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Großer Ausverkauf

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Die Wogen des Nationalismus branden immer höher, doch Kanadas groi?er Ausverkauf hält an. Eine nichtversiegende „goldene Flut” von US-Dollars ergießt sich über das zweitgrößte Land der Erde. Amerikanische Interessen wollen alles erwerben, was einträglich ist. Hotels, Bürobauten, Industrien. Selbst im fernen Peking — unglaublich, aber wahr! — brandmarkt die New China News Agency die Daminie- rung der kanadischen Wirtschaft durch US-Interesisen. Der Bericht aus Rotch’ina erwähnt den Ankauf von mehr als tausend kanadischen Konzernen und fügt hinzu, daß die US-Amerikaner hier bereits 96 Prozent der Autoindustrie, 90 Prozent der Ölindustrie und 80 Prozent der chemischen Industrie kontrollieren. Im letzten Punkt übertreiben die Chinesen: Die USA haben bisher „nur” 56 Prozent der chemischen Industrie an sich gebracht. Was sich die Chinesen entgehen ließen: Daß der Großteil der US-Aufkäufe in Kanada aus kanadischen Mitteln, teils durch Bankkredite, teils durch bereits in Kanada erzielte Gewinne, finanziert wird.

Die Opposition gegen diese Domiinie- rung der kanadischen Wirtschaft durch US-Interessen erfaßt immer weitere Kreise. Trotz aller Proteste geraten aber immer wieder große kanadische Firmen in amerikanischen Besitz. Zur Zeit erwartet die Home Oil Co. (Calgary), deren Aktiva 275 Millionen Dollar betragen, dieses Schicksal, doch ist die Regierung Trudeau bemüht, dies im letzten Augenblick zu verhindern. Weit mehr berührt die Öffentlichkeit das Schicksal von Torontos McClelland & Stewart. Der letzte große Buchverlag in kanadischem Besitz ist vom Schicksal des Ausverkaufs, den finanzielle Schwierigkeiten freilich nahelegten, bedroht. Kanadas berühmteste Autoren, von Marshall McLuhan bis Morley Callaghan und Margaret Laurence, bezeichnen diese Möglichkeit jedoch als „Katastrophe und Tragödie”. Schon vor zwei Jahren zeigte Time Inc. Interesse an MoLelland & Stewart. Erst vor wenigen Monaten „schluckte” New Yorks Großverlag McGraw-Hill Torontos Ryerson Press, den ältesten Verlag Kanadas.

Das erwachende Nationalbewußt- sein erfaßt auch die Arbeiterbewe gung. Gemäß der jüngsten Übersicht sind nicht weniger als 64 Prozent der kanadischen Trade Unions „Anhängsel” amerikanischer Gewerkschaften. Oft dürfen die kanadischen Gewerkschafter nicht einmal ihre Führer wählen. Darüber befragt, konterte Peter Bommarito, Präsident der United Rubber Workers of America: „Wir hatten niemals irgendwelche Probleme und ernennen den Führer unserer kanadischen Gewerkschaft seit 30 Jahren!” Auch Joseph Beirne, Präsident der Communication’s Workers of America, findet die autonomistischen Wünsche kanadischer Mitglieder befremdend: „Wir geben in Kanada mehr Geld aus, als wir an Gebühren einnehmen … Die Kanadier wollen das Beste von zwei Welten. Das ist doch so wie der Bursche, der sagte, er möchte sich ein Haus auf deinem Grundstück bauen!”

Es .gibt auch prominente Kanadier, welche die Dominierung der Wirtschaft durch ausländische Interessen akzeptieren. Stanley Randall, Wirt- schaftsminister der Kemprovinz Ontario (Bevölkerung: 7,6 Millionen) ist der Ansicht, daß nur der Zustrom von Auslandskapital den rapiden Aufstieg des Landes ermöglicht. Ranidail weist darauf hin, daß allein das Bruttosozialprodukt Ontarios seit sieben Jahren von 17 auf 37 Milliarden Dollar kletterte und in der Provinz seit Kriegsende mehr als

1,5 Millionen Einwanderer eine neue Heimat fanden. Randall behauptet: „Wirtschaftlicher Nationalismus ist wie Unkraut. Er verhindert das Wachstum…”

Dem steht freilich die Tatsache gegenüber, daß die USA ihren wirtschaftlichen Einfluß in Kanada auch politisch nützen. Ihre Filialen in Kanada halten sich strikt an die anti- kommunistischen Embargo-Bestimmungen, obwohl die Regierung in Ottawa den Osthandel forciert. Während die amerikanischen Niederlassungen zu einer „Wirtschaft in der Wirtschaft” werden, indem sie echte kanadische Geschäftspartner gegenüber US-kanadischen benachteiligen, drängen sie Kanada zusätzlich auch noch in die Rolle eines Entwicklungslandes, dessen Rohstoffquellen ausgebeutet werden, indem sie Rohstoffausfuhren in die USA unterbewerten und damit die kanadische Zahlungsbilanz noch verschlechtern.

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