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Eigenheim — legitimes Recht

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Sozialreform ohne Beachtung der wirtschaftlichen Tatsachen und der menschlichen Psyche führt wohl zu einer Umschichtung des Elends. Dieses aber bleibt bestehen, auch wenn es dann an einer anderen sozialen Gruppe haftet. Eine Reform gesellschaftlicher Zustände darf daher nicht allein zu einer Neuverteilung etwa der Produktionsmittel führen, sondern muß gleichzeitig das Sozialprodukt (die Summe der auf den Markt gebrachten Erzeugnisse) und den allgemeinen Wohlstand vermehren. In wahrhaft klassischen Formulierungen hat unser Staatsoberhaupt dieser Tage auf der Wiener Wohnbautagung in der Frage der Ordnung des Wohnungswesens sich zu diesen Ghmd- sätzen einer tatsächlich auf das A11- gemeinwohl bedachten und am einzelnen (nicht allein am Kollektiv) spürbaren Sozialreform bekannt. Auf diese Weise trug einer der führenden Sozialisten unseres Landes dazu bei, das Wohnraumproblem aus den Niederungen der Tagespolitik herauszulösen und in die hohen Sphären staatepolitischer Erwägungen zu stellen.

In seiner Rede erklärte der Herr Bundespräsident, daß a) die öffentliche Bautätigkeit allein nicht ausreiche, um den Wohnungsmangel zu beheben, so daß es notwendig sei, die private Bautätigkeit wieder anzuregen und gleichzeitig das private Kapital in allen möglichen Formen zur Finanzierung der Wohnbautätigkeit her- anzuziehen b) nicht allein Wohnraum an sich, sondern gesunder Wohnraum zu schaffe sei, und c) das Streben nach einem Eigenheim ein ,legitimes sei.

Bis jetzt war es so, daß der einzig wirklich bedeutende Bauherr in unserem Land die Gebietskörperschaften oder sonstige tatsächlich amtliche Dienststellen waren. Da die Mietzinse in diesen Bauten k tai o Amortisation vorsahen, wurde das eingesetzte Baukapital meist „verloren“. Mangels Refundierung der bisher eingesetzten mußten neue Mittel immer wieder aus öffentlichen Abgabeerträgnissen, also vom ganzen Staatsvolk, aufgebracht und immer wieder aufgebracht werden. Das Fremdheim wurde in den großen Städten allmählich zur vorherrschenden Form.

Und nun das erlösende Wort auch von der sozialistischen Seite: Das Recht auf ein eigenes Heim ist ein legitimes Recht! Niemand hat bisher ernstlich das Recht auf Eigentum an den Gütern des Elementarbedarfs, der privaten Konsumsphäre, bestritten. Es gibt keine politische Richtung, die es wagt, die Kommunalisierung etwa der Wohnungs- möbel oder der Kleidung zu fordern. Wenn nun an den Gütern des täglichen Lebens ein unabdingbares Eigentumsrecht besteht, warum soll, zumindest grund sätzlich, dieses Recht nicht auch für das elementare Gebrauchsgut der Wohnung gelten? Auch im Osten ist dieses Recht keineswegs geleugnet. Österreich ist eines der wenigen Länder, in dem man annimmt, mit der Kollektivisierung des Wohnraums das Problem der Wohn- raumbeschaffung aus der Welt schaffen zu können und dabei recht .fortschrittlich“ zu sein, statt zu eTkennen, daß man sich auf diese Weise bedenklich der Wohnungspolitik der römischen Cäsaren oder der Pharaonen nähert. Warum löst man das Kleidungsproblem nicht auf die gleiche Weise und läßt die Menschen von öffentlichen Kleiderverleihanstalten ausstatten? Die Leihkleider würden dann wahrscheinlich so behandelt, wie jetzt oft die Mietwohnungen. Wenn vom Recht auf die Eigenwohnung die Rede ist, dann darf freilich nicht übersehen werden, daß die Finanzierungsfrage eine andere ist als bei der Kleidung. Bisher aber waT schon oft das grundsätzliche Recht auf Eigenheim bestritten, so daß eine Klärung sich zuerst im formalen Bereich vollziehen muß.

So wie der Mensch nicht gewillt ist, dauernd in zumammengenähten Fetzen zu gehen (sie seien denn Mode), will er auf die Dauer auch eine gesunde und schöne Wohnung, nicht eine Wohnung schlechtweg. Die Wohn-„Kultur“ des letzten Jahrhunderts war ein sozialer Skandal. Bei Mietzinsen, die man zu einem guten Teil, nach heutiger Moralauffassung, als Wucherpreise bezeichnen kann, war die Normwohnung die Zimmer-Küche-Wohnung. Alles „andere“ war auf dem „Gang“, wodurch ein Stockwerkskollektiv geschaffen wurde, das seinen Gemeinschaftsgeist nicht selten erst vor dem „kleinen Bezirksgericht“ dokumentierte. Wohnkultur bedeutet heute aber, abgesehen von den Garęon- wohnungen, Wohngrößen, in denen Familien ihr Leben (als Familie) räumlich, also konkret, einfach nicht entfalten können. Die Wohnung dient dann bestenfalls als Schlafgelegenheit.

Der Idealtyp ist heute die lichte Mittelwohnung. Die Wohnraumansprüche sind ohnedies geringer geworden. Die alte „gute Stube (das Familienmöbeldepot) ist verschwunden. Die Kombi-Möbel machen es möglich, daß ein Wohnraum, je nach der Tageszeit, mehrfachen Zwek- ken dienstbar gemacht werden kann. Es müßte daher nicht schwer sein, oft nur durch Anfügung eines einzigen Raumes Wohnungen herzustellen, die den Anforderungen entsprechen, die der Bundespräsident gestellt hat. Zur Frage der Finanzierung ist der Rede des Bundespräsidenten zweierlei zu entnehmen. Erstens soll die Eigenfinanzierung gefördert werden. Der „Genuß , eine Wohnung in Eigentum zu haben, muß wieder größer erscheinen als der Genuß von Luxusgütern. Zweitens soll nach Ansicht des Staatsoberhauptes auch vom Institut der Fremdfinanzierung bei der Herstellung von Wohnbauten weitgehend Gebrauch gemacht werden. Bisher wurden die Sparer von Amts wegen geradezu verhöhnt. Bei einem Habenzinsfuß von zwei Prozent wurden mit den Mitteln der kleinen Sparer oft größte Renditen erzielt, wozu noch der Sparer alle Abwertungsverluste in Kauf zu nehmen hatte. Seit 1952 ist als Folge der neuen Zinsfüße die Position des Sparers eine bessere. Es wäre nun ratsam, die Spargelder auch im Wohnungsbau Stärker einzusetzen, sie ordentlich zu verzinsen und gleichzeitig mit Wertsicherungsklauseln zu versehen, damit nicht, wie schon so oft, mit dem Geld kleiner Leute große Leute ihre Villen bauen und nach der von ihnen sehnsüchtig erwarteten Abwertung die aufgenommenen Kredite mit lächerlichen Beträgen abstatten. Das bisherige Spar- kapital reicht aber nicht aus, um den Kapitalbedarf zu decken. Das Einkommen der Massen wird oft in einer jeder Konsumdisziplin und der Staatsräson hohnsprechenden Weise verwendet. Es gibt so etwas wie eine Flucht in den Augenblicksgenuß, zum Beispiel in modische, kurzfristig wechselnde Kleidung. Dann sind da die Limousinen, die es manchen angetan haben. Wir haben heute als Demonstrationsluxus eine Art von Limousinenluxus. Jeder Luxuswagen kostet aber im Durchschnitt soviel wie eine Mittelwohnung! Schließlich wandern nicht wenige Millionen illegal in das Ausland. In manchen Wirtschaftszweigen ist der ungesetzliche Kapitalexport geradezu „branchenüblich“. Es sind daher noch erhebliche Kapitalreserven da, die ökonomisch, zumindest in Österreich, ungenutzt sind.

Es dürfen nun keine Mittel unversucht gelassen werden, um sachlich ungenutzte Kapitalien zuerst wohl in Kanäle zu leiten, von denen sie zu immittelbarer Produktivität führen, aber auch der mittelbaren Produktivität, etwa der Errichtung von Wohnungen, zuzuführen. Daneben sind Anreize zu schaffen, die Mehrarbeit erstrebenswert machen, ganz abgesehen davon, daß es in einem gewissen Maß möglich sein wird den Bauaufwand auch durch Eigenleistungen zu reduzieren.

Nach Ansicht des Bundespräsidenten gibt es nun im Wohnbau folgende Eigentumsformen:

a) Die im öffentlichen Eigentum befindliche Wohnung, öffentlichen Wohnbau wird es immer geben, schon zur Deckung von sonst unbehebbaren Bedarfsspitzen. Die Miete in diesen Wohnungen wird auch weiterhin auf dem Prinzip der Deckung der Betriebskosten errechnet werden. Da auf diese Weise öffentliche Gelder verbraucht werden, ist es notwendig, in die Gemeindebauten vor allem die kleinen Leute und unter diesen insbesondere die Familien mit Kindern aufzunehmen und nicht Hinz und Kunz, wenn sie nur ein Mitgliedsbuch vorweisen können.

b) Die auf genossenschaftlicher und die’ als Eigentumswohnung errichteten Wohnungen. Es ist unverständlich, daß man die Einrich tung der Eigentumswohnung, die sich doch mit jeder politischen Richtung vertragen kann, auch auf „bürgerlicher“ Seite (man erinnere sich der Angriffe des Wiener Kuriers“) bekämpft. Während der Osten das Erbrecht an Häusern Gesetz werden läßt, verbleiben wir in öster- in der geradezu lächerlichen Isolierung eines Vorzugsschülers in Marxismus.

c) Das Eigenheim ist sicherlich jene Form, welche die stärkste Beziehung zwischen Mensch und Wohnraum herstellt und aus diesem Grund die höchstmögliche pflegliche Behandlung (und die geringste Abnutzungsquote) sichert. In der Stadt wird aber das Eigenhaus wegen der Grunderwerbskosten und der Stadtplanung nur an den Rändern möglich sein und der Stockwerksbau, der selten von Einzelpersonen finanziert wird, vorherrschen.

d) Das mit Erwerbsabsicht errichtete Wohnhaus (das „Zinshaus“) wird in Zukunft — und das ist gut so — die Ausnahme sein. Es soll mit keinem lebenswichtigen Gut Spekulation und Ausbeutung betrieben werden. Trotzdem wird es notwendig sein, die Errichtung von Wohnungen, die mit Erwerbsabsicht weitervermietet werden sollen, zu fördern, da es immer wieder Menschen (Einkommensbezieher) gibt, die an Luxuswohnungen Interesse haben. Die Voraussetzung dafür, daß Wohnraum auf Eiwerbsbasis geschaffen wird, ist aber die, daß der Kapitaleigentümer davon ausgehen kann, daß er durch die Verwendung seiner Mittel für Wohnbauten zumindest so viel Erträgnis erzielt wie bei einem anderen Geschäft. Das auf Gewinnerzielung bedachte Wirtschaftsdenken ist ein allseitiges, an sich keineswegs verwerflich und beileibe nicht auf die Angehörigen einer einzigen sozialen Schichte beschränkt.

Damit nun Anreize für den „Kapitalisten“ oder ein Kapitalistenkollektiv geschaffen werden, ihr Geld dem Zweck des Wohnungsbaues zu widmen, wird es nicht vermeidbar sein, für Bauten, die nach einem bestimmten Zeitpunkt völlig ohne öffentliche Finanzhilfe errichlet wurden, die Mietzinsbildung freizugeben und den Realwert des Mietzinses (und damit die Amortisation des Baukapitals auf Grund des Wiederbeschaffungspreises) durch Einbau einer Wertsicherungsklausel zu sichern. Man wird vielleicht sagen, daß es nicht genug Bewerber für diese Wohnungen geben werde. Das ist aber nicht so, wenn man an die Wahnsinnspreise denkt, die oft für Untermiet- wohnungen schon jetzt gezahlt werden müssen. Ich denke da insbesondere auch an viele der „armen“ Flüchtlinge aus dem Ostęn, die auf diese Weise veranlaßt werden können, ihr Quartier und damit ihren Geschäftssitz aus den eleganten Ringstraßenkaffeehäusern, in denen sie ihre jeweils letzten Groschen anbringen, in eine eigene Wohnung zu verlegen.

Die aufsehenerregende, ausschließlich die staatspolitischen Aspekte beachtende Rede des Staatsoberhaupts hat in hervorragendem Maße dazu beigetragen, die Wohnungspolitik als eine Frage der allgemeinen Wohlstandserhöhung anzusehen. Jede soziale Maßnahme, die das Elend nicht verschiebt, sondern abbaut, ist gut, auch dann, wenn sie einem von der Wirklichkeit distanzierten Programm nicht entspricht oder nicht an jenen Maßstäben zu messen ist, nach welchen bis zum ersten Weltkrieg in Wien Elendswohnungen errichtet wurden.

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