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Volksgezählte Kroaten

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Von allen jugoslawischen Teilrepubliken ist Kroatien die unruhigste. Immerhin handelt es sich bei den Kroaten um das zweitgrößte Staatsvolk mit einer jahrtausendelangen politischen Tradition, zum anderen um einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor, ohne den die jugoslawische Volkswirtschaft schwer existieren könnte, denn die Hauptdevisenbringer — Fremdenverkehr und Schiffbau — sind in kroatischer Hand. Von Belgrad aus wurden gewisse Warnzeichen lange nicht ernst genommen. Erst als Tito bei einer Funktionärsversammlung in Agram Ende 1970 von der Notwendigkeit sprach, Verfassungsänderungen vorzunehmen und das gegenseitige Verhältnis zwischen dem Bund und den Republiken sowie der Republiken zueinander besser zu gestalten, begannen sich die Dinge in Bewegung zu setzen.

Die Kroaten sind empfindlich geworden. Sensibilität allen Übergriffen des Bundes oder des größten Staatsvolkes — der Serben — gegenüber äußert sich auf den verschiedensten Gebieten, um nur einige zu nennen in der 1968 veröffentlichten Sprachendeklaration über die verfassungsmäßige Stellung der kroatischen Sprache und ihre Verwendung in Verwaltung und Armee, im Protest gegen die Devisenabführung an die Belgrader Banken, die noch immer ein „Staatskapital” verwalten, im Rücktritt des kroatischen Regierungsmitglieds Bojanie als Protest gegen die von seinen Kollegen vertretene Stabilisierungspolitik und neuerdings in der Reaktion auf die Art und Weise, wie die bevorstehende Volkszählung am 1. Mai 1971 in Jugolawien durchgeführt werden sollte.

Ein besoi derer Stein des Anstoßes ist ein Satz in der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Anleitung an das Personal der Volkszählung, wonach sich jeder Staatsbürger statt zu einer Nation oder zu einem Volk auch zu einer Region bekennen könne. Diese Bestimmung hat die Kroaten in Harnisch gebracht: Die politische Führung, Presse und Rundfunk sowie alle kulturellen Institutionen von Rang haben bereits gegen die Regionalrubrik in den Volkszählungslisten protestiert. Sie sehen darin einen Versuch, den Zusammenhalt der kroatischen Nation zu schwächen und bezeichnen schon jetzt die zu erwartenden Volkszählungsergebnisse als „Plagiat ohne jede wissenschaftliche Bedeutung”.

Die Begründung dieser Proteste ist durchaus nationalistisch, hat aber ihre historische Logik: Kroatien war in der Vergangenheit zu seinem Unglück niemals politisch vereint, weder unter seinen eigenen mittelalterlichen Herrschern, noch unter der Personalunion mit Ungarn, auch nicht unter den Habsburgern oder Venedig und selbst im alten königlichen Jugoslawien war Kroatien in verschiedene Verwaltungsgebiete aufgeteilt. Zur Verhinderung dieser politischen Einheit wurden immer wieder künstliche Einheiten und Zugehörigkeiten erfunden.

Bedrohte Nation

Bei den Serben, wo derlei Differenzierungen niemals so stark hervortraten wie auf kroatischem Gebiet, wird es bei der Volkszählung vermutlich nicht zu „regionalen Erklärungen” der Befragten in dem Maße kommen, wie diese in Kroatien von der dortigen politischen Führung befürchtet wird. Aus diesem Grunde die entschiedene Haltung der Kroaten gegenüber dem nationalen und landschaftlm’ n Regionalismus, denn schließlich könnten sich viele Kroaten als „Dalmatiner”, „Bosnier”, „Slawonieir” oder „Likaner” bezeichnen, während die Serben geschlossen auftreten würden. Die maßgeblichen Faktoren in Kroatien sind daher der Meinung, daß die kroatische Nation — ohnehin schon geschwächt durch ständige Abwanderung ihrer besten Arbeitskräfte nach Westeuropa — nun nochmals in ihrem Bestände bedroht wird, diesmal auf verwaltungspolitischem Wege.

Bislang konzentrierte sich der Kampf der Kroaten gegen die Volkszählung auf jene Rubrik, die allen Staatsbürgern das Recht einräumt, sich statt zu einer der Nr^o.ien zum künstlich geschaffenen Obernationalitätsbegriff „Jugoslawe” zu bekennen. Nachdem hier der Kampf beinahe gewonnen wurde, denn in den neuen Zählformularen wird der Begriff „Jugoslawe” als „national nicht festgelegt” gedeutet, mußten die Kroaten doch erfahren, daß an versteckter Stelle durch die regionale Zugehörigkeit, trotz gegenteiliger Versicherung, eine neue Gefährdung ihrer Nationalinteressen erfolgen könnte.

Die politische Massenorganisation „Sozialistenbund der Werktätigen Kroatiens” hat den Zählbeamten naheglegt, bei der Volkszählung nur ihre Weisungen zu befolgen. Außerdem wurde eine Verschiebung der Volkszählung gefordert, bis die in Aussicht genommenen Verfassungsänderungen — über die gegenwärtig ein Ausschuß unter dem Vorsitz des altbewährtenVerfassungstheo retikers Edvard Kardelj auf Brioni berät — verwirklicht werden.

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