Türkei-Wahl und der Islam

19451960198020002020

Mouhanad Khorchide über die Rolle der Religion und fehlende sachiliche Argumente am Weg zur Wahlurne in der Türkei.

19451960198020002020

Mouhanad Khorchide über die Rolle der Religion und fehlende sachiliche Argumente am Weg zur Wahlurne in der Türkei.

Werbung
Werbung
Werbung

Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wieso der amtierende Präsident der Türkei Erdoğan in Österreich besser abschneidet als sein Herausforderer Kılıçdaroğlu, habe ich mit türkeistämmigen Personen gesprochen. Mich interessiert vor allem, welche Rolle Religion dabei spielt. Erdoğan gelingt es, seine Wählerschaft in Österreich auf einer emotionalen Ebene zu erreichen.

Meine Gesprächspartner haben kaum sachliche Argumente eingebracht. Es geht vielmehr um die Vergewisserung der Zugehörigkeit zu einer stabilen Identität: „Er erinnert uns Türkeistämmige an unsere Religion, an islamische Werte, daher ist und bleibt er für mich mein Präsident“, sagte mir eine Mutter. Jüngere Gesprächspartner betonten einen anderen Aspekt: „Erdoğan zeigt dem Westen eine klare Kante!“

Bei ihnen merkte ich, dass sie in ihm eine Projektionsfläche als Reaktion auf Ablehnung und Diskriminierung haben: „Man spricht in Österreich weiterhin von ‚Wir Österreicher‘ und ‚Ihr Türken‘, dann sind wir halt Türken und wählen einen Präsidenten, der uns sagt: ‚Vergesst nicht, ihr seid Türken, bevor ihr Österreicher seid.‘“

Man darf nicht vergessen, dass der Großteil der vor mehr als 50 Jahren als „Gastarbeiter“ nach Österreich immigrierten Türken aus ländlichen Gebieten kam und stark konservativ und islamisch geprägt war. Für sie haben traditionelle religiöse Werte eine zentrale Bedeutung. Dazu kommt, dass die größten Organisationen der Türken in Österreich die Moscheegemeinden sind. Die AKP-nahen Organisationen schaffen es viel besser als die Opposition, ihre Wählergruppen zu mobilisieren.

Dennoch dürfen Erdoğan-Wähler nicht abgestempelt werden, man muss sich mit deren, auch emotionalen, Anliegen auseinandersetzen. Ein etwas säkularerer Präsident der Türkei würde ein offeneres Islambild, auch hier bei uns in Deutschland, bedeuten. Am 28. Mai wissen wir aber mehr.

Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung