7079692-1993_31_04.jpg
Digital In Arbeit

Ungenutzter Aufbruch

Werbung
Werbung
Werbung

Noch vor den derzeit laufenden „Sommergesprächen” im ORF mit den Parteichefs kam wieder einmal die ÖVP ins Gerede. Es gehe abwärts mit ihr, heißt es. Ahnliches wird auch von der CDU behauptet. In der ÖVP findet in aller Stille eine Programmkosmetik statt, und auch die CDU macht sich Gedanken wie's weitergehen soll.

Arbeitsminister Norbert Blüm, der gleichzeitig der Landeschef der CDU von Nordrhein-Westfalen ist, dachte jüngst in einem Interview laut über die Situation seiner Partei nach und meinte, es reiche nicht aus, den Bürger alle vier Jahre „zwischen Angeboten wählen zu lassen und ihn an der Produktion der Angebote nicht zu beteiligen”. Kurzum, die Bürger sollten bei der Auswahl des politischen Personals stärker beteiligt werden, es liege viel Sachverstand brach, deshalb müßte sich die Partei für die freie Mitarbeit der Bürger öffnen.

Norbert Blüm fordert auch „eine nachbarschaftliche Gesellschaft” und rügt, daß man sich in Deutschland eine Spardiskussion leiste, in der es „nur um Summen” gehe und nicht darum, was der Staat bezahlen solle und was der Eigeninitiative und Eigenverantwortung der Bürger überlassen bleiben müsse. Außerdem habe die CDU den Aufbruch im Osten nicht genutzt, um auch einen geistigen Aufbruch im Westen zu provozieren: „Wir haben keine Standortkrise, sondern eine Kulturkrise”, so Blüm im Magazin „Focus”. So diskutiere zum Beispiel die Wirtschaft nur die Lohnnebenkosten anstatt darüber nachzudenken, „wieso in Japan ein Auto mit halb so vielen Betriebsstunden gebaut wird wie bei uns”.

Innovationen seien verschlafen worden und jetzt konzentriere man sich auf Kostenfragen: „Die Umstellung muß im Kopf beginnen: weniger Kosten, mehr Ideen.” Norbert Blüm sucht nach Ansätzen für einen Ausweg, aber auch er weiß, daß die Manövrierfähigkeit der schweren Tanker, zu denen sich die Parteien entwickelt haben, begrenzt ist.

Dazu kommt, daß die großen Volksparteien widerstrebende Kräfte in den eigenen Reihen integrieren müssen. Die Begriffe „links” und „rechts” werden zwar immer fragwürdiger, spielen aber in der Praxis der innerparteilichen Auseinandersetzung nach wie vor eine Rolle. So gelten zum Beispiel in der CDU Norbert Blüm, Heiner Geißler, Rita Süssmuth und Ulf Fink als „Linke”, denen vorgeworfen wird, die Union durch Anpassung an den Zeitgeist ins Verderben zu führen. Es wird wieder mehr Ideologie und geistige Führerschaft eingefordert.

Aber wie das anzustellen sei, das wissen auch die „Rechten” nicht so recht. Es sei denn, man gehabt sich forscher als die Republikaner, in deren Wählerrevier die rechten Reformer gerne grasen möchten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung