Aus dem Krieg in ein bisschen Frieden stolpern

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Zwei Kriegsopfer, die auf ihrer Flucht vor dem Töten und Getötetwerden in Kolumbien zu Heldin und Held werden - weil sie müssen.

Mit acht Jahren wurde Angelina von ihrem Vater sexuell missbraucht. Die Mutter hat ihr nicht geglaubt, daraufhin ist sie zu ihren beiden Cousins in den Urwald gelaufen - die haben ihr zugehört und sie aufgenommen. So ist Angelina eine FARC-Rebellin geworden, denn ihre Verwandten waren Soldaten der kolumbianischen Guerilla.

Die FARC, die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens, sind mit der Befreiung der "berühmtesten Geisel der Welt", Ingrid Betancourt, im letzten Sommer wieder ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gerückt. Wenig bis gar nicht bekannt ist jedoch die Tatsache, dass ein Drittel bis zur Hälfte der Rebellen Rebellinnen sind.

Die Wiener Soziologie-Studentin Maria Hörtner hat sich für ihre Diplomarbeit mit diesen Frauen beschäftigt, ihre Motive für den Einstieg in die Guerilla erforscht. Hörtner hat mit Angelina gesprochen, und ihr Weg in den Krieg ist keine Ausnahme, sondern "viele Frauen kommen in die FARC, weil sie in der kolumbianischen Macho-Gesellschaft zu Opfern geworden sind" und sich bei der Guerilla bessere, weniger frauenfeindliche Verhältnisse erhoffen.

Gleichberechtigte Rebellinnen

Diese Hoffnung wird nicht enttäuscht, sagt Hörtner, in der FARC "machen alle alles: kämpfen, kochen, Geiseln bewachen …" Ohne die gläserne Decke kommen aber selbst die marxistischen Guerillas nicht aus: In den obersten Führungsrängen finden sich nur Männer. Im Gegensatz zur zweiten kolumbianischen Untergrundarmee, den Paramilitärs, wo Frauen nur als Sexarbeiterinnen geduldet sind, wird laut Hörtners kolumbianischen Gesprächpartnerinnen bei der FARC bis zu einem gewissen Grad Gleichberechtigung gelebt. Von den anderen sozialistischen Idealen, die zu FARC-Gründungszeiten in den 1960er Jahren sogar Priester in die Guerilla gelockt haben, ist nicht viel übrig. So wie die Paramilitärs ist die FARC massiv in den Drogenhandel involviert, sind aus den revolutionären Helden Kriminelle geworden.

Über 170 Menschen aus der kolumbianischen Friedensgemeinde San José de Arpatado wurden in den letzten zehn Jahren vor allem von Paramilitärs, aber auch von FARC-Rebellen ermordet, hunderte verfolgt, verletzt, gefoltert. Der Bauer Wilson David Higuita gehört zu diesen Verfolgten. Higuita ist im Leitungsgremium der Friedensgemeinde und weiß am Abend, wenn er mit seiner Frau und den vier Kindern schlafen geht, nicht, ob sie am nächsten Morgen wieder aufstehen oder ob sie in der Nacht überfallen und getötet werden.

Krieg gegen Friedensgemeinden

Die kolumbianischen Friedensgemeinden sind nämlich ein Affront für die Kriegstreiber und Kriegsgewinnler, darunter auch internationale Agrarkonzerne. Ausgehend von der Initiative eines Bischofs 1997, der kurz nach Umsetzung seiner Idee zuerst versetzt und dann ermordet wurde, steigen Friedensgemeinden aus dem Krieg aus: Sie erklären sich neutral, dulden keine Waffen in ihren Dörfern und unterstützen keine der kriegsführenden Parteien nach dem Motto: "Es ist Krieg, aber wir machen nicht mit!"

Und weil sie nicht mehr mitmachen beim Kämpfen und Töten, werden er und die anderen bekämpft und getötet. "Es muss jemand mit dem Frieden anfangen", antwortet er auf die Frage, warum er sich nicht auf eine Seite schlägt und in eine Kriegsgemeinde zieht.

Und auch Angelina ist nach zwölf Jahren mit einem Kampfgefährten aus der FARC ausgestiegen. Sie will ein normales, friedliches Leben beginnen. Aber auch bei ihr ist nicht sicher, ob man sie lässt. Wie Friedensgemeinden sind Kriegsaussteiger ebenfalls nicht gern gesehen. (wm)

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