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Wie das Alter hereinbricht

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Es war eine lange Zeit. Und man weiß dann nicht, ob man gescheitert ist oder nicht. Ich bin müde. Ich winke der Welt zu. Es gibt Unversöhnte. Ich bin versöhnt.

Aber vom Reden halte ich nichts mehr. Ist das verdächtig? Hat sich's hier einer auf Kosten der anderen bequem gemacht? Ich meine, daß ich ein Recht darauf habe, müde zu sein. Menschliche Angelegenheiten sind immer die anstrengendsten. Darin fehle ich eben und bin nicht mehr da.

Andererseits: Allmählich ist das Menschengeflecht, von dem ich gehalten wurde, schütter geworden. Man merkt dann, wie leicht man ist, und wie wenig es bedarf, gehalten zu werden. Schließlich treibt man als Losgelassener durch die Welt. Und man meidet die anderen, sie könnten Gewicht haben, eine Last sein.

Es ändert sich ja so wenig. Vielleicht nur, daß man mit der Zeit ein bißchen unwirklicher wird. Ich erinnere mich der Geschichten, die ich erlebt habe. Ja: der Geschichten. Schließlich gibt es das nicht: das Leben. Es ist ja bloß eine Sammlung von teils erfreulichen, teils unerfreulichen Geschichten. Selbst dieser Unterschied hört auf. Die Distanzen vergrößern sich.

Ich bin allein. Wollte ich das! So fragen Dummköpfe. Man kann ja nur werden, was man ist. Hier spricht ein Einsamer: Wie falsch das klingt!

„Einmal, als ich jung war, nahm ich ein Mädchen mit in mein Hotelzimmer. Das war in einer fremden großen Stadt. Wir gingen in dieses Hotelzimmer, das irgendwo in dieser Stadt war. Und wir machten gar keinen Versuch, einander zu lieben.

Unter der Dusche waren wir doch lieb zueinander in unserer Hilflosigkeit. Das rinnende Wasser besorgte das wie ein Regen. So brauchten wir nur an-einandergelehnt dazusitzen und in das Aufsteigen des Dampfes zu schauen. Das war's.”

„An einem Morgen saß ich an dem Fenster und blickte in den Herbst hinaus. Die Vorstadtgärtchen und Wäldchen waren im Herbst. Fern stand ein Bauwerk, so schweigsam und fest, daß ich an mich selbst erinnert war.

Dann lagen wir nebeneinander im Bett, starrten an die Mauer. Und einzig an der Behutsamkeit, mit der wir uns voneinander abwandten, hätte man etwas merken können, würdig, Liebe genannt zu werden.”

Sind das meine Geschichten? Sie sind es oder könnten es doch sein. So verhält es sich wie bei einer schier endlosen Rechnung: Nicht die Methoden und Wege können interessieren, denn sie sind austauschbar. Das bin ich, sagt man und lächelt noch über so viel Entschiedenheit.

So fällt alles in eins zusammen: ins noch immer währende Da-Sein. Das erstaunt. Ich betrachte das, was man nennt: mein Leben. Bei aller Nachsicht: Es ist lächerlich. Und alle Nachsicht und alle Lächerlichkeit resultieren daraus, daß man nicht weiß, ob es gut war, ob es schlecht war, und was es bedeutet.

Ist man undankbar? Man wollte ja die Bedeutung verlieren, leben, lebendig sein. Jetzt ist es soweit. Man hält Ausschau: Die Welt zeigt sich. Immer zeigt sich mir jetzt die Welt, so fremd, wie sie tatsächlich ist.

„In dieser Zeit dachte ich, es sei alles verloren, so könnte ich nicht leben. Immer wieder rief ich die Frau an, aber sie war nicht da. War sie da, sprach sie nicht mit mir. So ging ich herum und beschloß, zu sterben. Es wehte ein kalter Wind durch das Zimmer, als ich mein Werkzeug zurechtlegte.

Die Frau kam zurück. Aber zu wem? Als sie mir sagte, daß sie mich lieb habe, mußte ich in mir nachforschen, den zu finden, den sie meinte.

Du hast dich geirrt, sagte ich dann, du bist an den Falschen geraten, du solltest das wissen.

Die Frau weinte, und ich weinte mit ihr, aber aus Mitleid. Ich ging dann fort.”

„In einer anderen Geschichte wurde ich geliebt. Ich schaute auf den Boden oder legte eine Schallplatte auf, um es nicht sehen zu müssen. Oder ich brachte Geschenke, mich zu verbergen. Es half aber nichts. Wer liebt, will das Ganze.

Wir gingen über einen Kai, auf dem viele Menschen waren. Ein arges Gedränge war da. Schön schien die Sonne herein über die Menschen und die Wasserstraße und über die Bäume, die an dem Rand standen und tuschelten.

Für einen Moment trieb uns der Menschenstrom auseinander. Der Mann mit dem Karren rief laut und ärgerlich. Dann gingen die Kinder vorbei. Ich blieb stehen, wo ich war. Die Frau wurde fortgenommen. Vielleicht suchte sie mich. Ich tat nichts. Wir verloren einander. So war das.”

Warum alle meine Geschichten Liebesgeschichten sind? Es sind die wichtigsten. Neben denen, die vom Haß handeln. Während aber diese all ihre Feuerstrahlen verlieren und kalt werden, leuchtet hinter jenen stetig ein Helles: ein Gesicht, Gelächter, Atemlosig-keit. Oder fliegendes Wasser; oder ein Klirren; oder ein Zweig; oder das Stille schlechthin; oder die Froschfinger der Traurigkeit. Ich erlebe nichts mehr. Nicht daß ich deshalb im Zurückschauen aufginge. Oder im Abschied-Nehmen. Ich fahre einfach fort. Wie auch Planeten ihre Bahn bestreichen. Man mag das für unmenschlich halten. Aber was ist das: das Menschliche? Was wissen wir darüber?

Manche denken an den Tod. Zu diesen zähle ich nicht. Wir sind doch im Leben bis zuletzt. Uber anderes haben wir keine Verfügung. Das Leben hervortreiben, immer einfacher, in schöner Versammlung, wie etwa ein Schmied seine Formen hervorbringt, das scheint es mir wert, hier umzugehen.

Wenn etwa ein Vogelschwarm auffliegt, die Wiesen so grün; wenn etwa Menschen einen Zug verlassen und die Wartenden begrüßen; wenn eine Frau auf den Balkon heraustritt, die Blumen dort zu wässern: Das alles ereignet sich. Man mag es beachten oder nicht. Man sollte es tun. Es ist einfach das Leben selbst.

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