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Potentaten, Diplomaten

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„IM PROTOKOLL NICHT VORGESEHEN.“ Von Fritz Bock. Verlag Herold, Wien-München. 120 Seiten. S 64.—.

März 1957. Staatsbesuch Mikojans in Wien. Die Luft ist elektrisch aufgeladen: Der ungarische Aufstand und unsere „Caritas“, noch dazu ein Grenzzwischenfall, bei dem jüngst ein russischer Soldat erschossen wurde! Im Kongreßsaal des Bundes-

kanzleramtes legt denn auch Miko-jan gleich los. Eine Stunde lang blitzt und donnert es. Dann eisige Stille, in die Julius Raabs klassische Worte fallen: „Aber Herr Ministerpräsident, was Sie da gesagt haben, das sind ja alles nur läßliche Sünden; ich schlage Ihnen vor, daß wir lieber von unseren künftigen Beziehungen reden, als uns über die läßlichen Sünden der Vergangenheit zu unterhalten.“ Der Dolmetsch hat

Mühe mit den „läßlichen Sünden“. Dann hält alles sekundenlang den Atem an. Und dann ein befreiendes, dröhnendes Gelächter Mikojans. Die Situation ist gerettet — die Tagesordnung kann beginnen. Wenn einer eine Reise tut — Doktor Fritz Bock, sechzehn Jahre Regierungsmitglied als Staatssekretär, Handels- und Bautenminister und schließlich Vizekanzler, nicht zuletzt EWG-Fachmann, ja, er „kann etwas erzählen“. In der Politik kann eine Flaumfeder die Waagschale drücken. So wiegt auch der saloppe Plauderton dieses Buches schwerer als Anekdoten sonst, steht doch hinter jeder Begegnung mit dem russischen Bären, den man nicht in den

Schwanz zwicken darf, mit dem Kaiser von Japan und europäischen Königen Weltgeschichte. Mit feiner Ironie schildert Bock das Wesen — und die Pannen des „Protokolls“, das einen Staatsbesuch bis auf Minuten ausrechnet und die Abweichungen parieren muß, wenn der Besucher (J. F. Kennedy!) durch Verspätung das Kartenhaus umwirft. Es ist ein amüsantes, charmantes t-und lehrreiches Buch. Es schaut hinter die Kulissen der hohen, höchsten Politik und entdeckt mit Weisheit und Demut — Menschen, Menschliches, oft allzu Menschliches. Gottlob: sie und nicht Halbgötter drehen das Rad der Weltgeschichte.

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