Einmal Kirche und zurück

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Am 9. April jährt sich der Todestag Dietrich Bonhoeffers, der in den letzten Tagen des Dritten Reiches im KZ ermordet wurde, zum 60. Mal. In Bonhoeffers Leben und Denken spiegelt sich die Geschichte eines Großbürgers mit der Kirche.

Ganz offen reden die Leute hier von der Angst, die sie gehabt haben", schrieb der Theologe Dietrich Bonhoeffer nach einem Bombenangriff aus dem Gefängnis. Dem Theologen und Verschwörer gegen Hitler war der spontane Ausdruck von Gefühlen suspekt: "Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll; denn eigentlich ist die Angst doch etwas, dessen sich der Mensch schämt. Ich habe das Empfinden, man könnte eigentlich nur in der Beichte davon reden. Es kann sonst so leicht etwas Schamloses darin liegen."

Renate Bethge, die inzwischen 79-jährige Nichte von Dietrich Bonhoeffer, erinnert sich an den letzten Besuch im Gefängnis: Ihr Onkel sei sicher aufgetreten und "vergnügt": "Es war merkwürdig, dass er vollkommen so wie immer war." Auch im Gefängnis bewahrte der Mann aus großbürgerlichem Haus Haltung. "So hatte man zu sein", erklärt Renate Bethge. Um die anderen nicht zu beunruhigen, bewahrte man Haltung und hielt Gefühle zurück.

Nicht religiös, aber christlich

Das war aber nicht nur Überlebenshilfe in der Extremsituation der Gefangenschaft, es war auch Teil der Familientradition. Der Vater von Dietrich Bonhoeffer war Psychiatrie-Professor an der Berliner Charité. Er erzog die Kinder zur "Sachlichkeit". Die Brüder und Schwäger von Dietrich waren Naturwissenschaftler und Juristen, und als solche Universitätsprofessoren oder hohe Staatsbeamte. Man gehörte zur Elite des Landes und war sich dessen wohl bewusst. Dass Bonhoeffer Theologie studierte, war ihm von der Familie nicht vorgegeben. Renate Bethge erinnert sich: "Wir waren nicht religiös, aber unbedingt christlich." Man ging in die Kirche, aber nicht zu jedem Pastor. Man erlaubte sich ein eigenständiges Urteil. Das führte Bonhoeffers Mutter, die frömmste in der Familie, nach 1934 auf die Seite der Bekennenden Kirche.

Nicht religiös, aber christlich. Das klingt nach Bonhoeffers berühmten Thesen aus dem Gefängnis, dass das Christentum religionslos interpretiert werden müsse. "Wenn also die Menschen wirklich radikal religionslos werden - und ich glaube, dass das mehr oder weniger bereits der Fall ist - was bedeutet das dann für das Christentum'? Wie kann Christus der Herr auch der Religionslosen werden? Gibt es religionslose Christen?"

Wurde diese Thesen schon in seiner Familie vorgebildet? Oder andersherum: Entwarf Bonhoeffer im Gefängnis eine Theologie für das Großbürgertum - nachdem er von der Kirche mehr und mehr enttäuscht war?

Theologie fürs Bürgertum?

Mit dem Theologiestudium in den zwanziger Jahren zog Bonhoeffer erst einmal aus, die Kirche zu entdecken: In rasantem Tempo studierte Bonhoeffer, promovierte über die soziale Gestalt der Kirche, habilitierte sich und war nach Auslandsaufenthalten in Spanien und den usa gerade 25-jährig Privatdozent an der Berliner Universität. Eine seiner ersten Vorlesungen im Sommer 1932 handelte über "Das Wesen der Kirche". "Da kam ein junger Mann rein mit wiegenden Schritten. Mit einer unwahrscheinlichen Energie ging er auf das Podium und erklärte, was er so vorhätte", erinnert sich Wolf-Dieter Zimmermann, Student bei Bonhoeffer und später Seminarist im Predigerseminar Finkenwalde: "Er fing mit den schönen Sätzen an: Wir fragen alle: Brauchen wir die Kirche noch, brauchen wir Gott noch, brauchen wir Christus? Diese Frage ist falsch gestellt. Gott ist da, Christus ist da, die Kirche ist da. Könnt ihr nicht ändern, könnt ihr nur ja oder nein sagen.' Das hat mir imponiert."

Bonhoeffer engagierte sich für die Bekennende Kirche in Deutschland, die sich in Abgrenzung zu den "Deutschen Christen" bildete, also den Christen, die sich an den Nationalsozialismus annäherten. Bonhoeffer leitete über mehrere Jahre ein Predigerseminar der Bekenntniskirche. Dort wurden Theologen ausgebildet, die von der Bekennenden Kirche aus Spenden bezahlt wurden. Das waren die so genannten "Illegalen", die keine Anstellung bei den offiziellen Konsistorien der evangelischen Landeskirchen erwarten konnten. Bonhoeffer war kompromisslos in seinem Eintreten für die Bekennende Kirche. Sie war für ihn die einzige wahre Kirche in Deutschland: "Extra ecclesiam nulla salus. Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil", schrieb er in einem Aufsatz, "Die Grenzen der Kirche, sind die Grenzen des Heils. Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche trennt, trennt sich vom Heil." Für diese Worte bekam er auch innerhalb der Bekennenden Kirche Gegenwind. So ernst wollten viele ihre Kirche nicht nehmen.

Weg in den Widerstand

Über seine Familie - besonders den Schwager Hans von Dohnanyi - fand Bonhoeffer den Weg zum politischen Widerstand. Ein Weg, den er ohne Unterstützung seiner Kirche gehen musste, da diese den Mord am Tyrannen nicht als christliche Tat akzeptieren wollte.

Für den Widerstandskreis um Admiral Wilhelm Canaris reiste Bonhoeffer zu Kirchenleuten im Ausland, die er über die Ökumenische Bewegung kennen gelernt hatte. Über sie wollte er ausloten, wie die alliierten Regierungen zu einem Putsch gegen Hitler stehen. Außerdem schrieb Bonhoeffer in dieser Zeit eine Ethik. Darin begründete er, dass der verantwortlich Handelnde bereit sein müsse, Schuld auf sich zu nehmen.

Gott braucht die Menschen

Im April 1943, kurz nachdem er sich mit der 18-jährigen Maria von Wedemeyer verlobt hatte, wird Bonhoeffer verhaftet. Mit Lesen und Briefeschreiben versucht Bonhoeffer seine Gefängnistage zu gestalten. Er resümiert die Erfahrungen der vergangenen Jahre: Die Kirche war nicht zum Widerstand bereit und hat sich nicht für das Gute eingesetzt, aber andere aus dem Bürgertum haben sich - freilich nicht unbedingt aus christlichen Motiven, vielleicht sogar aus sehr ambivalenten Motiven - für das Gute engagiert. In den Briefen an den Freund Eberhardt Bethge entwirft Bonhoeffer eine neue Theologie. Die Welt sei mündig geworden, schreibt er, und brauche die "Arbeitshypothese Gott" nicht mehr als Lückenbüßer für das, was man anders nicht erklären oder meistern könne. Die Kirche, die den Menschen einrede, dass sie ohne Gott nicht leben könnten, ist ihm suspekt. "Es zeigt sich, dass alles auch ohne Gott' geht, und zwar ebenso gut wie vorher." Darin spiegelt sich vielleicht nicht nur seine Erfahrung mit der Kirche, sondern auch das Selbstbewusstsein seiner bürgerlichen Familie, die auch ohne Kirche gut leben konnte.

Es gehe nicht darum, dass die Menschen Gott bräuchten, sondern dass Gott die Menschen brauche: "Christen stehen bei Gott in seinem Leiden" schreibt er in einem seiner Gedichte, die er in der Haft verfasst hat. Gott ist für ihn nicht mehr der deus ex machina, der von oben eingreift: "Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt!" schreibt er in fast schon mystischer Paradoxie; und: "Nur der leidende Gott kann helfen." Die Kirche, die einen allmächtigen Gott verkündet, tendiert dazu den Menschen klein zu machen. Der selbstbewusste Bürger Bonhoeffer will dem "kleinen", unter den Menschen leidenden Gott beistehen.

Tod im KZ Flossenbürg

Ungeschützt und fragend vertraut Bonhoeffer diese Überlegungen in Briefen seinem Freund an. Er selbst kann die Gedanken nicht mehr ausarbeiten. Kurz vor Kriegsende am 9. April 1945 wird Dietrich Bonhoeffer im kz Flossenbürg ermordet. Dass er in die richtige Richtung gefragt hat, zeigt das Echo: Eberhardt Bethge gab die Briefe nach dem Krieg unter dem Titel "Widerstand und Ergebung" heraus. Das Buch wurde bisher in 16 Sprachen übersetzt und ist damit eines der einflussreichsten theologischen Werke des 20. Jahrhunderts geworden.

Dem Rad in die Speichen fallen - Die Lebensgeschichte des Dietrich Bonhoeffer

Von Renate Wind. 6. Auflage, Beltz & Geberg, Weinheim 2004. 238 S., TB, e 7,40

Dietrich Bonhoeffer - Freiheit hat offene Augen. Eine Biografie

Von Josef Ackermann. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2005, 272 Seiten, geb. m. zahlr. Fotos, e 20,50

Dietrich Bonhoeffer. THEOLOGE - CHRIST - ZEITGENOSSE. Eine Biographie Von Eberhard Bethge. 8., korr. Aufl., Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2004, 1132 Seiten, geb. mit 40 Abb., e 51,40

Dietrich Bonhoeffer. Eine Skizze seines Lebens. Von Renate Bethge. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2004, 87 Seiten, geb. m. zahlr. Fotos, e 13,40

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