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Václav Havel, der scheidende tschechische Präsident, zählt für Barbara Coudenhove-Kalergi zu den "Großen des 20. Jahrhunderts": "Er hat immer so gesprochen, wie ein normaler Mensch spricht, nicht in Leerformeln und Phrasen", meint die langjährige Prag-Korrespondentin.

Die Furche: "Versuch in der Wahrheit zu leben" heißt ein bekannter Essay von Václav Havel. Konnte er selbst diesem Vorsatz treu bleiben?

Barbara Coudenhove

Kalergi: Für mich ist Václav Havel einer der Großen des 20. Jahrhunderts. Er hat in seinem Land Standards gesetzt. In der Kommunistenzeit war es ja so, dass die miesesten Typen und Eigenschaften - die jedes Land hat: Korruption, Opportunismus, Feigheit - in der Auslage gestanden sind. Havel hingegen hat das Beste seiner Nation, die schönsten Eigenschaften und Traditionen seines Volkes verkörpert. Das hat diesem neuen Staat etwas gegeben, was es ohne ihn nie bekommen hätte.

Die Furche: Welche Rolle spielt der Staatspräsident in der tschechischen Politik?

Coudenhove-Kalergi: Das tschechische Präsidentenamt ist schon vom Gründer Masaryk her mit einem hohen Ansehen behaftet - mehr als bei uns. Der Präsident thront auf der Prager Burg. Auf seiner Fahne steht: "Die Wahrheit siegt" - der Wahlspruch von Jan Hus. Da schwingt ein sehr hoher moralischer Anspruch mit. Der tschechische Präsident war nach 1918 so etwas wie der Nachfolger des böhmischen Königs, den es ja jahrhundertelang nicht mehr gegeben hat.

Die Furche: Und 1989 ist in seiner Bedeutung für Tschechien vergleichbar mit 1918...

Coudenhove-Kalergi: Das war eine besondere Situation, und da kommen besondere Menschen heraus. Havel ist ja auch eine Ausnahme als Typ, als Nicht-Politiker. Wie sie halt kommen nach Revolutionen. Eine solche Biografie, ein solches Auf und Ab, vom Gefängnis ins Präsidentenamt, das hat ein normaler Politiker einfach nicht. Das gibt es nur in Ausnahmezeiten.

Die Furche: Einmal konnte selbst der Ausnahmepolitiker Havel nicht mehr vermitteln: Tschechien und die Slowakei haben sich vor zehn Jahren trotz Havels Warnungen getrennt.

Coudenhove-Kalergi: Das war etwas, was ihm sehr Leid getan hat. Diese Vielfalt hat dem Land auch gut getan. Tschechien hat die Juden verloren, es hat die Deutschen verloren - mit der Slowakei war noch so ein Rest von Vielvölkerstaat da. Das Regieren ist zwar komplizierter, aber ich glaube, es tut einem Land gut, wenn verschiedene Elemente vertreten sind. Die Trennung ist schließlich jedoch glatt und reibungslos verlaufen. Beide Staaten haben sich ganz gut entwickelt.

Die Furche: Havel wurde im Zusammenhang mit der Staatentrennung, aber auch sonst öfters als "naiv" verspottet.

Coudenhove-Kalergi: Das war doch eine seiner reizvollen Eigenschaften: Einer, der sich nicht der politischen Routine und dem Zynismus, den dieses Geschäft mit sich bringt, unterwirft. Er hat immer so gesprochen, wie ein normaler Mensch spricht, nie in Leerformeln und Phrasen Zuflucht gesucht. Jede seiner Reden war von ihm selbst geschrieben, hatte seine Sprache, seine Authentizität. Und er hat seine Zuhörer nicht geschont, seinen Landsleuten ganz schön die Wahrheit gesagt.

Die Furche: Wie beurteilen Sie seine Rolle bei der Aussöhnung mit den vertriebenen Deutschen.

Coudenhove-Kalergi: Er war der Erste, der dieses Unrecht beim Namen genannt hat. Ich habe ihn einmal gefragt, was er deutschen Vertriebenen sagen würde. Er würde diese Menschen einladen, hat er geantwortet, in ihr Dorf, in ihre Stadt zu kommen. Sie sollen doch die Gräber ihrer Eltern besuchen und versuchen, zu lernen, mit dem Schmerz zu leben. Genauso wie die Tschechen lernen müssen, mit dem Schmerz über diesen Verlust zu leben.

Die Furche: Wie haben Sie Havel im persönlichen Kontakt erlebt?

Coudenhove-Kalergi: Einmal in der kommunistischen Zeit habe ich ihn interviewt, wie er gerade aus dem Gefängnis herausgekommen ist. Obwohl er die Auflage gehabt hat, keine Interviews zu geben, hat er mir das Gespräch nicht verweigert. Diese Freundlichkeit, den Humor und Witz, die schönste tschechische Eigenschaft, hat er sich immer behalten. Das Netteste über Havel habe ich jedoch von jemandem gehört, der mit ihm eingesperrt war. Der hat mir gesagt: Die Art, wie sich Václav Havel um seine Mitgefangenen gekümmert hat, wäre schon genug für ein Lebenswerk. Und in der Zwischenzeit hat Havel ja noch einiges anderes geleistet.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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