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Mut zum „Wohnungswunder“!

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Die endlich wieder in Gang gekommenen Verhandlungen über eine Neuordnung unserer Wohnungswirtschaft lassen eine gewisse Hoffnung aufkommen, daß in nächster Zeit doch einige gesetzliche Voraussetzungen zur Lösung dieses schwierigen und dornigen Problems geschaffen werden. Freilich läßt sich nicht verkennen, daß sich einer grundsätzlichen Neugestaltung der Wohnungspolitik gerade in dieser Legislaturperiode des Nationalrates infolge der Kräfteparität der Regierungsparteien ganz besondere Schwierigkeiten entgegensetzen. Sosehr aber die Auffassungen der beiden großen Parteien in Fragen der Wohnungspolitik divergieren, ist doch die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Neugestaltung der Wohnungspolitik beiden gemeinsam. Trotz der relativ hohen jährlichen Wohnbauquote ist es offensichtlich, daß mit den derzeitigen Methoden eine Beseitigung der Wohnungsnot auch auf weiteste Sicht unmöglich ist. Denn auch eine Erhöhung des Angebots durch vermehrte Bautätigkeit vermag der steigenden Nachfrage nicht zu genügen, die sich auf Grund der niedrigen Mieten nahezu unbeschränkt ausdehnt.

UNSERE UNECHTE WOHNUNGSNOT Ein erheblicher Teil des Wohnraumes in Österreich wird heute nicht oder zumindest nur unzureichend genützt. Ungezählte Wohnungen stehen leer, weil sie zu spekulativen Zwecken gehalten werden; viele Personen geben nach dem Bezug einer neuen Wohnung die frühere nicht auf, um sie für heranwachsende Kinder aufzuheben. Daneben finden sich alle möglichen Formen zweckwidriger Wohnungsnutzung. Bewirtschaftungsmaßnahmen nach Art eines Neuvermietungsgesetzes oder Wohnungsanforderungsgesetzes sind nicht geeignet, dieses Brachliegen eines erheblichen Teiles des Wohnraumes zu verhindern, weil dadurch nur die neugebauten und freiwerdenden Wohnungen erfaßt würden, nicht aber die zweckwidrig verwendeten oder unterbelegten Wohnungen. Vielfach halten Einzelpersonen Großwohnungen; in 'Ländern„ mit -.freiem WohnBBgfiwjrtiAWti entsteht, hingegen ein natürlicher. .Ausgleich, diese Personen geben ihre zu großen Wohnungen ab und mieten kleinere.

Die vollkommene Erstarrung, welche die Wohnungswirtschaft bewirkt hat, verhindert bei uns jeden natürlichen Ausgleich. Dabei ist die Zahl der Wohnungen in Österreich im Verhältnis zur Größe der Bevölkerung durchaus nicht gering: Mit 2,4 Millionen Wohnungen beträgt die Wohnungsdichte nur knapp drei Personen gegenüber 3,5 in Westdeutschland; auch in den meisten übrigen Staaten Westeuropas ist das Verhältnis zur Zahl der Wohnungen viel ungünstiger als in Österreich. Es ist zwar richtig, daß Mittel- und Kleinwohnungen überwiegen; eine Untersuchung der europäischen Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen hat aber ergeben, daß Österreich auch bei einem Vergleich der Bevölkerungszahl zur Zahl der Wohnräume sehr günstig abschneidet. Es kommen auf einen Wohnraum (Nebenräume nicht gerechnet) 0,93 Personen, das heißt also, wir haben mehr Wohnräume als Einwohner. Weiten Kreisen der Bevölkerung sind die wahren Verhältnisse in der Wohnungswirtschaft unbekannt. Es ist daher eine Information der breiten Öffentlichkeit in sachlicher Weise über die wirkliche Problematik der Wohnungswirtschaft notwendig. Mit der verbreiteter! Übung, aus der Wohnungsnot für demagogische Zwecke Nutzen zu ziehen, muß Schluß gemacht werden. In der Deutschen Bundesrepublik wurde in den vergangenen Jahren vor allem in der Presse eine Diskussion auf hohem Niveau über die Neuordnung der Wohnungswirtschaft geführt; die Folge ist, daß breite Kreise der Bevölkerung großes Verständnis für die Übernahme gewisser Lasten haben, ohne die eine Überwindung der Wohnungsnot nicht möglich ist.

Am Beispiel der österreichischen Wohnungs^ politik zeigt sich deutlich, daß jede Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik, die vorwiegend Gruppeninteressen berücksichtigt, gemeinwohlwidrig und in letzter Hinsicht unsozial ist. Daß gerade unsere Wohnungsgesetzgebung in weiten Bereichen zu einer Pervertierung des ihr ursprünglich zugrunde liegenden Sozialzweckes geführt hat, ist offensichtlich. Gerade für die wirtschaftlich schwächsten Gruppen der Bevölkerung, darunter vor allem die jungen Menschen, die eine Familie gründen, und die Untermieter, wirken sich alle Nachteile der Woh-nungs- und Mietengesetzgebung aus: Sie kommen in der Regel nur entweder durch die Leistung hoher Ablösen, bedeutender Investitionszuschüsse und erhöhter Mieten zu einer Wohnung, während ein erheblicher Teil der Wohnungen mit niedrigem Mietzins von Personen benützt wird, die höchstens einige Prozent ihres Einkommens für die Miete aufwenden müssen. Dazu kommt noch die Tatsache, daß für gleichwertige Wohnungen überaus divergierende Mietzinse bezahlt werden müssen, für schlechtere und kleinere oft ein Mehrfaches des Zinses für Großwohnungen. Die Kronenbasis der Zinsberechnung des Jahres 1914 ist immer unrealistischer geworden, nicht zuletzt dadurch, daß für Reparaturen aufgewendete Kosten die Mieter zu tragen haben, wodurch in vielen älteren Häusern für Wohnungen minderer Qualität viel höhere Mietzinse zu zahlen sind als für solche mit hohem Wohnkomfort.

NUR „INITIALZÜNDUNG“ DES STAATES Bei dieser verworrenen Sachlage erhebt sich die Frage, wo denn überhaupt die Neuordnung unserer Wohnungswirtschaft ansetzen muß. Die Erfahrungen in den Staaten, die ihre Wohnungsnot mehr oder minder beseitigt haben, wie Belgien, die Schweiz, die Deutsche Bundesrepublik und England, weisen hier klar den Weg: Es gilt, die Privatinitiative wieder zu erwecken. Solange der Wohnbau fast ausschließlich aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, kann eine Beseitigung der Wohnungsnot nicht erwartet werden. Nur dieser Weg einer Erweckung der Privatinitiative entspricht auch der Naturordnung: Das Subsidiaritätsprinzip verweist den Staat in der Wirtschaft auf die Ordnungsaufgabe. Nur soweit der Sozialzweck der Wirtschaft nicht durch deren Eigenkräfte verwirklicht wird, hat der Staat ordnend einzugreifen (Johannes Messner). Die Selbsthilfe ist der Staatshilfe vorzuziehen. Wohl hat bei der derzeitigen Situation im Bereich der Wohnungswirtschaft die öffentliche Hand auch große Aufgaben der unmittelbaren Hilfe zu erfüllen. Daneben müssen aber alle vorhandenen Möglichkeiten zur Heranziehung von Eigenmitteln der Wohnungs- und Bauwerber genützt werden. Daß es möglich ist, auch in Österreich solches.Eigenkapital in bedeutendem Umfang heranzuziehen, wurde in Vorarlberg bewiesen. Dort wurde der Erkenntnis Rechnung getragen, daß durch Darlehen und Zinsenzuschüsse an bauwillige Private und Siedlungsvereinigungen ein größerer Effekt erzielt werden kann als durch direkten öffentlichen Wohnbau. In Vorarlberg betrug der Anteil der Eigenleistungen im Rahmen der Landeswohnbauförderung im Jahre 1958 57 Prozent. Auch die enorme Zunahme der Eigenheime in der Bundesrepublik Deutschland nach Einführung großzügiger Steuerbegünstigungen und Wohnbauprämien hat gezeigt, wieviel Eigenkapital zur Verfügung gestellt wird, wenn sich der Staat bereitfindet, eine solche „Initialzündung“ zu geben.

Auch bei uns beweisen die vielen in letzter Zeit errichteten Eigenheime und die noch größere Zahl neu abgeschlossener B a u s p a r-verträge, daß der Wunsch breiter Kreise sich immer mehr dem Eigenheim zuwendet. Eine weitere Steigerung dieses Interesses wäre durch eine entsprechende staatliche Förderung möglich, vor allem durch fühlbare Erhöhung der derzeitigen Freibeträge für das Bausparen und Einführung von B a u s p a r-prämien für Familien. Man kann mit Recht sagen, daß hier der fiskalische Aufwand und der volkswirtschaftliche Ertrag in einem Verhältnis stehen, wie man es sich besser nicht vorstellen könnte. Die staatliche Förderung des Bausparens wird nicht nur durch die ökonomische Wirkung der privaten Finanzierungsleistung gerechtfertigt, sondern im besonderen durch die soziologische Bedeutung einer immer größeren Zahl von Eigenheimen: denn diese bieten nicht nur die ideale Wohnform für die Familie, sondern schaffen soziale Sicherheit in höherem Ausmaß als andere Eigentumsformen. Es sollte daher auch nicht eine lineare Erhöhung der bisher gewährten Freibeträge beim Bausparen erfolgen, sondern es müßte für die Familien eine wesentliche Verbesserung der Steuerbegünstigung durchgesetzt werden. Es wurde von fachlicher Seite eingehend dargelegt, daß bei kleineren und mittleren Einkommen bei großem Familienstand die Steuerersparnis beim Bausparen sehr wesentlich vermindert wird und zum Teil überhaupt aufhört. Daraus ergibt sich, daß eine Staffelung der Steuerbegünstigung erforderlich wäre, um gerade den Familien, für die das Eigenheim die natürliche Wohnform wäre, in möglichst großer Zahl die Schaffung eines solchen zu erleichtern. Eine nach diesen Grundsätzen ausgerichtete Wohnungspolitik würde auch im Interesse einer breiten Eigentumsstreuung liegen. Eine Eigentumspolitik dieser Art kann nur dann zum Erfolg führen, wenn die erste und natürlichste Form der Eigentumsbildung, nämlich der Hausbesitz vor allem in Form des Eigenheims, verbreitet wird. Es könnte viel von der heute so verbreiteten Existenzunsicherheit genommen werden, wenn die Familie wieder jene natürlichen Sicherungen erhält, die mit dem Eigenheim verbunden sind.

Von besonderer Bedeutung ist die Neuordnung des sozialen Wohnbaues. Ein echter sozialer Wohnbau mit niedrig angesetzten Mieten soll grundsätzlich nur den minderbemittelten Schichten der Bevölkerung zugute kommen. Da- , neben sollte ein gehobener sozialer Wohnbau treten, dessen Mieten auf der Kostenbasis zu errechnen wären. Diese Zweiteilung des öffentlichen Wohnbaues wird man in ähnlicher Weise wie in der Deutschen Bundesrepublik einige Zeit fortsetzen müssen, bis Angebot und Nachfrage an Wohnungen sich allmählich ausgleichen. Wo dies möglich ist, sollte beim gehobenen sozialen Wohnbau Wohnungseigentum geschaffen werden. Die derzeitige Praxis, wonach sowohl die im sozialen Wohnbau errichteten Wohnungen als auch die Wohnungsbeihilfen weitgehend ohne Rücksicht auf die Höhe des Einkommens vergeben werden, widerspricht nicht nur der sozialen Gerechtigkeit, sondern bringt es auch mit sich, daß die dafür herangezogenen öffentlichen Mittel zu einem großen Teil unwirksam verwendet werden. Allein für die Mietenbeihilfe in der Höhe von monatlich 30 S, die den Haushalten mit zwei oder mehreren Arbeitnehmern doppelt bzw. mehrfach zukommt, dem alleinverdienenden Familienvater nur einmal, wurden bisher fast sechs Milliarden Schilling ausgegeben. Es besteht kein Zweifel, daß mit diesen Mitteln ein fühlbarer Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot hätte erbracht werden können, wenn sie in anderer Weise verwendet worden wären.

Mit dem Neubau allein, auch wenn er auf 50.000 Wohnungen im Jahr gesteigert wird, kann eine Lösung des Wohnungsproblems nicht erreicht werden. 50.000 Wohnungen entsprechen zwei Prozent des Wohnungsbestandes in Österreich. Man müßte 40 Jahre lang in dieser Größenordnung bauen, um die in Altwohnungen lebende Bevölkerung mit neuen Wohnungen zu versorgen. Inzwischen wäre aber wieder ein Teil der neuen Wohnungen verfallen. Es sind daher Maßnahmen erforderlich, zumindest den erheblichen Anteil hochwertiger Altwohnungen vor dem Verfall zu retten und zu modernisieren. Dabei ist vor allem an die Gewährung von verbilligten, langfristigen Krediten zu denken. Die Wohnungsnot ist in Österreich in erster Linie eine qualitative. Daß der derzeitige Mietaufwand für eine Qualitätsverbesserung der Altwohnungen nicht ausreicht, ergibt sich schon aus der Tatsache, daß er bei uns nur vier Prozent des privaten Konsums gegenüber 12 bis 15 Prozent in Ländern mit freierer Wohnungswirtschaft ausmacht. Wir haben auf die Dauer nur die Wahl, uns entweder mit dem gegenwärtigen primitiven Wohnungsstandard abzufinden oder den Teil des Einkommens für die Wohnung aufzuwenden, der in der westlichen Welt üblich ist und der unserem kulturellen Stand entspricht.

ERHALTUNG DER ECHTEN ERRUNGENSCHAFTEN DES „MIETERSCHUTZES“

Die Gültigkeit dieser Alternative steht außer Zweifel. Ohne Berücksichtigung der sich daraus ergebenden Konsequenzen ist eine Neuordnung der Wohnungswirtschaft unmöglich, ebenso eine Beseitigung der Wohnungsnot in absehbarer Zeit. Hingegen muß es mit gleichem Nachdruck gesagt werden, daß eine echte Errungenschaft der Wohnungsgesetzgebung in der Zeit seit dem ersten Weltkrieg erhalten werden muß, nämlich der Kündigungsschutz. So wie im Bereich des Arbeitsrechtes ein gewisser Kündigungsschutz mit Rücksicht auf die wirtschaftlich schwächere Stellung des Arbeitnehmers unerläßlich ist, so muß auch eine Sicherung der Wohnung vorhanden sein. Aiich nach Beseitigung der Wohnungszwangswirtschaft muß ein soziales Mietrecht bestehen bleiben, das insbesondere der Familie jene Sicherung gibt, die sie für die Erfüllung ihrer existentiellen Zwecke benötigt. Die Ziele, die sich die Wohnungspolitik setzen muß, haben zum Teil metaökonomischen Charakter. Die Verwirklichung dieser Ziele ist allerdings nur mit wirtschaftlichen Mitteln möglich. So ist die Wohnungspolitik trotz ihrer sozialen Zielsetzungen nicht Sozialpolitik, sondern Wirtschaftspolitik. Gerade dort, wo der Staat die Wohnungspolitik als soziale deklarierte, wurde eine ausreichende Wohnungsversorgung für die Minderbemittelten nicht erreicht.

Zur Überwindung des übersteigerten Dirigismus ist eine wirksame Wohnungspolitik nur im Rahmen der gesamten Wirtschaftspolitik möglich. Dabei geht es im besonderen um die Heranziehung des Kapitalmarktes für die Wohnbaufinanzierung. Für eine Übergangszeit wird man eine größere Ergiebigkeit des Kapitalmarktes durch steuerliche Gleichstellung der Emissionen für die Wohnungswirtschaft mit den bisher steuerlich privilegierten öffentlichen Anleihen erreichen können, vielleicht auch durch die Einführung eines steuerbegünstigten Sozialpfandbriefes nach westdeutschem Muster.

EIN WUNSCH AN DIE PARTEIEN: MUTl

Das Wohnungsproblem läßt sich in Österreich nur lösen, wenn die politischen Parteien den Mut aufbringen, ihre Wähler in sachlicher Weise über die wahre Problematik zu informieren. Denn es geht nicht nur um eine Zuständereform in der Wohnungswirtschaft, sondern auch um eine Gesinnungsreform. Dabei handelt es sich darum, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß in der Wohnungswirtschaft nicht alles vom Staat erhofft werden kann. Ebenso müßte die Überzeugung schwinden, daß die Wohnung ein Gut ist, das nichts oder fast nichts kosten darf. Schon heute stehen weite Kreise, vor allem der Jugend und der jungen Familien, dem Wohnungsproblem mit großem Realismus gegenüber. Kommt es nicht zu diesem Gesinnungswandel, zu diesem „Mut zum Wohnungswunder“, wird die Wohnungsnot in Österreich trotz einer weiteren Erhöhung der Wohnbauquote nicht beseitigt werden können.

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