helfen. Gleichzeitig bildete der Chef des Reichs-

Sicherheitshauptamtes, der Österreicher Ernst Kaltentorunner, mit Himmler und Goebbels den ersten, vorläufigen Untersuchungsausschuß. Skorzeny nahm gegen Mitternacht mit seinen SS-Leuten die Besetzung des Verschwörerzentrums in der Bendlerstraße vor, nachdem bereits ein anderer NS-Offizier aus Österreich bei der gewaltsamen Überwältigung der Olbricht-Gruppe ausschlaggebend mitgewirkt hatte. In Wien waren übrigens mehrere SS-Führer und ehemalige Illegale, dar-j 'unter der Polizeipräsident, während, ihrer Militärhaft am Nachmittag des 20. Juli bereit gewesen, mit den Verschwörern zusammen zu arbeiten, doch wurde dies in den darauf folgenden Stunden vergessen. Die Folterungen und Hinrichtungen begannen sofort und dauerten bis gegen Kriegsende, je nachdem, ob sich die GESTAPO von den Betreffenden weitere Aufklärungen erwartete oder nicht. So arbeitete Goerdeler im Gefängnis umfangreiche staatspolitische Betrachtungen aus, die von Himmlers Leuten auf ihre Verwendbarkeit geprüft wurden. Erst als man davon genug hatte, hieß man den Scharfrichter kommen. Hitler selbst hat sich noch vor den ersten Urteilsverkündungen mit einem der Henker unterhalten und ihm gesagt, er wünsche, daß alle Deliquenten „wie Schlachtvieh“ behandelt würden. Der Führer ließ sich auch den Film über eine Gruppenexekution vorführen und freute sich darüber. Den grauenhaften Präsidenten des Volksgerichtshofes Roland Freisler, der unter den Verschwörern wütete, nannte er ironisch-anerkenned „Unseren Wyshinsky“, scheute also den Vergleich mit dem stalinistischen Ankläger keineswegs.

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