Infoscreens: Aufs Aug gedrückt

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Neben der Zwangsbeschallung gehört auch die "Zwangsbebildschirmung" im öffentlichen Raum abgestellt.

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Neben der Zwangsbeschallung gehört auch die "Zwangsbebildschirmung" im öffentlichen Raum abgestellt.

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Wir befinden uns im Jahre 2023 n. Chr. Alle Menschen in den öffentlichen Verkehrsmitteln starren gebannt auf Bildschirme (oder sind gar nicht ansprechbar, da sie Kopfhörer aufhaben). Alle Menschen? Nein! Einige Unbeugsame hören nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Sie sprechen miteinander, schauen verträumt in die Luft oder zücken bedächtig ein Buch, nachdem sie es sich in der U-Bahn bequem gemacht haben.

Wussten Sie etwa, dass kürzlich verkleidete Menschen mit Muscheln und Fischschwänzen durch New York gezogen sind, um den anbrechenden Sommer zu feiern? Mit welcher Gemüsepflanze Pak Choi verwandt ist? Solche Dinge sind dieser Tage an einem der belebten U-Bahn-Knotenpunkte in Wien zu erfahren. Und zwar auf einem riesigen „Infoscreen“, dem man sich nur schwer entziehen kann. Anders als wenn man selbstbestimmt in einer Zeitung blättert, wird einem das dort sprichwörtlich „aufs Aug gedrückt“. Zusammen mit anderen Nachrichten, Werbung oder „Lachwitzen“. Das gleiche Berieselungsprogramm läuft auch in den moderneren Zügen der Wiener Straßenbahnen. Als ob Menschen in der Arbeit nicht schon genug Zeit vor Bildschirmen verbringen würden.

Übergriffigkeit im öffentlichen Raum

Aber wozu sich aufregen? Das klingt doch wirklich harmlos! Ist es ja auch, aber nur aus einer groben Mainstream-Per­spektive. Man kann darin ebenso eine subtile, perfide Form der Ausbeutung erkennen, und zwar im Bereich der vielzitierten „Aufmerksamkeitsökonomie“. Denn über solche Bildschirme werden unsere geistigen Energien, unsere mentalen Ressourcen in Mikroportionen eingefangen – und pro Tag tausendfach angezapft, abgezwackt und ausgesaugt. Dies übrigens nicht von privaten Konzernen, die daraus ein Geschäftsmodell gemacht haben, sondern von den öffentlichen Wiener Linien, einer Institution im Sinne des Gemeinwohls. Eine solche Übergriffigkeit hat im public space nichts verloren.

Warum muss man Menschen rund um die Uhr mit Infotainment bespielen? Während das allgegenwärtige Übel der Zwangsbeschallung immerhin schon ernst genommen wird, haben wir die „Zwangsbebildschirmung“ bislang noch kaum auf dem Schirm. Nicht dass Bildschirme aus Haltestellen und öffentlichen Verkehrsmitteln entfernt werden sollten. Ganz im Gegenteil: Für Notfälle oder hochrelevante Informationen (zum Beispiel Gesundheitshinweise während einer Pandemie) sind sie überaus sinnvoll. Nur den Rest der Zeit sollten sie uns in Ruhe lassen und ­angenehm dunkel bleiben. Bislang freilich regt sich wenig Widerstand. Nur ­alte Gallier wie ­Asterix und Obelix bleiben renitent wie immer – und schauen bewusst weg.

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