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Phantastische Träume

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Nach dem dürftigen Filmangebot der letzten Wochen sind nunmehr gleichzeitig dreizehn neue Filme in Wien erstaufgeführt worden, von denen immerhin einige sogar Beachtung verdienen, das heißt auch von anspruchsvolleren Kinobesuchern gesehen werden können. Es sind dies vor allem die beiden bereits im Rahmen der diesjährigen Viennale gezeigten Streifen „Eins” von Ulrich Schamoni und Pier Paolo Pasolinis Version der „Medea”.

Schamonis Opus 5, eine deutsche Wirtschaftswunderphantasie, ist weit weniger sozialkritisch und progressiv als der sehr in die Länge gezogene Kurzfilm (der Idee nach) zu sein vorgibt, weit weniger ernst zu nehmen als unterhaltsam — leider dennoch weit mehr ermüdend als ernsthaft interessierend: eine Seifenblase, von einem arrivierten deutschen Kleinbürger mit etwas (film)kunstgewerblichem Geschmack für (vorwiegend deutsche) Kleinbürger aufgeblasen. Doch es gibt

Schlimmeres, als Seifenblasen zuzusehen ...

Auch Pasolinis vor seinem „Deca-merone” entstandene „Medea”-Ver-filmung (nach Euripides, in der Se-neca-Ubertragung) ist zweifellos nicht der bedeutendste Film dieses phantastischen Marxisten, doch sicher einer seiner bildhaft schönsten; wie Pasolini malerische Schilfinseln um Grado zu kentaurischen Tummelplätzen, bizarre Felslandschaften in der Türkei zu kolchi-schen Gefilden und frühmittelalterliche Bauten in Pisa zu korinthischen Palästen umwandelte, zeugt ebenso von filmischem Blick wie ästhetischem Raffinement. Und wenn er sogar neue barbarische Folkloristik erfindet und abstrakte Bekleidung (man beachte besonders die Hutmoden!) entwirft, so paßt dies vollkommen in das Bild, das uns Pasolini von seiner Medea geben will. Daß dieser Blick aber bereits gewisse kommerzielle Aspekte zeigt (die in „Decamerone” sich noch mehr vertieften), beweist auch die Besetzung der Titelrolle mit Maria Callas, die hier zwar keinen Ton zu singen hat, schauspielerisch aber auch nicht viel mehr bieten muß als man es von dem Star erwartet. In den Nebentypen, vor allem der jüngeren Männer, findet sich dann jene Echtheit, die die Stärke Pasolinis ausmacht. Ein unbedingt faszinierender Film, dieses Opus 13 von Pasolini — wenn auch nicht voll befriedigend, so doch ein phantastischer Traum ...

Noch ein Hinweis für Zuschauer, die Phantastik lieben: sollte irgendwo „Das Schreckenscabinett des Doktor Phibes” laufen, dann, bitte, versäumen Sie dieses Spiel abstrakt-ästhetischen Horrors (ohne Schockabsicht und -Wirkung) nicht. Diese bewußt fern aller Logik konzipierte, mit surrealen Elementen ausgeschmückte und mit Hommagen an zahlreiche berühmte Horrorfilme behaftete Vision erschließt sich dem Kenner und Liebhaber des Dämonischen als erstaunliche Bildkomposition, als eines der ausgefallensten Filmwerke, die je gedreht wurden...

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