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„Weiße“ und „schwarze“ Kreise

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Die deutsche Mietzinsregelung ist zur Zeit starken Veränderunigen unterworfen. Diese Veränderungen resultieren aus der mit dem „Gesetz über den Abbau der Wohnungs-rwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht“ vom 23. Juni 1960 eingeleiteten Überführung des Wohnungswesens in die toziale Marktwirtschaft.

Der Abbau der Wahnungszwangswirtschaft (speziell der Mietzins-bindung) erfolgt systematisch in

jenen Stadt- und Landkreisen, deren rechnerisches Wohnungsdefizit die 3-Prozent-Grenze unterschreitet (sogenannte „weiße Kreise“). Mitte 1965 werden nur noch zirka 50 von insgesamt 565 Kreisen „schwarz“ sein; bis Ende 1966/67 soll die Wohnungszwangswirtschaft im gesamten Bundesgebiet beseitigt sein. Das heißt, daß von diesem Zeitpunkt an für alle Altbau- und für alle freiflnanzierten Neubauwohnungen (nach 1948 gebaut) freie Mietzinsvereinbarungen getroffen werden können. Ausgenommen von dieser Regelung bleibt allerdings der öffentlich geförderte soziale Wohnungsbau; dieser ist weiterhin an die

Kostenmiete gebunden (Miete = Deckung der Selbstkosten).

Parallel zum Abbaugesetz wurde unter anderem das „Gesetz über Wohnbeihilfen“ vom 29. Juli 1963 erlassen, das durch das neue „Wohngeldgesetz“ vom März 1965 abgelöst wurde. Letzteres sieht ein einheitliches Wohngeld (Mietzinsbeihilfe) vor, das vom 1. April 1965 an in schwarzen und weißen Kreisen für alle Arten von Wohnraum gewährt wird. Damit soll die Mietzahlungs-

fähigkeit der sozial Schwächeren gesichert werden.

„Ubergangsprobleme“

Es erhebt sich zunächst die Frage, ob das für den Zeitpunkt der Umstellung maßgebliche rechnerische Wohnungsdeflzit von drei Prozent den geeigneten „Wendepunkt“ darstellt. Bei oberflächlicher Beurteilung des Problems dürfte man ihn eher bei + — 0 vermuten. Nach der Hasseschen Regel wird sogar ein Wohnungsüberschuß von drei Prozent für erforderlich gehalten, um die Funktionsfähigkeit des Wohnungsmarktes zu gewährleisten.

Es bedarf einiger Korrekturen

Hinzu kommt, daß die statistische Grundlage, aus der sich das errechnete dreiprozentige Wohnungsdeflzit ergibt, problematisch ist. Sie geht auf eine im Zusammenhang mit der Volkszählung von 1961 durchgeführte — und anschließend vorgeschriebene — Erhebung über die Zahl der Haushalte einerseits und die Zahl vorhandener Wohnungen (Gebäudezählung) anderseits zurück. Das statistische Ergebnis läßt unter anderem sowohl die Tatsache, daß während der zwangswirtschaftlichen Periode teilweise Wohnraum gehortet und zu hoher Wohnraumbe-

darf angemeldet wurde, als auch die dem entgegenstehende Tatsache, daß viele ihren objektiv vorhandenen Wohnraumbedarf nicht amtlich gemeldet haben, außer Betracht. Die pauschale Ziffer von drei Prozent sagt aber auch nichts darüber aus, wie die Verhältnisse bei den einzelnen Wohnungsgrößen liegen; ebenso bleibt die Qualität des Wohnungsbestandes dabei unberücksichtigt.

Marktmiete und Mietzinsbeihilfe

Die Marktmiete wird also in absehbarer Zeit in der Bundesrepublik Deutschland die Regel sein. Das aus sozialpolitischen Gründen notwendige Pendant dazu ist die Mietzinsbeihilfe. Grundvoraussetzung für die sinnvolle Anwendbarkeit dieser Subventionsform ist natürlich ein schon weitgehend quantitativ ausgeglichener Wohnungsmarkt. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß der Subventionsbedarf astronomische Größenordnungen annehmen könnte, wobei unter anderem hinzukäme, daß die letztlich den Vermietern zufließenden Gelder nicht zwangsläufig für Wohnung9bauzwecke wieder ausgegeben würden — wie es bei der Bausubvention der Fall ist. Die Mietzinsbeihilfe würde also die dann dringend erforderliche Neubautätig-

keit nicht zwangsläufig fördern und also auch nicht die Mietzinse senkend beeinflussen. Würde dagegen die Mietzinsbeihilfe in ihrer Höhe beschränkt werden, so wäre eine (einigermaßen) gerechte Verteilung des vorhandenen Wohnraumes nicht gesichert.

Welche Höhe muß nun die Mietzinsbeihilfe haben?

Um feststellen zu können, wie hoch die Mietzinsbeihilfe sein soll, muß zunächst die' dem jeweiligen Haushaltseinkommen (unter Berücksichtigung der Familiengröße) entsprechende Mietzahlungsfähigkeit beziehungsweise die sozial tragbare Miete, ermittelt werden. Das Subsidiaritätsprinzip der Sozialpolitik verlangt, daß fremde Hilfe erst dann einzusetzen hat, wenn die eigene Leistungsfähigkeit der Mieter

Die Skala der Preise

0 Einmal ist die „objektive Marktmiete“ nicht einfach zu ermitteln. Die Besonderheiten des Gutes Wohnung (zum Beispiel Immobilität, Heterogenität, Lageabhängigkeit usw.) erschweren oder verhindern die Bildung und das Feststellen einer allgemeinen Marktmiete. Der Wohnungsmarkt ist in Teilmärkte aufgespalten, so daß „für eine gleiche Menge Ware von gleicher oder fast gleicher Qualität sogar bei Gleichheit des Standards verschiedene

ausgeschöpft ist. Die eigene Mietzahlungsfähigkeit, mit anderen Worten das Resteinkommen, ist aber abhängig von den sonstigen lebensnotwendigen Ausgaben, etwa für Ernährung und Bekleidung. Ist deren Festlegung an sich schon problematisch, so kommt hinzu, daß sie in Abhängigkeit von der Haushaltsgröße und -struktur unterschiedlich sind. Schließlich ist noch das organisatorische und wirtschaftliche Problem der Erfassung und laufenden Kontrolle des (veränderlichen) Haushaltseinkommens und der (veränderlichen) lebensnotwendigen Ausgaben zu beachten. Als nächstes muß die Obergrenze des förderungsfähigen Mietzinses festgestellt werden, das heißt, die maximal zu berücksichtigende Mietzinshöhe für eine angemessene Wohnungsgröße und -quantität. Die tatsächlich gezahlte Miete kann nämlich auf einer unangemessenen Wohnungsgröße und -qualität beruhen oder sonstwie manipuliert sein. In diesem Zusammenhang ist besonders auf zwei Probleme hinzuweisen.

Preise verlangt werden“. Auch hier kommt wieder hinzu, daß sich die Marktmiete im Zeitverlauf, das heißt mit einer Veränderung der Angebot-Nachfrage-Situation, merklich verändern kann.

Der „Geruch“ der Fürsorge

Zum andern besteht die Frage nach der Angemessenheit bezüglich der Wohnungsgröße und -qualität.

Als besonderer Nachteil der Mietzinsbeihilfe wird oft hervorgehoben,

daß ihr der Geruch der Fürsorge anhaftet. Im neuen Wohngeldgesetz wird allerdings ausdrücklich betont, daß es sich beim Wohngeld nicht um eine Fürsorgemaßnahme handelt. Auch vom Begrifflichen her muß man die Mietzinsbeihilfe der Sozialpolitik, nicht der Fürsorge zuordnen, da die Mietzinsbeihilfe gesellschaftliche Großgruppen, wie Bezieher niedriger (Arbeits-) Einkommen, kinderreiche Familien usw. betrifft. Um weitere Vorurteile gegen die Mietzinsbeihilfe zu beseitigen, bezeichnet man sie neuerdings als Wohngeld, nicht mehr als Beihilfe.

Die individuelle Mietzinsbeihilfe, die im Zusammenhang mit der freien Mietzinsbildung das Besondere der deutschen Mietzinsregelung darstellt, führt zweifelsohne zur relativ genauesten, individuellsten und gerechtesten Subventions- und somit Wohnraumverteilung. Der spezifische Kern der Problematik dieser Subventionsform besteht darin — abgesehen vom richtigen Einsatzzeitpunkt —, die richtige Höhe der Mietzinsbeihilfe im Einzelfall zu finden, nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern auch im Zeitablauf gesehen. Die Mietzinsbeihilfe muß so bemessen sein, daß das Marktgleich-gewicht sich da einpendelt, wo jedem Mieter eine angemessene Wohnung gesichert ist. Der Grad der Genauigkeit und der Elastizität der Anpassung an veränderte Verhältnisse, sowohl bezüglich des Mietzinses als auch der Mietzahlungsfähigkeit des Mieters, wird allerdings begrenzt durch die wirtschaftlichen Möglichkeiten; der Verwaltungsaufwand dafür darf ein vertretbares Maß nicht überschreiten.

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