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Funken in Zypern

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Im Basar von Istanbul herrschte während der rechts- und linksradikalen Unruhen Krisenstimmung. Nun tauchten über den menschenerfüllten Gängen unter den Gewölben Spruchbänder auf, in denen die Befreiung der türkischen Minderheit auf Zypern gefordert und ziuan Boykott griechischer Waren und Geschäfte aufgerufen wird. Und die in der Türkei, vornehmlich in Istanbul lebenden Griechen lernen wieder einmal den VolkiSzarh fürchten. Die mdit der Verhängung des Belagerungszustandes über den Großteil des türkischen Hoheitsgebietes für die Dauer der CENTO-Konferenz in Ankara weiterschwelenden Konflikte zwischen soziäirevolutionären Kräften und der von der Armee als verlängertem Arm der CENTO- und NATO-Interessen gedeckten Übergangsregierung Erim beginnt ihren Schatten auch über Zypern zu werfen. Mit größter Besorgnis sind in Nikosia die radikalen Erklärungen des neuen Regierungschefs in Ankara zur Lösung des türkischer Minderheitsproblems auf Zypern verfolgt worden, und der Neutralist Makarios befürchtet angeblich sogar die Möglichkeit eines türkischamerikanischen Zusammenspiels zur Einbeziehung der strategisch wichtigen Insel — oder zumindest ihrer überwiegend türkisch besiedelten Nordküste — in die mittelmeerische Einflußzone der USA, falls sich die Erwartungen von Außenminister Rogers in seine Nahostreise zur Entschärfung des Palästinaproblems nicht erfüllen sollten.

Krisen in der Türkei waren mit einer einzigen Ausnahme — der griechischen Militärrevolution vom April ürid dein von ihr spätgezfhide- ten Zypernwirren im November und Dezember — eine wichtige Ursache der bisherigen Krisen auf der von Griechen, Türken, Armeniern unc christlichen Arabern bis 1955 in gutem Einvernehmen bewohnten Insel gewesen. Dabei hat Erzbischof- Präsident Makarios wenig Schwierigkeiten mit gut etablierten demokratischen Regierungen in Arakam wie unter Uergüplü und dem ersten Kabinett Demirel, aber auch ein gutes Einvernehmen zu reinen Militärregiimas türkisch-nationaler Interessen gehabt.

Die Militärdiktatur General Gürzels von 1960/61 hatte der auf dem griechisch-türkischen Regierungs- und Verwaltungsdualismus basierenden „Republik Zypern” nach dem Abzug der Engländer 1959 überhaupt ens1 den Start ermöglicht. Es war dann der Machtwechsel von Inönüs „Republikanischer Volkspartei” der Kemalisten zur „Gerechtigkeitspartei”, der im Hintergrund der ersten Zypernkrise von 1963/64 dazu führte, daß Inönü von seiner

Innenpolitischen Götterdämmerung durch Hochspielen der Zypernfrage abzulenken suchte.

Seitdem fiel und stieg mit dem politischen Spannungsthermometer in der türkischen Hauptstadt auch die

Krisenstimmung in Nikosia. Während das 1968 eingeleitete Nationalitätengespräch der griechischen und türkischen Führer auf Zypern sachliche Fortschritte machte, wurde es von dem parallelen Autoritätsverfall der Regierung Demirel in der Türkei, die sich keinen unpopulären Kompromiß mit Makarios mehr leisten zu können glaubte, um alle Früchte seines Erfolgs gebracht: Der Sündenbock Zypern sollte die türkischen Intellektuellen von ihrer Unruhe und die Massen der Bauern und Arbeiter von ihren sdzialen Forderungen ablenken helfen.

Diesmal wird die Lage in Nikosia als besonders ernst beurteilt, da die Regierung Erim einen Zweifrontenkampf gegen die auf türkischem Boden aktiven turkozyprischen Rechtsextremisten und Anarchisten — die zypemtürkißche Linke ist mit den griechischen AKEL-Kommuhi- sten in bestem Einvernehmen — wie gegen die außerparlamentarische Opposition der zur Zeit mehr antiamerikanisch als sozialreformerisch engagierten Linken zu führen hat. Erims extremer Neuansatz in der türkischen Zypernpolitik, der in Nikosia als „Gipfelsturm auf die Zweiteilung der Insel” bezeichnet wurde, soll nach denselben zypern- griechischen Regierungsquellen die national-türkische, proamerikanische Rechte befriedigen und so dem militärgedeckten Minderheitsregime den Rücken zu einem energischen

Vorgehen gegen die demonstrierenden Studenten, streikenden Arbeiter und kämpfenden Stadtguerillas freimachen.

Da die Existenz eines von liraks- liberalen Kräften geführten und von den starken zypriotischen Kommunisten entscheidend mitgetragenen Regimes in Nikosia an der türkischen Südflanke für Erim nicht nur wie den früheren türkischen Regierungen aus nationalen, sondern diesmal auch aus innenpolitischen Gründen ein Stein des Anstoßes ist, glauben die Führer der Zyperngriechen den Drohungen aus Ankara, Makarios durch militärische Besetzung der türkischen Sidlungs- räume der Insel vor vollendete Tatsachen zu stellen, diesmal ein größeres Gewicht geben zu müssen als ähnlichen Parolen aus dem Mund von Inönü oder Demirel.

Man fürchtet sogar — und das schreiben auch sonst konservative Zeitungen in Nikosia, wie die „Elevtheria” —, daß den USA ihr Einfluß in der Türkei das Risiko eines mediterranen Zerwürfnisses mit der Sowjetunion bei einer türkischen Intervention auf Zypern wert sein könnte, und daß die nach zypriotischen Geheimdienstinformationen bereits an der südtürkischen Küste sowie auf der Luftbasis von Adana zusammengezogenen Invasions- und Luftlandetruppen sich des Schirmes der 6. Flotte und ihrer Flugzeugträger erfreuen könnten.

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