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Börsebarometer: heiter

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Zwei Merkmale zeigen die gewandelte soziale und wirtschaftliche Situation in Österreich besonders deutlich: das Ausmaß der Privatmotorisierung und das erhöhte Interesse am Wertpapier. t

Das Interesse am Wertpapier zeigt sich in einer außerordentlich gewachsenen Kaufneigung auch bei Bevölkerungsgruppen, die früher bestenfalls das Kontensparen gepflegt hatten. Die stärkere Kaufneigung wieder findet ihren Niederschlag in. den Kursen der Wertpapiere und vor allem in den Kursbewegungen. Sie zeigen in Österreich eine Spannweite, die mit den Kursänderungen in der großen Welt konform gehen: einen erheblichen Kursanstieg. Nur in New York (im Durchschnitt minus 9,3 Prozent), in London (minus 9,8 Prozent) und verständlicherweise in Brüssel ist 1960 eine rückläufige Bewegung zu verzeichnen gewesen.

Eine Dokumentation der Kursbewegungen in Österreich enthält die nunmehr wieder. vorliegende „Übersicht in Wien gehandelter Wertpapiere für das Jahr I960” (Herausgeber CA-BV).

Die Anleihen zeigen nach der Übersicht im Jahre 1960 im allgemeinen keine besondere Bewegung. Verständlich, erwirbt man doch etwa eine Bundesschuldverschreibung wegen des relativ und zuweilen ungesund hohen Zinsfußes. Man nimmt aber anderseits zur Kenntnis, daß eine Anleihe im allgemeinen kein substanzgesichertes Papier ist. Diese Tatsache spielt aber in Zeiten eine Rolle, in denen man Grund zur Vermutung hat, daß die Kaufkraft des Geldes in einem relativ großen Umfang reduziert werden kann. Jedenfalls haben die Kurse der Anleihen im Berichtsjahr, wenn freilich nur in einem geringen Umfang, nachgegeben.

Anders liegen die Dinge bei den Aktien. Das nominelle Erträgnis einer Aktie liegt im allgemeinen unter jenem einer Anleihe. Zumindest ist es derzeit so. Wenn man eine Aktie erwirbt, geschieht dies meist nicht wegen der Rendite allein, sondern um sich einen Anteil an der Substanz eines Unternehmens zu sichern. Die Aktie ist, da sie ein Quoteneigentum am Reinvermögen einer Aktiengesellschaft (auch an den Stillen Reserven) darstellt, ein faktisch wertgesichertes Papier, freilich nur in politisch ruhigen Zeiten. Im Bewußtsein, in der Aktie ein tatsächlich substanzgesichertes Papier zu haben, nimmt man unter Umständen auch eine geringe Dividende in Kauf. Wenn die Reingewinne von den Aktiengesellschaften einbehalten und zur Selbstfinanzierung verwendet werden, steigen dadurch die inneren Werte der Aktien. Formell ist daher bei einer Dividende, die erheblich geringer ist, als dem Reingewinn entspricht, für den Aktionär keine effektive Gewinnvorenthaltung eingetreten. Die Aktie hat dann gleichsam in jenem Umfang, in dem Gewinne nicht5 aus- geschüttet wurden, an innerem Wert gewonnen.

Gegenüber 1959 sind nun, wie die „Übersicht” ausweist, so gut wie alle Aktien in Österr reich gestiegen, oft fast auf das Doppelte und relativ stärker als in der Bundesrepublik, in der nach der stürmischen Hausse von 1959 im Durchschnitt des Jahres 1960 die Aktien nur noch eine Kurserhöhung von 37,6 Prozent erfahren haben (gemessen bei 700 Aktien). Auch Papiere, die ohne oder ohne nennenswertes Erträgnis waren, verzeichneten an der Wiener Börse Kurssteigerungen, ein Umstand, der unter anderem auf die nicht sehr wohlbedachten Vorgänge um die Budgeterstellung für 1961 zurückgeführt werden muß. Leider fehlt uns ein für die Kursbewegung repräsentativer Index, wie ihn die Börse in New York im Dow-Jones-Index hat, so daß man nur mit dem Hinweis auf Einzelbeispiele arbeiten kann.

Das Ausmaß des Kursanstieges ist in manchen Papieren kaum mehr vertretbar, um so mehr, als vielfach Aktien auch wegen des zu erwartenden Erträgnisses erworben werden. Jedenfalls sinkt für den Erwerber die Rendite einer Aktie gegenläufig zum Ankaufskurs. Wird bei einer Aktie eine Dividende von fünf Prozent gezahlt, bringt sie dem Käufer, der das Papier um 500 S erworben hat (= S je 100 des Nominales, von dem aber die Dividende gerechnet wird), nur eine Rendite von einem Prozent, da eben für 500 S Kaufpreis lediglich fünf Schilling Dividende gezahlt werden (abzüglich der Kapitalertragssteuer). Die höchste Rendite einer österreichischen Aktie betrug 1960 4,8 Prozent (Tiroler Röhren- und MetallweTke), also erheblich weniger als die Verzinsung einer durchschnittlichen Anleihe. Bei manchen Papieren belief sich die Rendite auf knapp ein Prozent oder sie lag sogar darunter (Hotel Krantz, Donau- Chemie). Anderseits konnten bei den festverzinslichen Wertpapieren, etwa bei der Schweizer Frankenanleihe der AEG-Union, Renditen über neun Prozent gemessen werden.

Die relative Höhe des Kursanstieges weist jedenfalls eine ungesunde Entwicklung und eine spekulative Erwartung aus, die sachlich kaum gedeckt ist. Die Intensität des Interesses vieler Spekulantengruppen an der Börse erinnert irgendwie an die Hysterie der Gründerzeit, wenn auch-diesmal die in Frage kommenden “Unternehmungen überwiegend gesund sind.

Es ist angesichts der vielen Unbekannten kaum möglich, Prognosen über die Kursentwicklung 1961 zu stellen. Man kann lediglich vermuten, daß die Kurssteigerungen kaum mehr das relative Ausmaß annehmen werden, das ‘das Jahr 1960 ausgezeichnet hat. Sollte die Wirtschaftspolitik, vor allem die öffentliche Finanzwirtschaft, sich in ihren Maßnahmen normalisieren, ist anzunehmen, auch als Folge der „Tiefstapelei mit Dividenden”, daß sich die Kurse 1961 erheblich ruhiger entwickeln werden als 1960. Jedenfalls bildet der Umfang der Fonds, die für spekulative Käufe verfügbar sind, ebenso eine Kursbremse wie die Höhe’der Kurse selbst, die die Kaufneigung derzeit keineswegs allein anregen.

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