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Gefährliches Gerede

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Seit Jahren erleben wir nun das pünktlich mit dem Rascheln der fallenden Blätter einsetzende Geflüster um Schilling, Abwertung und Inflation.

Und zwar geschieht das jedesmal, ohne daß in der Wirtschaftsstruktur des Landes erhebliche Aenderungen eingetreten sind, die die Gerüchte sachlich zu decken vermöchten. Oberflächlich betrachtet scheint es. manchem Kleingläubigen so, als ob die ersten Septembertage von wohlausgeruhten und wiederaufgepumpten Unternehmern und Gewerkschaftsführern dazu benutzt werden, um mit einem von kräftigen Muskeln zeugenden Ruck Löhne und Preise „anzuheben“ und auf diese Weise geradezu als Herbstsport den Schilling, wie ehedem die Kipper und Wipper es bei den Edelmetallmünzen taten, am Rand abzuschaben. Jede Preissteigerung und jede Lohnforderung wird dramatisiert und mit Zusammenbruchsproplrezeiungen verbunden.

Dabei kommt jenen, die (oft auf Grund ihres Berufes) von sich glauben, in wirtschaftlichen Fragen „weitsichtig“ zu sein, der allen merkbare Tatbestand einer offensichtlich vorhandenen säkularen Inflation entgegen, von dem ausgehend man voreilige Schlüsse ziehen kann. Unter säkularer Inflation versteht man eine andauernde, aber geringfügige und durch die Erhöhung der Nominaleinkommen überkompensierte Steigerung der Preise eines gewichtigen Teiles der Güter, vor allem der Lohngüter (besser: der Güter des Massenkonsums). Seitdem die Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt ein Machtgleichgewicht erreicht haben, verlaufen im allgemeinen die Lohnbewegungn nur noch in Richtung nach oben. Nun können - denken wir an die Dienstleistungsbetriebe — manche Unternehmer Lohnerhöhungen nicht über Rationalisierungen auffangen, sondern müssen sie ganz oder teilweise auf den Preis weitergeben. Handelt es sich um Güter des starren Bedarfes (dessen Nichtdeckung starker Widerstand von Seiten des Konsumenten entgegengesetzt wird, wie bei der Benützung von Personentransportmitteln), kann die Preissteigerung durchgesetzt werden. Dazu kommt, daß der Mehrlohn, der ja meist als Nachfrage, und zwar als zusätzliche Nachfrage, auf den' Märkten auftritt, nicht immer eine entsprechend große Gütermenge vorfindet. Sind die Preise aber beweglich (flexibel), werden die Angebotslücken einfach durch Preissteigerungen geschlossen.

Wer nun die Preiskurve verfolgt, welche die säkulare Inflation andeutet, muß auch die Einkommenskurve ansehen. Es zeigt jedenfalls von Primitivität, wenn Menschen, die in der „Gesellschaft“ ihre eminente Bildung zu demonstrieren suchen, lediglich und wie fasziniert die Preise, nie aber das oft relativ erheblich mehr gestiegene Einkommen betrachten.

Wenn als Folge einer säkularen Inflation die Preise in einem Jahr um 3 Prozent steigen, die Einkommen im Durchschnitt aber um 10 Prozent, ist ein Reallohnanstieg vorhanden, der im volkswirtschaftlichen Durchschnitt im Beispielsfall 7 Prozent ausmacht. Die Sozialreform mit ihren Umschichtungen ist jedenfalls mit Störungen im Umbau des Wirtschaftsgefüges verbunden, die unvermeidbar sind, bisher aber keineswegs bedenkliche Ausmaße angenommen haben. Von 1954 bis 1955 stieg in Oesterreich das Bruttonationalprodukt nominell um 14 Prozent. Die Großhandelspreise wurden um 3,5 Prozent erhöht. Schematisch gerechnet ergab sich daher 1955 (gegenüber 1954) ein Gütermehr von etwa 10 Prozent, eine (wie im 26. Jahresbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich,

Basel, zu lesen ist) „Rekordzahl“. Etwas anderes ist freilich die Frage der -Verteilung des Güteranstieges. Demagogie aber wäre es, u. a. die Leistungen der Sozialpolitik zu übersehen und zu behaupten, daß die „Massen“ von der Gütervermehrung ausgeschlossen worden seien. Die auch bei uns zu erwartende' Automatisierung der Produktion,' deren sozialökonomische Folgen man diesmal, zum Unterschied von der Maschi-nisierung, wohl in ihren Grundrissen voraus abzuschätzen vermag, wird zudem den Güterausstoß je Arbeitsstunde und damit das verfügbare Gütervolumen weiter steigern helfen, alles Gründe, welche die Annahme einer Inflation im klassischen Sinn v o r w e g durch nichts gerechtfertigt erscheinen lassen.

Wenn aber jemand die Folgen der Säkularen Inflation (welche diesen Namen nicht mit Recht führt) zu tragen hat, so ist es der Sparer. Die Habenzinssätze bei Anlage- und Spargeldern tragen wohl u. a. dem Kreditrisiko, nicht aber der Geldwertverminderung Rechnung. Das Problem der Geldwertsicherung muß hinsichtlich der Spargelder (sei es z. B. durch Hergabe eines zusätzlichen und auf Grund des amtlichen Index gerechneten Abwertungssatzes als Ergänzung des Habenzinssatzes bei auf ungefähr ein Jahr gebundenen Geldern) wenigstens andeutungsweise geregelt werden. Man darf sich nicht wundern, wenn angesichts der währungsgeschichtlichen Erfahrungen in Oesterreich und auch auf Grund der Erkenntnis der Folgen einer wenn auch geringfügigen, aber sukzessiven Abwertung, die Sparanreize nicht übermächtig groß sind. Man kann kaum, ohne entsprechende Abgeltung der

Geldabwertung, dem „kleinen Mann“ zumuten, indirekt die Finanzierung de Investitionen der Großen mittragen zu helfen, wenn die Schuldner (d. s. die „Reichen“, denn nur diese sind für die Geldinstitute kreditwürdig) von den Gläubigern kaufkraftmäßig weniger zurückbekommen als sie hergegeben haben, es sei denn, man geht davon aus, daß die Zinsen sich ohnedies (was ja auch der Fall ist) in Höhe der Abwertungsquote bewegen, so daß der Kontensparer unter allen Umständen besser daran ist als der naive Strumpfsparer.

Wäre nun das Wirtschaftliche, wie z. B. die Orthographie oder die Geographie, Gegenstand dessen, was man (ohne es je definiert zu haben) als „Allgemeinbildung“ bezeichnet, könnte das jeweils im September begonnene Schillingspiel mit Gelassenheit hingenommen werden, weil es zu keinen Massenpsychosen führen könnte. Oesterreich ist freilich auch heute noch kein reiches Land. Zum ersten Male seit dem Bestehen der Republik ist aber unser Land wirtschaftlich fundiert und zeigt nicht jenen Versorgungstiefstand, wie er vor 1938 die österreichische Wirtschafts- und Sozialsituation charakterisierte, i, . •,

Wir sind auch kein strukturelles Schuldnerland mehr. Unsere Auslandsverschuldung beträgt 1,38 Milliarden. In Kaufkrafteinheiten gerechnet sind das ungefähr 10 Prozent des Standes der Vorkriegsschulden, wobei wir nicht, wie 1937, nur 1,7 Prozent der Bundesschuld p. a, amortisieren, sondern (1955) 10,6 Prozent.

Der Juli 1956 brachte Oesterreich als Folge der erheblich angestiegenen Einnahmen aus dem

Fremdenverkehr wieder einen Aktivsaldo bei.der EZU in Höhe von 14 Millionen Dollar, so daß wir neuerlich Gläubiger im Rahmen des Verrechnungssystems der EZU wurden..

Im Jahre 1955 verbrachten Fremde nicht weniger als 13,2 Millionen Tage bei uns, was uns Deviseneinnahmen von 2,13.Milliarden eintrug, während die Oesterreicher 1955 nur 516 Millionen im Ausland ließen.

Unsere Exporte waren 1955 doppelt so hoch Wie 1937.

Im Mai 1956 stand die Industrieproduktion je Arbeitstag auf 224 Punkten (1937 = 100), um 4 Punkte mehr als im Monat Mai 1955. Der einzelne österreichische Arbeiter produziert um 24 Prozent mehr als vor 1937. Dabei gab es 1955. um 740.000 mehr Beschäftigte als 1937.

Auch die Hinweise auf den Anstieg der Budgeterfordernisse können für sich allein kaum ein Argument für eine Disquali-fizierung des Schillings bilden. Es kommt ja nicht allein auf die Höhe der beabsichtigten Ausgaben, sondern auch auf die Größe der potentiellen Einnahmen an und auf das von der Wirtschaft geschaffene oder wahrscheinlich produzierbare Gütervolumen. Das österreichische Sozialprodukt betrug 1955 100 Milliarden. Ist das Gütervolumen gestiegen, kann (theoretisch) auch das Budgetvolumen steigen. Etwas anderes ist freilich die im Wachsen des Haushaltsvolumens ausgewiesene Tatsache des geradezu immanenten Ansteigens des Staatsbedarfes, über das man, unabhängig, welchen Wert man dem Schilling; beimißt, verschiedener Ansicht sein kann. Nur steht es meines Er.ichtens vor allem jenen, die mit Recht für eine Erhöhung des Kulturbudgets sind, schlecht an, wenn sie im gleichen Atemzug das Steigen der Staatsausgaben kritisieren, wie ja überhaupt festzustellen ist, daß gerade Gruppen, die laut für die Reduktion der Stäatsausgaben sind und dem Staat jeden Schilling neiden, den er bei der Abgabeneinhebung erhält, gleichzeitig vom Staat fordern. Was nun an den Geldgerüchten bedenklich ist, das ist der Umstand, daß sie als solche den Geldwert nachteilig beeinflussen können. Wenn das sogenannte „Publikum“, aufgerufen durch die Gerüchtemacher, dem Geld weniger Wert beimißt, ergehen sich eine Reihe von Folgen für den Geldwert, die gleicher Art sind, wie etwa die Verminderung des verfügbaren Gütervolumens bei gleich hohem Einkommen der Massen:

1. Werten die Menschen das Geld, wenn sie den Währungsgerüchten Glauben schenken, geringer als vordem. Sie handeln so, als ob ihnen zusätzlich Einkommen zugeflossen wäre und werden leichtsinnig, konsumfreudig, sparfeindlich.

2. Die Minderschätzung des Geldes zeigt sich wirtschaftlich als verstärkte Nachfrage aus Angst (also als irrational bestimmte Nachfrage und als Verstärkung der Umlaufgeschwindigkeit des

Geldes). Es werden dann oft Güter erworben, die keinen Nutzen beim Käufer stiften, als den, an die Stelle des „wertlos“ gewordenen Geldes getreten zu sein. Wenn keine Preisbindungen bestehen, geben die Preise der besonders stark nachgefragten Güter dem Nachfragedruck nach.

3. Der Preisanstieg bei einer gewichtigen Gruppe von Waren kann nun multiplikativ wirken; die Erhöhung des Preises einer Ware steigert die Preise anderer mit ihr beispielsweise kostenmäßig zusammenhängender Waren. Dann entsteht das, was die Gerüchteproduzenten der ersten Stunde „vorausgesagt“ (besser: mitverschuldet!) haben: eine Verminderung des Geldwertes.

Das österreichische Volk ist reich an Infla-tions- und Abwertungserfahrungen. Die Neigung, an Währungsgerüchte bereitwillig zu glauben, ist also in Oesterreich größer als in einem anderen Land Europas. Daher ist die verantwortungslose Gerüchteverbreitung in Sachen des Geldes zu verurteilen, hat sie doch im Endeffekt den Charakter einer Aufforderung zum Raub an denen, die durch die Abwertung jeweils verlieren: Sparer, Bezieher von Festeinkommen und alle Sorten von Gläubigern.

Eine Aufforderung zum Diebstahl wird selbstverständlich geahndet. Warum duldet man dann die Kolportage von Währungsgerüchten, die, in bestimmter Formulierung dargeboten, abwer-tungsfördernd sind und den Massen Vermögen entziehen?

Es gibt im Rahmen der Wirtschaftsmoral auch so etwas wie eine Nachrichtenmoral. Das gilt für den Privaten wie für die Presse und noch mehr für den Rundfunk und innerhalb desselben für solche Akteure, die sich zu Unrecht Komiker nennen (während sie nur komisch sind) und einen Teil ihrer Witze auf die Herabsetzung der wirtschaftlichen Leistungen unseres Landes konzentrieren, das für sie nur ein Aufenthaltsland und kein Heimatland ist.

Wer seinen Nächsten an seinem Eigentum schädigt, handelt unmoralisch, und wenn er es nur durch ein von ihm nicht nachgeprüfte

Währungsgerücht tut.

Das sei zum saisonalen Inflationsgerede gesagt, hinter dem nicht allein Dummheit und Unbildung stehen, sondern auch der Wille mancher Gruppen, durch eine von ihnen herbeigeführte Geldwertverschlechterung ihr Geschäft zu machen.

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