Kriegsnarrative

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Europa hat kein faszinierendes Narrativ seiner selbst, sagt Kolumnist Manfred Prisching. Daher stelle sich die Frage nach der "Leitkultur".

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Europa hat kein faszinierendes Narrativ seiner selbst, sagt Kolumnist Manfred Prisching. Daher stelle sich die Frage nach der "Leitkultur".

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Für die alten Kabinettskriege brauchte man keine Story, aber in einer kommunikativierten Gesellschaft sind Kriegserzählungen nötig. Doch der Westen ist in der hauseigenen Symbolik schwach. Das Vokabular rund um Freiheit und Demokratie wird kaum als spannend empfunden, auch wenn es stimmt. Denn gleichzeitig prägen handfeste Signale aus dem Westen das Bild des Ost-West-Krieges: Lieferverzögerungen, unzureichende Munitionsproduktion, bröckelnde Einigkeit in Europa.

Putin hofft, dass Trump, der Verbündete aller Diktatoren der Welt, in den zur Halbdemokratie driftenden USA an die Macht kommt. Putin hat ein aus Historie, Empire-Sehnsucht, Geheimdienst und Kitsch bestehendes Modell zusammengebastelt: im Vaterländischen Krieg noch einmal den Nazismus besiegen, den Angriff des Westens auf Russland abwehren, das empire wiederherstellen. Russia first!

Die Story wurde erst ausformuliert, nachdem die Blitzbesetzung der Ukraine nach dem tschechischen Modell gescheitert war. Europa hat kein faszinierendes Narrativ seiner selbst. Nach den Verwerfungen des Zweiten Weltkriegs hat man sich im Kontrast zum Kommunismus „irgendwie“ als Reich der Freiheit definiert, und das hat gereicht, denn der Kommunismus hat Brutalität und Versagen vielfach unter Beweis gestellt (auch wenn er an diversen Orten Österreichs wieder Blasen wirft). Empirisch drängen sich nun klassische Bilder vom „Despotismus des Ostens“ auf. Aber ebenso werden „innere“ Verfallsmodelle des Westens sichtbar, wenn man etwa auf die wachsenden autoritären Bewegungen (zuletzt auf den kräftigen linken Antisemitismus) schaut.

Es stellt sich die Frage nach der europäischen „Leitkultur“, wie Bassam Tibi einst formulierte. Selbstbewusstheit ist Voraussetzung zur Kriegsführung – und eine Überlebensfrage des Westens.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz

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