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Die Wahrheit über Draganovic

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Uber den Fall des katholischen Priesters P r o f. D r. K r u-noslav Draganovic ist im Laufe des letzten Jahres so viel geschrieben worden, daß eine gewisse Berechtigung zur Annahme besteht, er sei noch vielen in frischer Erinnerung geblieben: Prof. Draganovic, die „graue Eminenz“ der kroatischen Emigration, ist Anfang September 1967 von einer Rom-Reise nicht mehr nach seinem Wohnsitz (dem Sacre-Coeur in Preßbaum bei Wien) zurückgekehrt. Er wurde in Triest am 10. 9. 1967 zum letztenmal gesehen, dann blieb er verschollen bis zum 13. 11. 1967, als die jugoslawischen Massenmedien eine „Erklärung“ Draganovics brachten, in der er seine „freiwillige Rückkehr nach einem Vierteljahrhundert in seine Heimat“ bekanntgab.

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Uber den Fall des katholischen Priesters P r o f. D r. K r u-noslav Draganovic ist im Laufe des letzten Jahres so viel geschrieben worden, daß eine gewisse Berechtigung zur Annahme besteht, er sei noch vielen in frischer Erinnerung geblieben: Prof. Draganovic, die „graue Eminenz“ der kroatischen Emigration, ist Anfang September 1967 von einer Rom-Reise nicht mehr nach seinem Wohnsitz (dem Sacre-Coeur in Preßbaum bei Wien) zurückgekehrt. Er wurde in Triest am 10. 9. 1967 zum letztenmal gesehen, dann blieb er verschollen bis zum 13. 11. 1967, als die jugoslawischen Massenmedien eine „Erklärung“ Draganovics brachten, in der er seine „freiwillige Rückkehr nach einem Vierteljahrhundert in seine Heimat“ bekanntgab.

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Diese Erklärung war in einem Schreiben Draganovics enthalten, das an den Staatsanwalt von Sarajevo gerichtet war. Darin berief sich Draganovic auf das jugoslawische Amnestiegesetz und beurteilte, entgegen seinen bis dahin vertretenen Ansichten, die Entwicklung der jugoslawischen Verhältnisse unter gewissen Einschränkungen als positiv.

Draganovic stellte sich (allerdings unter Begleitung jugoslawischer Sicherheitsbeamter) einer Pressekonferenz im Sarajevoer Vorort Ilidze, bei der er seine freiwillige Rückkehr noch einmal bestätigte, im übrigen aber auf seine „Erklärung“ verwies. Dasselbe behauptete Draganovic auch gegenüber dem Vertreter der österreichischen Botschaft in Belgrad, dem es gelungen war, nach anfänglichen Schwierigkeiten, zu einem persönlichen Gespräch mit Draganovic zu kommen. Draganovic besitzt nämlich die österreichische Staatsbürgerschaft, hat aber seine ursprüngliche jugoslawische Staatsbürgerschaft nicht verloren, da er gemäß dem jugoslawischen Recht nicht um seine Entlassung aus dem jugoslawischen Staatsverband ansuchte. Am 2. Oktober 1968 erfolgte eine Mitteilung des Staatssekretariates für Inneres der Volksrepublik Bosnien und Herzegowina, nach der Professor Draganovic „in Freiheit gesetzt“ wurde. Er befindet sich seither in Sarajevo, befaßt sich mit geschichtlichen Studien und arbeitet aushilfsweise im Erz-bischöflichen Ordinariat mit. Seiner ständigen Verwendung in diesem Amt, in welchem Draganovic noch vor dem letzten Weltkrieg beschäftigt war, hat der Erzbischof von Sarajevo, Monsignore Alaupovic (sonst ein Studienkollege und Freund Draganovics), offenbar aus höheren Interessen und Rücksichten nicht zugestimmt.

Es darf keinesfalls überraschen, daß die Ereignisse um Professor Draganovic eine Fülle von Gerüchten zur Folge hatten, um so mehr als Draganovic noch einen Monat, bevor er verschwand, in einer Schrift seinen weltanschaulichen und politischen Standpunkt in besonders entscheidender Form bekräftigte und Befürchtungen wegen einer drohenden Entführung durch den jugoslawischen Geheimdienst aussprach.

Während des Krieges „gemäßigt“ Zur Person: Professor Draganovic war Vor dem letzten Weltkrieg nach einer umfassenden und sorgfältigen Ausbildung ein sehr talentierter und gebildeter Priester der Erzdiözese Sarajevo und befaßte sich hauptsächlich mit historischen und politischen Studien, auf Grund deren er auch eine Professur an der Theologischen Fakultät in Agram erhielt. Er war, wie seine gesamte PriesterorganiBation, überzeugter Nationalist. Dies ist um so mehr zu verstehen, als in den bosnischen vielvölkisehen Verhältnissen eine nationalistische Uberzeugung bei Intellektuellen jedes Volkes geradezu zur Regel gehörte. In der Entwicklung der Verhältnisse im alten königlichen Jugoslawien, die zur Entstehung des kroatischen Staates führte, sah Draganovic einen Teil seiner Ideen als erfüllt an, obwohl er mit der Art und Weise, wie dies alles geschah, nicht immer zufrieden war. In dieser Beziehung gehörte er zu den „Gemäßigten“ während des zweiten Weltkrieges, den er übrigens größtenteils außerhalb seiner Heimat verbrachte, weil er schon 1943 in besonderer Mission seitens der politischen und kirchlichen Behörden nach Rom entsandt wurde, wo er bald eine besondere Stellung erlangte.

Dies alles änderte sich jedoch nach dem Tod Pius' XII. und dem Beginn des Pontiflkats Johannes' XXIII. Die neue Politik des Vatikans gegenüber den Ostblockländern konnte die von politischen Elementen durchsetzte Tätigkeit Draganovics unter den kroatischen Flüchtlingen nicht mehr in der gleichen Weise unterstützen, wie es noch in den ersten Jahren seit Kriegsende geschah, und so wurde Draganovics Stellung in Rom immer mehr und mehr abgebaut. Er versuchte, sich zwar dieser Entwicklung entgegenzustellen, indem er seine Verbindungen zu verschiedenen lateinamerikanischen Staaten ausbaute, mit der deutschen und französischen Industrie zwecks Unterbringung kroatischer Flüchtlinge verhandelte und schließlich seinen Wohnsitz von Rom (wo er das kroatische St.-Hieronymus-Kol-legium auflassen mußte) in die Umgebung Wiens verlegte, aber es blieb dabei: Draganovic war im Vatikan nicht mehr „persona grata“.

Als es nun schließlich 1967 zu dem „vorläufigen Übereinkommen“ zwischen dem Heiligen Stuhl und Jugoslawien kam, sah Draganovic seine Politik endgültig gescheitert und zog sich immer mehr aus dem öffentlichen Leben zurück.

In diesem Augenblick stellte sich für ihn die Lage folgend dar: Die föderalistische Entwicklung Jugoslawiens war damals auf ihrem vorläufigen Höhepunkt angekommen, die Funktionäre der KP Kroatiens, die kroatischen Schriftsteller Und Vertreter des öffentlichen Lebens ließen, zum Beispiel im Sprachenstreit, Meinungen und Standpunkte erkennen, die zum Teil ebenso nationalistisch erschienen, als ob sie von der nationalen Emigration ausgesprochen gewesen wären.

Schließlich reifte in ihm die Überzeugung, daß es vielleicht leichter wäre, das Problem Kroatiens und seiner Selbständigkeit von innen heraus zu lösen, als von außerhalb, noch dazu unter jenen Diffamierungen, die im Westen Personen seiner Tendenz nicht erspart blieben. Um bei Draganovics „Erklärungen“ zu verbleiben: Vielleicht war es leichter, im heutigen Kroatien und Bosnien Nationalist und Patriot zu sein, als im europäischen Westen!

Über einige bosnische Mohammedaner, Kaufleute in Triest, gelang Draganovic der Kontakt mit einem bedeutenden jugoslawischen Parteifunktionär in Sarajevo. Mit dessen Abgesandten und ihm selbst traf sich Draganovic vor seinem Verschwinden wiederholt in Triest, vermutlich ist er dabei auch ein- bis zweimal über die jugoslawische Staatsgrenze gegangen. Bei der letzten dieser Zusammenkünfte auf jugoslawischem Staatsgebiet — um den 10. September 1967 herum — wurde Draganovic offenbar von seinen Partnern vor die Alternative gestellt: Entweder einem ungewissen Schicksal in jugoslawischen Gefängnissen entgegenzugehen und für die weitere Dauer seines Lebens zu „verschwinden“ oder in Zusammenarbeit mit bosnisch-mohammedanischen und kroatisch-katholischen Elementen innerhalb der damaligen KP-Führung — sozusagen ihrem rechten Flügel — noch einmal eine politische Rolle zu spielen, allerdings unter dem Vorbehalt, einige seiner bis dahin vertretenen Meinungen und Auffassungen zu revidieren: Diese zweite Alternative, bei der auch einige kirchliche Kreise Pate standen, hatte für alle interessierten Seilten Vorteile anzubieten:

Die Kommunisten konnten einen erbitterten Feind beseitigen, der ihnen im Ausland noch immer Schaden zufügen konnte, Draganovic wurde sein Emigrantenlos mit allen seinen unfruchtbaren Folgen los und konnte unter gewissen Umständen seiner Auffassung entsprechend mehr von innen aus für di kroatische Sache tun, und die Kirch konnte ihrerseits einen unbequemen Faktor aus der Zeit der strengen Fronten des Antikommunismus, der ihre heutigen Bemühungen um eine Lockerung der Ostpolitik störte, beseitigen und unter seinem Erzbischof zu neuerlicher Disziplin zwingen.

Doch wie jede solche Rechnung und jedes „Abkommen“ dieser Art ging auch hier die Rechnung nicht ganz auf. Weder Draganovic noch seine bosnischen nationalkommunistischen Partner konnten zu jener Zeit, als es zu den vermutlichen Vereinbarungen kam, auch nur eine Ahnung von den überraschenden Ereignissen in der Tschechoslowakei haben und von den Wellen, die sie hervorriefen. Seitdem in Jugoslawien nackte Angst um die Existenz des Gesamtstaates und vor der Bedrohung durch die Sowjets herrscht, haben die Spitzenfunktionäre auf allen Ebenen andere Sorgen als den Fall Draganovic.

Der „Fall Draganovic“ hat eine dreifach tragische Note: Erstens handelt es sich hierbei um eine menschliche Tragödie eines persönlich integren Priesters und Menschen, dessen naiver Patriotismus zu einer so abnormalen Entwicklung führte, zweitens handelt es sich hierbei ganz allgemein um eine Tragödie des oftmals so vielgerühmten „freien Westens“, der einen Mann wie Draganovic verzweifeln ließ, und schließlich handelt es sich aber auch um die noch immer währende Tragödie des kroatischen Volkes, das seinen adäquaten politischen Ausdruck noch nicht gefunden hat und seine Unfreiheit mit dem Schicksal seiner besten Söhne bezahlen muß.

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