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Der Bund der Erbfeinde

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Als sich am 11. Juni dieses Jahres die drei Außenminister der Türkei, Griechenlands und Jugoslawiens voneinander trennten, nachdem sie zu Athen ihre im Bündnis von Ankara vorgesehene Routinebesprechung beendet hatten, da ließ das amtliche Kommunique über dieses Treffen den Unkundigen nicht einmal ahnen, daß diese Allianz, die einen Eckpfeiler oder, wenn man will, einen vorgeschobenen Posten der Atlantikgemeinschaft bilden soll, in ihren Fugen kracht, noch ehe sie volle Wirklichkeit geworden ist.

Vier Ursachen sind es, die von Anfang an den unbefangenen Beobachter zur Skepsis über den Wert und über die Haltbarkeit dieses Bündnisses zwingen mußten. Zwei davon liegen bei den Partnern des Pakts, zwei wirken von außen her. Da ist zunächst das Verhältnis zwischen Griechenland und Jugoslawien. Beide Länder haben einander von jeher, nach guter böser Balkanüber-lieferun-g, als Erbfeinde betrachtet. Mazedonien und Albanien waren Zankäpfel, die immer wieder die an sich seit dem Mittelalter bestehende nachbarliche Abneigung der Hellenen und der Serben bestärkten. Nur zu einem Ziele fanden sich diese zusammen, und das war der vereinte Kampf gegen den nunmehrigen dritten im Bunde, die Türkei, wie zuletzt noch während des Balkankrieges von 1912: Wenn jetzt wieder Griechen und Südslawen in demselben Lager zu treffen waren, nachdem noch bis 1949 zwischen beiden ein indirekter Krieg, auf dem Umweg über die Unterstützung der beiden Gegner im kommunistischen Aufstand gegen die Athener „Königsfaschisten“ geherrscht hatte, so schlang diesmal eine andere, wie man meinte, nachhaltige gemeinsame Feindschaft wider einen mächtigen Bedroher das Band um die zwei Völker: der Antagonismus zur Sowjetunion. In ihrem Zeichen hatte die amerikanische Diplomatie mit vieler Mühe die Staatslenker in Athen und in Belgrad zur Aussöhnung, ja zu scheinbarer Freundschaft bewogen. Zu verbrieften Abmachungen über enge militärische Kooperation freilich konnte nicht einmal der eifrigste Druck seitens der USA-Botschafter den jugoslawischen Diktator überreden. Es wurde viel über das Zusammenwirken der Generalstäbe geredet, Offiziersmissionen reisten hin und her; doch eine klare Abmachung, ein richtiges Militärbündnis kam nicht zustande. Tito bewilligte „tout, excepte' Ca“, alles außer der letzten Gunst. Dafür zeigten sich beim geringsten Anlaß die wahren und durch die offiziellen Freundschaftsversicherungen wenig veränderten Gefühle der Bevölkerung hüben und drüben. Am heitersten war der Zwischenfall beim Besuch einer Delegation jugoslawischer, von Pijade geführter Parlamentarier in Athen, als man die Gäste unter Vorweisung der Originale befragte, wie sich die blutrünstige Darstellung der griechisch-jugoslawischen Beziehungen in serbischen Geschichtsbüchern des Schulunterrichts mit der neuesten Allianz vereinbare, wie ferner die gehässige Schilderung des mazedonischen Problems zu rechtfertigen sei. Damals gelang es, den peinlichen Zwischenfall durch ein paar geschickt ausweichende Worte zu überbrücken. Doch Ende August dieses Jahres bildete die „Verfolgung“ der südslawischen Brüder im griechischen Mazedonien bereits

den Inhalt einer scharfen Aussendung der Belgrader amtlichen Agentur Tanjug, und die beiderseitige Presse erging sich in heftigen Polemiken wider den schlimmen Nachbarn.

Türken und Griechen sind zwar noch nicht in ähnliche Streitigkeiten geraten, doch auch hier genügte der kleinste Inzident, um die Erinnerung an nahe und fernere Vergangenheit sofort wieder aufflammen zu lassen, an lange Jahre der Todfeindschaft, die vor einem Menschenalter durch die Siege des Atatürk und die Vertreibung der kleinasiatischen Griechen ihren Höhepunkt und einen provisorischen Abschluß gefunden hatte. Es fehlte weder an Anzeichen noch an Gründen für ein Wiederaufflackern dieser Volksempfindungen. Da ist zum Beispiel Zypern, das die Griechen von England zurückfordern, auf das aber auch die Türken ihr Auge geworfen haben. Di sind die Kleinasien vorgelagerten Inseln. Auch die Allianz zwischen Athen und Ankara ist durch den gemeinsamen und sehr akuten Gegensatz zu Moskau bedingt. Gerade dieser Gegensatz aber wird, und damit greifen wir hinüber zu den beiden von außen her störend auf den Balkanbund einwirkenden Momenten, neuerdings in Griechenland weniger leidenschaftlich gehegt als in der Türkei.

Der Kreml hat, im Zuge der Friedensoffensive, zugleich in Belgrad, in Athen und in Ankara Schritte getan, um dort den Angelsachsen, vor allen den Amerikanern durch friedfertige Beteuerungen entgegenzuarbeiten. In Jugoslawien und in Griechenland haben diese Bestrebungen, allerdings nicht mit der gleichen Intensität, Erfolg gehabt. Beide Länder haben die diplomatischen Beziehungen zur UdSSR wieder aufgenommen. Während aber das Königreich der Hellenen trotzdem eine gewisse Zurückhaltung an den Tag legt, darf man bei Tito die gemeinsame ideologische Grundlage niemals aus den Augen verlieren. „Die Natur zieht den Wolf in den Wald“, lautet ein slawisches Sprichwort. Und der einstige Spanienkämpfer, der internationale Kommunistenführer von Format, fühlt sich, ungeachtet seines Besuchs im Buckingham Palace und seiner eleganten Uniformen, nach dem Tod des untraitablen Stalin, in der Gesellschaft der ihm weltanschaulich verwandten Moskauer Bolschewiken wohler, als in der jener westlichen Demokratien, von denen er Kredite, Waffen, Waren gerne nimmt, denen er aber im Ernstfall niemals wirkliche Hilfe gewähren möchte. Die Türken dagegen haben auf Moskauer Liebeswerben hin äußerste Kühle gezeigt. Sie wissen, was sie davon zu halten haben und s i e bleiben, aus Gründen des gesundesten nationalen Egoismus, unbedingt zuverlässige Verbündete der , Atlantischen Gemeinschaft, die übrigens auch auf das Griechenland König Pauls und Papagos' zählen darf (freilich nicht auf ein, derzeit nicht wahrscheinliches, Linksregime in Athen).

Am meisten wird die Balkanallianz durch die Folgeerscheinungen des immer krasseren italienisch-jugoslawischen Widerstreits gefährdet, der seit den letzten Augusttagen am Beispiel Triest besonders , deutlich geworden ist, der sich aber keineswegs auf den Konflikt um den Adriahafen beschränkt. Es ist nicht gut vorstellbar — und man fragt sich, wie die angelsächsischen Diplomaten diese Tatsache aus der Welt schaffen wollen —, Rom und Belgrad als Mitglieder desselben

Lagers zu sehen, solange zwischen beiden Regierungen weit einschneidendere Gegensätze obwalten als zwischen Italien oder Jugoslawien und irgendeiner anderen Macht. Tito war mit Stalin unheilbar verfeindet. Iosif Wissarionowitsch ist dahin, und schon besteht zwischen dem kommunistischen Regime in Moskau einerseits, dem häretischkommunistischen in Belgrad anderseits zwar ein ideologischer Widerspruch über einige Fragen, gibt es noch allerlei persönliche Rivalitäten, doch die Staats interessen der Sowjetunion und die Jugoslawiens sind nirgends miteinander unvereinbar. Italien wieder ist im Atlantikpakt ebenfalls aus weltanschaulichen Gründen, weil es mehrheitlich den Kommunismus ablehnt, doch seine Staatsinteressen sind ebensowenig denen Rußlands konträr wie die Jugoslawiens.

Wenn nun die Angelsachsen, wenn Amerika im italienisch-jugoslawischen Konflikt eher zu

Tito hinneigen, dann dürfte Rom seine Partnerschaft beim Atlantikpakt überprüfen und sich zu einer Neutralitätspolitik entschließen. Wenn Washington und London den italienischen Standpunkt billigen, dann mag Tito das Banner der Neutralität schwingen, das er eingerollt ohnedies stets bereithält. Und dann, ja dann ist es mit dem Balkan-Dreibund vorbei. Die jetzige Krise ist dadurch ausgelöst worden, daß einerseits die Jugoslawen durch den bevorstehenden Besuch Papagos' in Rom und durch die verklausulierten Erklärungen der britischen und der französischen Regierungskreise über die weitere Gültigkeit der Erklärung vom 20. März 1948 über die Rückkehr Triests zu Italien verschnupft wurden, daß anderseits die Italiener in viel höherem Grade über die Besprechungen einer jugoslawischen Militärmission in Washington beunruhigt waren, die seit 24. August dort stattfanden. Rom be-

fürchtete, die gegen die UdSSR bestimmten Waffenlieferungen an Tito würden dazu dienen, um Triest samt den Zonen A und B Jugoslawien endgültig einzugliedern. Deshalb geschah die Flottendemonstration von Venedig, zu der die Belgrader Pressekampagne und die Demonstrationen in Laibach, in Agram und in Sarajevo nur den Vorwand boten. Tito antwortete mit der Rede vor der Viertelmillion Partisanen in Okroglica und stellte in ihr, obzwar davon mit keinem Wort ausdrücklich Erwähnung geschah, den Balkan-Dreibund und Jugoslawiens atlantische Freundschaft zur Diskussion. Es wird der größten Kunst amerikanischer und britischer Diplomaten bedürfen — ob die Gastspiele englischer Labourführer, wie Attlee und Bevan, im heurigen August viel praktische Wirkung hatten, ist fraglich —, um den in allen Fugen krachenden Bund von Ankara zu leimen.

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