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Bitte: Das Wohnproblem nicht länger prolongieren!

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In seiner Regierungserklärung 1970 verkündete Bundeskanzler Kreisky, die Grundlagen der Wohnbauförderung seien so zu gestalten, „daß in Österreich jährlich um 5000. Wohnungen mehr gebaut Werden können“. Seither wird ein steriler Streit zwischen Regierung und Opposition geführt, ob dieses Postulat erfüllt wurde oder nicht. Man wirft sich gegenseitig Zahlen an den Kopf, aber niemand findet es der Mühe wert, einmal fachmännische Information einzuholen.

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In seiner Regierungserklärung 1970 verkündete Bundeskanzler Kreisky, die Grundlagen der Wohnbauförderung seien so zu gestalten, „daß in Österreich jährlich um 5000. Wohnungen mehr gebaut Werden können“. Seither wird ein steriler Streit zwischen Regierung und Opposition geführt, ob dieses Postulat erfüllt wurde oder nicht. Man wirft sich gegenseitig Zahlen an den Kopf, aber niemand findet es der Mühe wert, einmal fachmännische Information einzuholen.

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Hätten sich die Politiker und ihre Ghost-writer der Mühe unterzogen, die ausgezeichnete Schrift des Professors der Linzer Hochschule Karlheinz Kieps über „Wohnbauförderung und Wohnungsverbesserung in Österreich“ zu lesen, sie wüßten die Antwort. Dort ist nämlich über die ominösen 5000 Wohnungen zu lesen:

„Da diese Zahl ohne Angabe irgendeiner Referenzperiode, mit der das ,mehr' zu konkretisieren gewesen wäre, und überdies auch ohne Angaben einer bestimmten ex-ante Periode genannt worden ist, gehört die Ankündigung von ,5000 Wohnungen mehr* zu jenen für politische Erklärungen typischen Leerformeln, die allein dazu dienen, der Öffentlichkeit ad hoc etwas zu suggerieren, worauf sie sich später niemals ernst und konkret berufen kann.“

Kieps weist des weiteren nach, daß die jährliche Wohnbaustatistdk für die Dekade 1961—1970 einen Neuzugang von insgesamt 466.695 Wohnungen ausweist, die Totalerhebung der Häuser- und Wohnungszählung von 1971 aber eine Zunahme von 543.222 Einheiten. Die Differenz beträgt jahresdurchschnittlich 7653 Wohnungen. Man muß also nur einmal die eine und dann die andere Statistik heranziehen, und schon sind1 mehr als Kreiskys 5000 Wohnungen aus dem Zylinder gezaubert.

Dieser katastrophale Mangel an zuverlässigen Statistiken läßt nach Ansicht Kieps' darauf schließen, „daß das Engagement der zuständigeh Stellen im Zusammenhang mit der Aufbringung und Verteilung der Förderungsmittel bisher stets ungleich größer gewesen ist als ihr Interesse daran, das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag für die Öffentlichkeit transparent zu machen.“

In ähnlich decouvrierender Weise werden in dieser fundierten und gut dokumentierten Schrift auch zahlreiche andere Probleme der Wohnbau- und Mietenpolitik analysiert und man sollte doch meinen, daß sich Politiker und Presse auf diese wahre Fundgrube von Fakten zu einem so aktuellen und akuten Problem gestürzt hätten. Aber keine Rede davon. Vergebens erwartete man von Politikern eine Bezugnahme, vergebens von Zeitungen, welche sonst mit höchstem Kompetenzanspruch Zensuren austeilen. Auch Hausbesitzer- und Mieterverbände haben sich offenbar damit nicht beschäftigt, obwohl dies das Niveau der wechselseitigen Polemiken um viele Etagen heben könnte.

Nun steht — wie das Justizministerium verlauten ließ eine neue Mietennovelle bevor, wobei zu befürchten ist, daß diese abermals ein Tohuwabohu kontradiktorischer Maßnahmen sein wird, so daß der Vorwurf gegen die bisherige Wohnungsmarktpolitik nach wie vor in Geltung sein wird, nämlich „daß es trotz ihrer inzwischen mehr als 80jährigen Geschichte politisch klare, umfassende und längerfristig gültige Zielfixierungen für die österreichische Wohnungsmarktpolitik nie gegeben hat.“ Auch für sämtliche Mietennovellen und Wohnbauförde-rungsgesetze der letzten Dezennien weist Kieps das „Fehlen konkreter Zielsetzungen“ nach. Wenn also dn nächster Zeit das Mieten- und Wohnbauproblem wieder aufgerührt werden soll, dann wäre es höchste Zeit, langfristige Fixierungen zu treffen, aber solche, welche das Übel an der tatsächlichen Wurzel treffen und realitätskonforme Therapie verordnen. Genauer: Ohne eine Revision der bisherigen Mietenpolitik wird sich das Wohnungsproblem in Österreich nicht lösen lassen. Dies aus folgenden Gründen:

• Die soziale Ausgangssituation hat sich seit Jänner 1917 — dem Datum der Einführung des Mieterschutzes — grundlegend gewandelt.

• Die Entfernung der Mieterschutz-poldtik von der noch bestehenden sozialen Bedürftigkeit ist zunehmend größer geworden. Wohlhabende leben in mietergeschützten Wohnungen und Bedürftige sind auf den freien Wohnungsmarkt angewiesen.

• Auch die vermeintlich Geschützten tragen mit ihren Steuern dazu bei, die Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu bezahlen, ohne daß diejenigen unter ihnen, die wirklich bedürftig sind, eine angemesene und wirksame Hilfe von Seiten des Staates erhielten.

Auch das Ziel, den quantitativen Wohnungsmangel ohne oder mit bloß ungenügender Rücksicht auf die Qualität zu beheben, ist längst obsolet, hat sich aber dm Lauf der Dezennien so stark verfestigt und zugleich verselbständigt, daß immer noch alle Anstrengungen darauf ausgerichtet sind, quantitative Höchstleistungen zu erzielen. Dies geschieht, ohne von der Tatsache Kenntnis zu nehmen,

• daß inzwischen ein Verhältnis zwischen Bevölkerungszahl und Wohnungsbestand erreicht worden ist; mit dem Österreich in Europa bereits eine Spitzenposition einnimmt;

• daß sich die Wohnverhältnisse und noch bestehenden Bedarfslük-ken zwischen den einzelnen Bundesländern erheblich voneinander unterscheiden und

• daß die quantitative Wohnbauförderung ä tout prix in den letzten Jahren als Treibriemen der Inflationsbeschleunigung wirksam geworden ist und dahin tendiert, diesen Prozeß auch weiterhin voranzutreiben.

Bei der bisherigen Mietpreis- und Mieterschutzpolitik sieht Kieps einen Zielkonflik't: die interventionistische Mietpreisndedirighaltung in Verbindung mit den Eingriffen in die Verfügungsrechte der Vermieter hat das Wohnungsangebot zusätzlich verknappt und eine vorzeitige wirtschaftliche und technische Überalterung des reglementierten Wohnungsbestandes hervorgerufen. Die staatliche Mietpreisniedrighaltung und gleichzeitige Kündigungsschutzpolitik haben den reglementierten Wohnungsbestand vom Markt ferngehalten, was insofern eine Überhöhung der Wohnungsnachfrage bewirkt hat, als die Belagsdichte in diesen für den neuen Nachfrager schier unerreichbaren Wohnungen im Lauf der Zeit — von Untervermietungen abgesehen — zunehmend geringer geworden ist. Die Möglichkeiten, wie auch der Anreiz für die Vermieter, notwendige Instandhaltungs- oder gar Verbesserungsarbeiten an den reglementierten Wohnungen vorzunehmen und aus den Mieteinnahmen zu finanzieren, sind auf ein Mindestmaß in der Nähe von Null reduziert worden. Darüber hinaus haben potentielle Wohnbauinvestoren ebenfalls keinen hinreichenden Anreiz mehr gesehen, neue Mietwohnungen zu errichten.

Die interventionistische Wohn-nungspolitik, welche ein Maximum an Wohnraum zu günstigen Konditionen zur Verfügung stellen sollte, hat per saldo genau das Gegenteil erreicht und gleichzeitig dem Steuerzahler eine Monsterlast durch einen gigantischen sozialen Wohnungsbau -aufgebürdet, welcher aber ausschließlich von Quantitätskriterien geleitet wird und sich qualitativ hart am Rande des gerade noch Zumutbaren bewegt.

Als „jüngstes Beispiel für die sozialpolitische Verwirrung, die inzwischen dn der Wohnungsmarktpolitik vorherrscht“ bezeichnet Kieps das „Weihnachtsmann-Gesetz“ vom 16. Juli 1971, das jedem, der ein aus Steuergeldern finanziertes Darlehen bis nunmehr 1977 vorzeitig zurückzahlt, eine „einmalige“ Vergünstigung von bis zu 50 Prozent des noch aushaftenden Darlehens beschert. Dadurch werden in erster Linde Wohlhabende beschenkt, während die für solche Geschenke ausgeworfenen Steuermittel von allen aufgebracht werden müssen.

Eine ähnliche Unterstützung der Wohlhabenden oder wenigstens nicht an einem Primärbedürfnis Mangel Leidenden sind auch die bisherigen Begünstigungen für die Errichtung und den Erwerb von Zweitwohnungen. Bei diesen Wohnungen handelt es sich „in ihrer überwältigenden Mehrzahl um ein ausgesprochenes

Wohlstandsphänomen“, dessen öffentliche Förderung

• wenig oder nichts zur Befriedigung des Wohnungs-Primärbedarfs beiträgt,

• das Problem der Bodenknappheit und der daraus resultierenden Bodenpreissteigerungen vergrößert,

• den allgemeinen Kosten- und Preisauftrieb im Bausektor beschleunigt, ,

• die Verbauung landschaftlich besonders, reizvoller Gebiete vorantreibt,

• ein Sozialprestige nährt, dessen Fragwürdigkeit, aus der Perspektive einkommensschwacher Mietergruppen betrachtet, besonders deutlich in Erscheinung tritt, und damit insgesamt

• das Subsidiaritätsprinzip öffentlicher Hilfeleistungen an Private ins Groteske verzerrt.

Angesichts dieser Perversionen der sozialen Wohnungsmarktpolitik fordert Professor Kieps auch eine Neuorientierung des Zielsystems. Er skizziert dabei folgende Maßnahmen:

• Eine Reduzierung der quantitativen bundesgesetzlichen Wohnbauförderung in Anpassung an den regional differenzierten Bedarf um zunächst ein Drittel, gemessen an den jahresdurchschnittlichen Aufwendungen seit 1968. Künftig soll die Förderung der quantitativen Wohnraumversorgung auf jene Gebiete konzentriert werden, in denen noch ein nachgewiesener quantitativer Wohnungsmangel besteht, und auf diejenigen, in den Substandard-wohnungen — zu deren Verfall die jahrzehntelang restriktive Mietengesetzgebung beigetragen hat und welche sich jetzt nicht mehr rationell modernisieren und sanieren lassen —durch Wohnungsneubauten zu ersetzen sind.

• Eine erhebliche Ausweitung der bundesgesetzlichen Wohnungsverbesserung in Anpassung an den hohen qualitativen Wohnungsfehlbestand, doch unter Beschränkung auf diejenigen Wohnungen, deren Qualität in den vergangenen Jahrzehnten durch staatliche Einwirkungen beeinträchtigt worden ist. Mit anderen Worten: Die Fördermittel sollen nicht jenen Objekten zugutekommen, die nicht den Bestimmungen des Mietengesetzes unterliegen und für die ohnehin marktkonforme Mietzinse eingehoben werden, oder welche mit öffentlichen Mitteln subventioniert wurden, sondern jenen sanierungswürdigen Gebäuden, deren Instandhaltung und Modernisierung durch die Mietengesetzgebung verhindert wurde.

• Zur Beschleunigung des Prozesses einer allgemeinen Verbesserung der Wohnverhältnisse sind neben der direkten Förderung bei den mietengeschützten Objekten „als eine Art Wiedergutmachung wohnungsmarkt-politischer Fehlentwicklungen der Vergangenheit“ auch indirekte Anreize in Betracht zu ziehen. So sollten die privaten Aufwendungen für Wohnungsverbesserungen in die Bausparfinanzierung einbezogen und durch entsprechende Abschreibungsmöglichkeiten steuerrechtlich begünstigt werden. Die zusätzlichen Belastungen, die der öffentlichen Hand aus solchen indirekt wirksamen Maßnahmen erwachsen, könnten durch eine Aufhebung der bisherigen Begünstigungen für Zweitwohnungen weitgehend ausgeglichen werden.

• Die Aufhebung der noch bestehenden Mietpreisreglementierungen und die Befriedigung echter sozialer Bedürfnisse durch Wohn- und Miet-zinsbeihdlfen im Ausmaß vergleichbarer „ortsüblicher“ Wohnungsaufwendungen unter Beschränkung der damit erforderlichen Kontrollen auf den Bereich der Empfänger solcher Beihilfen.

• Eine verstärkte Förderung des Erwerbs von Eigenheimen oder Eigentumswohnungen. Gewiß werden sich solche Vorschläge nicht von einem Tag auf den anderen realisieren lassen — so werden beispielsweise bis zur totalen Aufhebung der Mietpreisreglementierungen einige Zwischenphasen eingeschaltet werden müssen—, aber sämtliche gesetzliche Maßnahmen müßten in Zukunft in diese Richtung gehen, wenn wir endlich zu einer sozial gerechten und für die Staatsfinanzen tragbaren Wohnungsmarktpolitik kommen wollen.

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