Zerrieben im Rosenkrieg

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Was ist, wenn nichts mehr geht, wenn ein Rosenkrieg kein Ende nimmt und keine Einigung bei Obsorge- und Besuchsrechten erzielt wird: Eine Skizze der gerichtlichen Entscheidungsfindung und möglicher Auswege aus dem Konflikt.

Wie wäre es, wenn ich die Mama doch ein bisschen lieb haben könnte", fragt ein achtjähriges Mädchen schüchtern: "Und wenn mich dann der Papa nicht mehr lieb hat?"

Die Aussagen dieses Kindes sind nur der Gipfel eines monatelangen Streites um Obsorge und Besuchsrechte, der sich oft über Jahre hinzieht. Wie in diesem Beispiel: Nach der Scheidung behielten beide Eltern des Mädchens zwar die Obsorge (siehe unten), das Kind lebte aber bei seiner Mutter. Dann trat ein neuer Mann ins Leben der Mutter, der seine Erziehungsaufgaben sehr ernst nehmen wollte. Es folgten Konflikte zwischen dem Kind und dem Stiefvater in Spe. Nach einem Wochenende beim Vater wollte das Mädchen nicht mehr zur Mutter zurück. Die erzürnte Mutter beantragte das alleinige Sorgerecht, der Streit vor Gericht ging in eine neue Runde.

Türme von Gerichtsakten

Ein paar Jahre zurück. Wie meistens alles anfängt: Ein Rosenkrieg ist entbrannt, die Obsorge über die Kinder ist höchst umstritten, vielleicht auch Vermögen und Unterhalt eines Elternteiles. Der Fall liegt vor einem Familiengericht. Beide Seiten werden angehört; es wird auf beide eingewirkt, doch eine Lösung zu finden, vielleicht auch aus eigener Kraft mithilfe eines Mediators. Wenn das nichts fruchtet, wird das Jugendamt eingeschaltet. Es wird um eine Stellungnahme gebeten. Die Sozialarbeiterinnen des Jugendamtes versuchen einzuschätzen, zu welchem Elternteil das Kind die stärkere Bindung hat; wie ist die familiäre Situation, wie verhalten sich die Eltern untereinander und gegenüber dem Kind? "Bei eskalierenden Rosenkriegen kommt man um ein psychologisches Gutachten nicht herum", erklärt Silvia Rass-Schell von der Jugendwohlfahrt Tirol. Ab einem gewissen Alter wird auch der Wille des betreffenden Kindes berücksichtigt, ab 14 Jahren ist dieses Recht gesetzlich verankert. Ist das nicht eine Zumutung für das Kind, sich zwischen Mama und Papa entscheiden zu müssen? "Natürlich, aber eine Entscheidung muss getroffen werden."

"Die Scheidungskriege sind schlimmer geworden", resümiert auch Werner Gerstl seine 25-jährige Erfahrung als Gutachter in höchst strittigen Obsorgekonflikten. Der Primar und Leiter der Kinder- und Jugendneuropsychiatrie an der Landes-Frauen- und Kinderklinik Linz wird in solchen Fällen vom Familienrichter um ein Gutachten gebeten. Eine aufwendige Entscheidungsfindung, wie Gerstl betont. Mehrere Sitzungen sind notwendig, manchmal auch der Besuch in der Familie. Herauszufinden, bei welchem Elternteil das Kind mehr Sicherheit spürt, heißt die schwierige Aufgabe. Ein Gutachten benötigt zirka 30 Stunden an Gesprächen und Beobachtungen. "Es braucht viel Erfahrung, herauszufinden, was Kinder wirklich denken und was ihnen eventuell indoktriniert wurde. Da geht es dann oft um Bagatellen", erklärt Gerstl. "Der eine Elternteil wirft dem anderen vor, das Kind sei heute aber schlecht angezogen. Dazwischen stehen die Kinder, die in einem Loyalitätskonflikt zerrieben werden."

Das Gutachten des Experten wird in den allermeisten Fällen vom Richter oder der Richterin des Gerichts als Urteilsgrundlage übernommen, wie auch Familienrichterin Doris Täubel-Weinreich vom Wiener Bezirksgericht Innere Stadt und Fachgruppenleiterin für Familienrecht bei der Richtervereinigung erklärt: In den meisten Fällen kann ein Obsorgeprozess in einem Jahr in erster Instanz abgeschlossen werden. "Doch anders als beispielsweise bei einem Verkehrsunfall entwickelt sich die Sachlage bei Obsorgeprozessen immer weiter", weist die Richterin auf den Zeitfaktor hin. Dann tritt ein neuer Lebensgefährte ins Leben eines Elternteiles, somit stimmt das erste Gutachten nicht mehr, weil sich das familiäre Umfeld wesentlich verändert hat; dann braucht es ein neues Gutachten, usw. Wenn etwa ein zweijähriges Kind den anderen Elternteil schon eine gewisse Zeit nicht gesehen hat, dann geht der Bezug grundlegend verloren.

Welche Auswege gibt es? Zunächst Mediation, also eine außergerichtliche Streitschlichtung. Bei der Mediation wird das Paar von einer geschulten Person (meist im Basisberuf Jurist oder Psychologe) angeregt, zu einer eigenständigen und gemeinsamen Einigung und Vereinbarung zu gelangen. Das Paar sollte also selbst einsehen, dass es seine Elternschaft weiterhin leben muss, auch wenn die Paarbeziehung gescheitert ist. Richter verweisen auf diese außergerichtlichte Schlichtungsmöglichkeit zu Beginn eines Prozesses. Ob Mediation auch bei hoch strittigen Rosenkriegen noch Sinn macht, ist unter Fachleuten umstritten.

Der Männer- und Paarberater Gottfried Kühbauer (siehe Seite 3) meint etwa, dass bei Rosenkriegen vor einem Urteil Mediation verpflichtend sein müsste. Andere Experten entgegnen wiederum, dass Mediation unter Zwang kaum funktioniere.

Wer hilft dem Kind?

Ein weiteres Instrument - diesmal mit Fokus auf die Kinderechte - ist der "Kinderbeistand". Hier wird dem Kind bei eskalierenden Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren eine Person mit psychosozialer Ausbildung zur Seite gestellt, die als Sprachrohr und Begleiter des Kindes fungiert. Das Projekt "Kinderbeistand" läuft im Auftrag des Justiz- und Familienministeriums seit Anfang 2006 und wird als Modell im kommenden Juni abgeschlossen und evaluiert. Erste Erfahrungen von Experten sind positiv, wenn auch der Kinderbeistand bisher nur sehr zögerlich von Richtern eingesetzt wurde. Die Richterin Täubel-Weinreich gibt an, erst in einem Fall einem Kind einen Beistand zur Seite gestellt zu haben, auch wenn sie betont, dass dieser für das Kind sehr viel an Entlastung bringe. Ihre Erklärung: Es ist zunächst noch ein Modellversuch, der eine Anlaufzeit benötigt. Zudem würde sich nicht jeder Fall dazu eignen. Kinder müssen zwischen sechs und 18 Jahre alt sein. Die Familienrichterin bezweifelt überdies, dass ein Kinderbeistand bei jahrelang schwelenden Konflikten noch etwas bringe. Der Beistand sei ja auch dazu da, Eskalation zu verhindern.

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