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Steuerreform vor der Tür

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Die Diskussion um das, was wir „Steuerreform“ nennen, bezieht nicht einmal alle Steuern vom Einkommen ein, sondern nur die eigentliche Einkommensteuer und die Lohnsteuer, die im Prinzip ja nur eine besondere Ein-hebungsform der Einkommensteuer ist, nicht aber die Körperschaftssteuer und die Kapitalertragssteuer. Als große Steuerreform kennzeichnet man Bestrebungen, die auf einen Gesamtumbau sowohl der Besteuerungsprinzipien wie der Besteue-rungstechnik gerichtet sind, wie sie etwa im Bereich des Rechtes der Umsatzsteuer in der Bundesrepublik vollzogen werden soll, wobei eine völlig neue, auf Wertzuwachs und nicht auf Verkehrsvorgängen aufgebaute Ermittlung der Umsatzsteuer geplant ist.

Eine große Steuerreform wäre zwar volkstümlich, würde aber zu einer derart umfangreichen Änderung des Steueraufkommens führen, daß man es bisher, trotz aller Zusicherungen, nach nüchternen Überlegungen stets vermieden hat, einen völligen Umbau des Systems der Besteuerung des Einkommens in Angriff zu nehmen.

Alle Reformen der Besteuerung des Einkommens nach 1945 hatten daher den Charakter einer kleinen Steuerreform und führten nur zu teilweisen Änderungen der Besteuerungsformen. Anderseits soll freilich nicht übersehen werden, daß eine dichte Abfolge von „kleinen“ Steuerreformen unter Umständen und ungewollt zu einem neuen „Aggregatzustand“ in der Besteuerung und in die Nähe einer, wenn auch nicht deklarierten, großen Steuerreform führen kann.

Ein Instrument der Sozialpolitik

Der Zweck einer Steuerreform kann nun verschieden erklärt werden:

1. Es kann sich um einen sozialpolitischen Zweck handeln. In diesem Fall sollen Gruppen in der Gesellschaft begünstigt werden, die — gemessen an der Höhe des ihnen zufließenden Einkommens — einen verhältnismäßig geringen Versorgungsstand je Haushak beziehungsweise Haushaltangehörigen haben. In dieseT Richtung liegen die bereits geltenden Begünstigungen der Familien (System der Steuergruppen) und die Bevorzugung der kleinen Gewerbetreibenden (Steuerpauschalierung). Die Steuerpolitik wird auch deswegen in einem steigenden Umfang dem Instrumentarium der modernen Sozialpolitik zugerechnet, weil man erkennt, daß die Bezieher kleinerer Einkünfte durch die indirekten Steuern (wie die Umsatzsteuer) verhältnismäßig stark belastet werden. Die Umsatzsteuer wird auf die Preise fortgewälzt. Da- : duTch aber wird das Realeinkommen

(= Summe der Güter, die man mit einem gegebenen Nominaleinkommen erwerben kann) verkürzt. Nun ist aber der Einbau sozialer Präferenzen bei den indirekten Steuern kaum möglich. Daher versucht man im Rahmen der nach sozialen Gesichtspunkten differenzierbaren direkten Steuern einen Ausgleich herbeizuführen.

2. Immer mehr werden die Bemühungen der Steuerreform mit gesell-

schaftspolitischen Argumenten versehen. Die Kleinbetriebe in der Landwirtschaft werden — unausgesprochen — durch ein System großzügiger Einschätzung bei Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens und durch Ansetzung von hohen absetzbaren Eigenverbrauchsquoten faktisch begünstigt. Sosehr die — teilweise nur scheinbare — Begünstigung bestimmter bäuerlicher Betriebe Anlaß zur Kritik schien, hat sich erwiesen, daß die Politik des Finanzministers gegenüber den bäuerlichen Produzenten nicht nur sozial, sondern auch volkswirtschaftlich durchaus richtig war und schließlich den städtischen Konsumenten genutzt hat.

Angesichts der sozial bedenklichen Konsequenzen der wirtschaftlichen Konzentration ist man auch bemüht, jenen Gewerbetreibenden in der Gesellschaft, die von sich aus den Wirkungen der Konzentration ausgesetzt und in ihrer sozialökonomischen Position bedroht sind, Hilfestellung vom Abgabenrecht her zu geben. In den letzten Jahren steht daher auch wieder der lange vergessen gewesene Mittelstand im Zentrum sozialer und besonders steuerlicher Erwägungen.

Der vergessene Mittelstand

Wenn es auch für das, was man unter „Mittelstand“ versteht, noch keinen eindeutigen Begriff gibt und wahrscheinlich auch nie geben wird, ist es doch möglich gewesen, für Zwecke der Steuerreform eine Art Arbeitsbegriff für die soziale Großgruppe „Mittelstand“ zu formulieren. Ausgehend davon, daß (steuerpolitisch) im Einzelfall „Mittelstand“ dann gegeben ist, wenn der in Frage kommende Einkommensbezieher ein Einkommen von jährlich 100.000 bis 150.000 Schilling aufweist, zielt man mit steuerreformatorischen Maßnahmen auf eine bestimmte Einkommensgruppe.

Das Eintreten für eine steuerliche Begünstigung des Mittelstandes wird mit dem Prinzip der Steuergerechtigkeit begründet, die offenkundig weithin durch die Steuerpraxis und durch die subjektiv verschieden spürbare Belastung bei Anwendung der Einkommensteuertabelle verletzt wird.

3. Immer mehr erkennt man auch, daß Gesellschaftspolitik in einer freiheitlichen Ordnung nur dann ökonomisch gestützt ist, wenn sie mit einer angemessenen Eigentumspol i-t i k verbunden wird. Auch die Steuerpolitik wird allmählich der Schaffung von Eigentum etwa in Form von Dauergütern oder erwerbswirtschaftlich nutzbaren Vermögen (Kapital) dienstbar gemacht. In diesem Zusammenhang

soll auf die Begünstigung der Sparer und der Erwerber von „Kapitalvermögen“ verwiesen werden. Wenn es auch durch Maßnahmen von der Steuerpolitik her allein nicht möglich sein wird, eine „proprietäre Gesellschaft“ (im Sinne Bellocs) zu errichten, werden doch symbolische Handlungen gesetzt, die eine bisher vollzogene Diskriminierung persönlichen Eigentums weitgehend aufheben.

4. Bei der Steuerreform spielen auch konjunkturpolitische Motive eine Rolle. Im allgemeinen ist die Steuerprogression insoweit von konjunkturkonformer Wirkung, als in Zeiten des Aufschwungs, soweit diesem eine Steigerung des Einkommens entspricht, die Sätze verhältnismäßig hoch sind und umgekehrt. Was noch fehlt, ist die Synchronisation von Einkommenszufluß und Steuerzahlung, die aber offensichtlich von den Pflichtigen selbst nicht begehrt wird. Jedenfalls ist klar, daß die Steuern für gute Jahre in schlechten Jahren zu zahlen sind (und umgekehrt), wenn nicht die Vorauszahlungen angepaßt werden, was aber weithin nicht geschieht.

Veraltet und familienfeindlich

Jede Steuerreform bedeutet letzten Endes Anpassung der Besteuerung an die geänderten sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen. Insoweit sich diese ständig wandeln, wird auch die Steuerreform eine kontinuierliche Erscheinung sein.

Für Österreich gilt, daß die Steuersätze erstarrt sind, wie überhaupt Art und vor allem Ausmaß der Besteuerung auf ein Volkseinkommen und auf eine Kaufkraft des Schillings abgestellt sind, die bereits historische Daten darstellen. Mit dem Anstieg des Nominaleinkommens und der Änderung des Preisspiegels wird als Folge der Progression in der Besteuerung ein verhältnismäßig wachsender Anteil des

Volkseinkommens weggesteuert. Da hat zur Folge, daß die Bezieher klei nerer Einkünfte zwar insgesamt -absolut wie relativ — mehr Einkorn men zum Verbrauch zur Verfügun haben als ehedem, aber im Verhältni doch immer weniger als die Beziehe hoher Einkünfte. Wer nach Steuer abzug gestern 5000 und heute 600' Schilling netto (+ 20 Prozent) hat, is zwar nicht formell, aber nach seiner Versorgungsstand schlechter daran al jener, der gestern über 20.000 um heute über 24.000 Schilling (-f- 20 Pro zent) verfügen kann. Wenn man — be Bedachtnahme auf die beiden Fäll und Annahme gleicher Haushalts große — davon ausgeht, daß jeweil 4000 beziehungsweise 5000 Schilling im Haushalt für die Deckung eine: unabweisbaren Bedarfes gebunden sin< — gleichbleibende Preise angenom men —, ist beim ersten Haushalt da: „vagabundierende Einkommen“ nui um 1000, beim zweiten jedoch un 4000 Schilling größer geworden. Dei eine Haushalt kann nunmehr urr 1000 Schilling und der andere, be; gleicher Sparneigung, um 4000 Schilling mehr sparen, also der Kapitalbildung zuführen.

Zu allem kommt noch, daß die seinerzeit fixierte Begünstigung dei Familien im Recht der Einkommensteuer weithin zugunsten einer geradezu erstaunlichen und provokativen Privilegierung der Doppelverdiener vernachlässigt wurde, wobei die Gesetzgeber offenkundig unter dem Einfluß von massiv operierenden Pressure groups gestanden waren. Jedenfalls steht fest, daß die Doppelverdiener weiterhin mehrmals das steuerliche Existenzminimum (das doch auf einen Durchschnittshaushalt abgestellt ist) und auch das Werbungskostenpauschale erhalten. Beim Werbungskostenpauschale ist es doch so, daß es in der Mehrheit der Fälle eine (seinerzeit in diesem Blatt begründete) berechtigte Begünstigung der Dienstnehmer darstellt und nicht so sehr eine Art von Refundierung tatsächlicher Aufwendungen. Zu allem kommt noch, daß kinderlose Doppelverdiener gleichsam füreinander die Begünstigung durch Gewährung der Besteuerung nach Steuergruppe II eingeräumt erhalten. Die alleinverdienen-den Familienväter im Dienstnehmer-status werden dagegen, haben sie unversteuerte Nebeneinkünfte, in keiner Weise begünstigt; sie müssen ebenso wie die Kinderlosen ab einem uniformen Betrag von 3600 Schilling Einkommensteuerbekenntnis legen.

Der Familie helfen — aber wie?

Die Versuche einer Reform der Einkommensteuer konzentrieren sich in Österreich vor allem auf die Durchsetzung sozial- und gesellschaftspoliti-

scher Ziele. Nach Äußerungen des derzeitigen Finanzministers, der um die Bedeutung der Steuerpolitik für die Sozialpolitik weiß, soll vor allem die Gruppe der alleinverdienenden Familienväter begünstigt werden. Nun darf man aber nicht übersehen, daß eine steuerliche Begünstigung nur jenen zugute kommen kann, die relativ viel Steuern zahlen. Da die meisten Lohnbezieher zum Unterschied von den F.inkommensteuerpflichtigen lediglich ihren Nettolohn beachten, sind sie sich oft nicht der Tatsache bewußt, daß sie verhältnismäßig wenig Steuern zahlen. Wem nur 100 Schilling an Lohnsteuer abgezogen werden, dem kann von einer Reduktion der Einkommensteuer nur bis zu diesem Betrag ein Vorteil erwachsen.

Wenn die Familie an sich, unabhängig von der Steuerleistung des Familien- (Haushalt-) Vorstandes, vom Fiskus begünstigt werden soll, ist daher eine solche Begünstigung in zweifacher Weise möglich. Erstens durch die Reduktion der Einkommensteuer (Lohnsteuer) bei den Beziehern höherer Einkünfte und durch eine uniforme (vom Einkommen unabhängige) Subventionierung, also durch unmittelbare Umverteilung von Einkommen. Eine solche Subventionierung ist möglich durch eine bedarfskonforme Steigerung der Kinderbeihilfen, nicht allein, wie bisher, stufenförmig nach der Zahl der zu versorgenden Kinder, sondern auch durch eine Erhöhung der Beihilfe aliquot dem Alter der Kinder, da etwa ein studierender Hochschüler mehr kostet als ein Kleinkind. Anderseits müßte auch die provokative Behandlung , der Eltern nach Entlassung der Kinder aus der gesetzlichen Versorgungspflicht geändert werden. Wenn jemand zehn Kinder zu versorgen gehabt hatte, wird er als alter Mann — und nunmehr vielfacher Großvater — einem kinderlosen Ledigen über (derzeit) 40 Jahre gleichgestellt.

Im besonderen scheint es den Verantwortlichen.- um eine Begünstigung des Mittelstandes zu gehen. In Österreich setzt man, um eine Steuerreform zugunsten des Mittelstandes durch-

führen zu können, eine untere und eine obere Einkommengrenze als Limit an. Alle Personen, welche ein Einkommen jenseits der „Interventionspunkte“ beziehen, werden als „Mittelständler“ angesehen, auch wenn man sich dessen bewußt ist, daß der Mittelstand in sich eine Vielzahl von verschiedenen Interessengruppen vereinigt. Die Frage ist nun, mit welchem Höchsteinkommen man die Zugehörigkeit zum Mittelstand begrenzt. Offenkundig wird das Limit von den beiden „bürgerlichen“ Parteien höher angesetzt als von der SPÖ, wenn diese auch mit Rücksicht auf die große Zahl der in ihren Reihen befindlichen Mittelständler bereit zu sein scheint, ein erheblich über 100.000 Schilling hinausgehendes Jahreseinkommen als Obergrenze zu akzeptieren.

Die Vielzahl von Vergünstigungen im Rahmen der Besteuerung des Einkommens hat weithin dem Prinzip der Steuergerechtigkeit Rechnung zu tragen versucht. Erst in den letzten Jahren ist man von einem der konstitutiven Prinzipien der Steuergerechtigkeit, vom Prinzip der Hau s-h a 11 b e s t e u e r u n g, in einer bedenklichen Weise abgegangen.

Die fehlende Milliarde

Der Versorgungsstand einer Persor hängt nicht vom Einkommen ab, das sU selbst bezieht, sondern von jenem Ein kommen, welches auf die einzelne au: dem gemeinsamen Haushalteinkommei zu versorgende Person entfällt. Durcr die Herausnahme der dienstnehmerischen Einkünfte aus dem Prinzip dei Haushaltbesteuerung wurde das Prinzip bereits ursprünglich durchbrochen weil man von der durch die Wirklichkeit überholten Annahme ausging, daf das Eigentum an Produktionsmittel vorweg einen relativ hohen Versorgungsstatus garantiert, der durch eine dienstnehmerische Tätigkeit nicht erreicht werden kann. Bei den gemischten Einkünften (etwa: Gatte Beziehet von Besitzeinkommen und Gattin Angestellte) ist man zum Teil neuerlich vom Prinzip der Haushaltbesteuerung abgewichen wie überhaupt bei den Doppelverdienern, die sich unter den Gesetzgebern einer wachsenden Sym-phatie erfreuen.

Eine Steuerreform hat im allgemeinen heute einen Rückgang der Besteuerung zur Folge. Wenn die geplante Steuerreform durchgeführt wird, rechnet man mit einer Verminderung der Einnahmen um etwa eine Milliarde Schilling. Ist von einer Novellierung von Steuergesetzen die Rede, muß man im „Publikum“, in den Redaktionen so mancher Zeitungen, aber auch im Hohen Haus eine Unbekümmertheit feststellen, die stark jener nun klassisch gewordenen Naivität ähnlich ist, mit der man das Budget 1961 unseligen Angedenkens vorbereitete und beschloß. Nun muß jedes Budget als Balance zweier gleich großer, entgegengesetzt verlaufender Wertströme verstanden werden. Wenn eine Verringerung der Einnahmen, und dazu noch in der Größenordnung von einer Milliarde, gefordert wird, muß gleichzeitig festgelegt werden, mit welchen Maßnahmen der Einnahmeentfall kompensiert werden soll. Der skrupellose Egoismus mancher Interessentengruppen läßt diese und auch die Verantwortlichen oft über-

sehen, daß die Reduktion einer Seite des Budgets dieses selbst und damit den ganzen Staatshaushalt in Unordnung bringen kann.

Wenn wir also gewillt sind, die sehr populäre Maßnahme einer Verringerung des Steueraufkommens in der Größenordnung von „nur“ einer Milliarde zu beschließen, und dies in einem WahljahrO), muß man sich auch darüber Gedanken machen, woher denn die nun fehlende Milliarde zur Kompensation kommen soll, ob

• aus einem steigenden Volkseinkommen, das zur Vergrößerung der Steuerquellen und dadurch der Steuern führt,

• aus einer Verringerung der Ausgaben — eine Solche anzunehmen ist unrealistisch — oder

• aus einer Erhöhung der Sätze anderer Steuern, wenn nicht gar wieder einmal

• aus der „RePrivatisierung“ von Bundesvermögen.

Wenn man nicht weiß, wie man den Steuerentfall zu decken vermag, ist es besser, wenn auch nicht populärer, die Durchführung einer Steuerreform zu verschieben.

Zur geplanten (kleinen) Steuerreform kann sich eine Alternative bieten:

Eine punktuelle Verbesserung des Einkommensteuergesetzes da, wo es klare Benachteiligungen enthält, keinesfalls aber eine mechanische Verminderung der Besteuerung, da sich Gerechtigkeit (und auch die Steuergerechtigkeit) kaum jemals in Form einfacher und daher mechanischer Maßnahmen vollziehen kann, sondern eher in Form eines Katalogs sehr verschiedener Maßnahmen. Wenn nämlich die Reform der bisherigen Art der Besteuerung des Einkommens mechanisch vollzogen wird, ist sie sozialneutral und kann — vom Ausfall an Budgetmitteln abgesehen — das Einkommengefälle und damit auch die „relative Verelendung“, welche der-teit durch das Abgabenrecht ohnedies licht behindert wird, vergrößern.

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