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Kauferstreik

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Soweit das System der freien Marktwirtschaft besteht, ist der Preis der Konsumgüter (und indirekt auch der Produktionsgüter) vor allem durch zwei Faktoren bestimmt: Einmal durch die Kosten (genauer: durch die Selbstkosten). Auf längere Dauer ist es einem Unternehmer nicht möglich, einen größeren Teil seiner Waren unter seinen Selbstkosten zu veräußern, es sei denn, er erhält von außen (zum Beispiel vom Staat) Subventionen oder er kann sich eine Abgeltung der nicht refundierten Kosten bei anderen Waren durch entsprechend höhere Gewinnquoten verschaffen. Dann aber wird der Preis auch durch die effektive (das heißt die mit Kaufkraft ausgestattete) Nachfrage mitbestimmt. Erst der Käufer gibt den Erzeugnissen, die, bis sie verkauft worden sind, nur Mengen- Charakter haben, ihren Wert. Jede unternehmungsweise Produktion hat einzelwirtschaftlich ihren Sinn verloren und hat nur den Charakter eines „Hobby“, wenn ihre Ergebnisse nicht vom Markt zu einem Preis abgenommen werden, der zumindest eine Vergütung der Kosten enthält.

Das, was man die Macht des Konsumenten nennt, ist um so merkbarer, je mehr sich der Konsument seiner marktentscheidenden Stellung bewußt ist und demgemäß in Masse handelt.

Die Versuche, die Teilmacht der einzelnen Konsumenten zu einer einzigen Nachfragemacht zu „integrieren“, etwa durch Schaffung einer Konsumentenkammer, haben kaum Aussicht auf nachhaltigen Erfolg. Die Interessen der Menschen, soweit sie Konsumenten sind, haben derart vielfältigen und höchstpersönlichen Charakter (man denke an die Hutmode der Damen, um ein Extrembeispiel herauszustellen), daß es kaum, zumindest nur für kurze Zeit, möglich ist, Konsumentenverbände mit der Qualität eines Nachfragemonopols zu errichten.

Das soll aber nicht besagen, daß etwa die Versuche der Arbeiterkammer und der Gewerkschaften, nach amerikanischem Muster eine Konsumentenberatung einzurichten, völlig ohne Erfolg sind. Was aber fast unmöglich zu sein scheint, das ist ein massenweise! einheitliches Auftreten der Konsumenten mit unmittelbarer Einwirkung auf den Preis.

Die Stellung des Konsumenten gegenüber den Anbietern einer Ware ist nach der Art derselben verschieden. Bei Gütern des nicht oder schwer abweisbaren Bedarfes (den sogenannten Existenzgütern) kann der Käufer überhaupt nicht oder lediglich unter physischen oder psychischen Schwierigkeiten der Preisfestlegung des Verkäufers Widerstand leisten. So kann der Mieter seine Nachfrage nach Wohnraum bei Ansteigen der Mieten nur sehr schwer regulieren. Ebenso bei • Brot oder bei den Preisen der Verkehrsmittel. Zu allem kommt, daß jene Güter, die man gewohnt ist, den Existenzgütern zuzurechnen, in Art und Umfang immer größer werden, eine Folge des steigenden Wohlstandes und Realeinkommens. So kann eine Steigerung des Benzinpreises nicht allein zu Protesten der Herrenfahrer führen, sondern auch eine Protestauffahrt der Arbeiter-Pkw.-Fahrer zur Folge haben.

.Dagegen ist die Stellung des einzelnen Konsumenten um so stärker, je mehr er die Kraft oder die sachliche Möglichkeit hat, die Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses überhaupt aufzugeben, aufzuschieben oder mit einem geringeren Güterquantum vorzunehmen. Freilich ist im allgemeinen die Haltung des einzelnen Konsumenten noch nicht preisentscheidend.

In gewissen Zeiten zeigt sich aber auch bei den Gütern, die man als „non-essentials“ (als nicht lebenswichtig) bezeichnet, eine strukturelle Schwäche des Konsumenten. Das gilt vor allem für die Monate November und Dezember, und zwar hinsichtlich der typischen Geschenkartikel.

In den letzten Monaten des Jahres ist nicht nur mehr Geld in den Händen der Massen (Remunerationen, rückbezahlte Sparvereinsein-lagen, „entspartes“ Geld aus der teilweisen Auflösung von Sparkonten). Auch der Wille, das Geld nicht ohne Ueberlegung auszugeben, ist schwächer als sonst. Das Geld wiegt dann in der Hand der meisten Menschen leichter als zu anderen Zeiten des Jahres. Man denke an die Einkaufsexzesse etwa beim Spielzeug, das immer raffinierter und daher immer mehr zum Spielzeug der Großen wird. In einer bedenkenlosen „Verachtung“ des Schillings kommt es zum Justament- und Prestigekonsum, dessen Kosten in keinem Verhältnis zum Wert des erworbenen Gegenstandes und auch nteht zum Einkommen des Käufers stehen. Je näher dem Christfest, desto zahmer und nachgiebiger gegenüber den Preisforderungen wird der Käufer und desto stärker wird die Stellung des Verkäufers jener Güterarten, die man unter den Christbaum legt, der den Charakter eines heidnischen Opfertisches angenommen hat.

Nun sollte man nicht übersehen: Das, was man Geldwert, Kaufkraft des Geldes nennt, ist nicht nur eine objektive, sondern auch eine subjektive Größe. Objektiv zeigt sich der Geldwert in dem, was „man“, das heißt ein abstrakter Konsument für den Schilling an Gütern bekommt.

Der einzelne (also: der konkrete) Konsument hat aber eine sehr persönliche Haltung beim Erwerb von Gütern! Nicht' die abstrakte Kaufkraft des Schillings wird dem Menschen, wenn er als Käufer auftritt, bewußt (sie ist nur eine volkswirtschaftliche Gesamtgröße), sondern die Summe jener Güter, die er tatsächlich mit seinem Geld erworben hat oder offensichtlich erwerben kann.

Daher hat es auch der Käufer zu einem Teil in der Hand, den Wert des Schillings, seines Schillings, von sich aus zu bestimmen.

Darin liegt die Chance des Konsumenten: sein Geld da, wo es sich um Güter des abweisbaren Bedarfes handelt, so auszugeben, daß er optimalen Nutzen erzielt. In seinem Bemühen, Einkommen zu erzielen, handelt der Mensch weitgehend rational oder ist zumindest grundsätzlich bemüht, nach dem ökonomischen Prinzip vorzugehen, das heißt möglichst viel Einkommen mit möglichst wenig Aufwand an Arbeit und Saehgütern zu erwerben.

Gleiche Rationalität zeigt derselbe Mensch, der gewillt ist, wegen eines Mehrlohnes von zehn Schilling auf die Straße zu gehen, aber nicht, wenn er sein Geld für Konsumzwecke ausgibt. Zumindest nicht, wenn er nichtlebenswichtige Güter erwirbt, während er freilich bei einer Erhöhung des Milchpreises um zehn Groschen schon das Gefühl hat, in die Elendszone abgedrängt zu werden.

Durch falsches, unüberlegtes Geld ausgeben wird nun ein Großteil der Bemühungen beim Geld e r w e r b illusorisch.

Wenn dann die Massen, weil sie durch unbedachtes Geldausgeben Preissteigerungen geradezu provoziert haben, die von ihnen mitverschuldete tatsächliche oder eingebildete Kürzung des Lebensstandards nicht mehr tragen wollen, rufen sie nach der Regierung (in der Annahme, daß das Finanzministerium auf einer Goldader steht), nach dem Preisstopp (den sie durch Kürzung ihrer Nachfrage selbst herbeiführen können) oder nach Lohnerhöhung, die man am besten auch gleich die Regierung tragen läßt. So zeigt sich — als Folge einer Komfortpsychose — eine besondere Form des Infantilismus auf dem Gebiet des Konsums. Auch die Halbbildung in Fragen des Wirtschaftlichen, das Unvermögen, die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu übersehen, ^trägt mit dazu bei, daß da und dort die Erfolge der Wirtschaftspolitik und der Sozialreform teilweise abgebaut oder den Menschen gar nicht bewußt werden. Tatsächlich aber haben die Käufer-Konsumenten, insbesondere die Frauen, durch deren Hände angeblich an die 80 Prozent der Ausgaben für den Konsum gehen sollen, viele Chancen, von sich aus Preispolitik und Währungspolitik zu machen und daneben den Kauf wert ihres Einkommens mitzubestimmen: Einmal, indem sie rationeller kaufen, nicht hysterisch — das gilt für manche Damen —, mit zitternden Händen auf den „Wühltischen“, die für viele die gleiche Bedeutung haben wie die Sandkisten für unsere Kleinen, Stück für Stück auswählen, ohne Rücksichtnahme auf den tatsächlichen Bedarf. Man sehe sich an, was am Samstag von Menschen, die voll der Klage sind, wie wenig das Geld (nämlich i h r Geld) ausgebe, beim Fleischhauer erworben wird. Gerade die „kleinen Leute“, für deren Denken oft nur der Magen „bestimmungsmächtig“ ist, sind es, die Fleisch in einer Menge konsumieren, daß Medikamente gleichsam zum „Nachtisch“ gereicht werden müssen, während am darauffolgenden Tag die Abmagerungspillen die Möglichkeit schaffen sollen, in die zu klein gewordene Kleidung hineinzukommen.

Bei manchen Gütern ist es daher notwendig, w e n i g e r zu kaufen, wenn dadurch — auf Zeit gesehen — ohnedies der gleiche Nutzen erzielt wird. Das heißt: Könsumzurückhalt u n g. Oder die billigere Sorte kaufen. Wie ist es doch beim Gemüse? Wird nicht das teure ausländische Frühgemüse oft nur deswegen gekauft, weil es teuer ist, damit man in einer Art Selbstpeinigung die Möglichkeit hat, festzustellen, daß „das Geld nicht mehr soviel ausgebe“ als in den sagenhaften Friedenszeiten? Werden nicht viele Gebrauchsgegenstände gerade dann — das heißt vor Weihnachten — erworben, wenn sie teurer geworden sind?

Schließlich ist es sicher bei manchen Gütern möglich und in bestimmten Zeiten notwendig, daß die Konsumenten eine Haltung einnehmen, die man vereinfachend als „Käuferstreik“ bezeichnet. Das heißt: Demonstratives Zurückhalten größerer Käuferschichten mit ihrer effektiven Nachfrage bei Gütern, deren Preis offensichtlich nicht von den Selbstkosten, sondern vom Willen zur Gewinnmaximierung bestimmt ist. Wenn der Preis der Ausdruck eines Knappheitsverhältnisses ist, dann liegt es bei vielen Gütern 'auch im Vermögen der Käufer, dieses Knappheitsverhältnis durch Nachfragereduktion zu mildern und den Preis auf eine akzeptable Höhe zurückzuführen.

Es kann also jeder Mensch den Wert seines Schillings (wenn auch als einzelner nicht des Schillings) regulieren. Nicht entscheidend, aber doch in einem Ausmaß, das im Umfang der Wohlstandsteigerung mitansteigt.

Wenn die freie Wirtschaft eine Möglichkeit bietet, dann ist es die: Wohlfahrt nicht allein durch Arbeit (über Einkommen) sichern und steigern helfen, sondern auch durch richtiges Ausgeben da, wo der Käufer in der Lage ist, spontan zu entscheiden.

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