Was bleibt vom Islam?
Warum der Islam durch die politischen Debatten ausgehöhlt wird.
Warum der Islam durch die politischen Debatten ausgehöhlt wird.
Für Muslime wie für Nichtmuslime scheinen gesellschaftspolitische Fragen das einzig noch Interessante am Islam zu sein. Auf beiden Seiten laufen die Debatten mehr politisch als inhaltlich. Dadurch wird der Islam selbst ausgehöhlt.
Ich möchte dies am Beispiel des Kinderkopftuchs erläutern. Mitte 2019 beschloss der Nationalrat ein Kopftuchverbot für Mädchen an Volksschulen. Das hat eine kontroverse Diskussion ausgelöst. Ende 2020 erklärte dann der Verfassungsgerichtshof dieses Verbot für verfassungswidrig und hob es auf. Damit endeten die Diskussionen.
Aber was ist mit den betroffenen Mädchen und ihren Eltern? Wo bleiben die eigentlichen theologischen und pädagogischen Debatten? Was sagt die islamische Theologie zum Kinderkopftuch und zum Kopftuch an sich (und damit meine ich nicht oberflächliche Statements, sondern theologische Diskurse)? Welche Maßnahmen werden nun diskutiert, damit Eltern ihren Mädchen das Kopftuch nicht aufzwingen? Welche Aufklärungskampagnen finden statt?
Nichts von all dem scheint zu passieren. Und dies scheint auch niemandem zu stören. Das Problem wurde lediglich politisch diskutiert, mit dem Aufheben des Verbots fühlen sich seine Gegner als politische Sieger. Die Verlierer sind allerdings die betroffenen Mädchen.
Die Debatte rund ums Kinderkopftuch ist nur eines von vielen Beispielen. Wir benötigen dringend eine neue Themenaufstellung sowie eine inhaltliche und sachliche Diskussion über diese Themen. Hier sind die Muslime selbst in der Pflicht. Sie sollten sich die Frage stellen, wie der Islam heute Europa bereichern kann. Nicht fordern, sondern geben wollen, sollte die neue Devise der Muslime lauten. Nicht sich ständig über den eigenen Opferstatus beklagen, sondern die vielen Chancen der individuellen Entfaltung in einer pluralen Gesellschaft würdigen.
Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster.
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