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POLITIK MIT DEM EINKAUFSKORB?

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Konsumenten sind mächtig, sagen die einen. Vor ihren Kaufentscheidungen zittern täglich die Wirtschaftsbosse. Stimmt nicht, sagen die anderen. Verbraucher sind ohnmächtig und der Manipulation durch Produzenten und Werbung hilflos ausgesetzt. Ist der Kunde nun wirklich König oder Opfer raffinierter Werbestrategen? Redaktionelle Gestaltung: Elfi Thiemer

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Konsumenten sind mächtig, sagen die einen. Vor ihren Kaufentscheidungen zittern täglich die Wirtschaftsbosse. Stimmt nicht, sagen die anderen. Verbraucher sind ohnmächtig und der Manipulation durch Produzenten und Werbung hilflos ausgesetzt. Ist der Kunde nun wirklich König oder Opfer raffinierter Werbestrategen? Redaktionelle Gestaltung: Elfi Thiemer

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„Konsumenten werden sich zunehmend ihrer Macht bewußt", stellt Helene Karmasin, Leiterin des Institutes für Motivforschung in Wien, im Gespräch mit der FURCHE fest. Immer mehr österreichische Hausfrauen und Hausmänner überlegen kritischer als früher, welche Produkte sie kaufen wollen und welche nicht. Sie merken, daß sie mit ihrem Kauf-verhalten etwas bewirken oder zumindest Signale setzen könn(t)en. Allerdings, so Karmasin einschränkend, „sind das immer noch kleinere Gruppen, und ihr Verhalten beeinflußt nur Randgebiete der Warenwelt".

Klarerweise wird beim Griff in die Regale für den täglichen Bedarf nicht lange überlegt. Die Zeit reicht meist gar nicht für langes Vergleichen von Preis und Leistung, von Produktinhalten und Überfülle an Konkurrenzangeboten. Hier dominiert die Routine. Man erinnert sich an ein bewährtes Produkt, an das man sich gewöhnt hat. Oder an eine enttäuschende Erfahrung nach dem Motto: „Das kauf ich nie wieder".

Die Masse der Konsumenten, präzisiert Karmasin „verhält sich passiv. Sie tut von sich aus nichts". Gekauft wird, was in den Regalen steht. Es gibt kaum eindeutige Willenskundgebungen, ein Produkt massiv zu wollen oder es abzulehnen. So ungern man es vielleicht hören mag: Kein einziges Produkt ist bis jetzt in den Regalen verstaubt, weil es beispielsweise umweltschädlich ist (siehe Beitrag von Richard Maly Seite 10).

Die Käufer sind zufrieden, analysier! Motivforscherin Karmasin weiter, wenn die Qualität akzeptabel, der Preis vertretbar, der äußere Eindruck ansprechend ist.

Will der Kunde im Grunde also nicht „König" sein? Oder kann er das gar nicht?

Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Im Gegenteil, hier steht These gegen These. Auf der einen Seite sagen Marktwirtschaftler wie der berühmte österreichisch-amerikanische Nationalökonom Ludwig von Mises: „Die Verbraucher sind souverän". Sie entscheiden durch Kauf oder Nicht-Kauf über Gewinn und Verlust und damit über die Existenz eines Unternehmens. Ähnlich wie in der Demokratie der Bürger ist auch der Konsument der wahre Machthaber. Nach seinen Kaufentscheidungen müssen die Produzenten tanzen. So wie in der Politik der Wähler letztlich entscheidet, was gemacht wird.

Die Kritiker dieser Vorstellung sehen das ganz anders: Der Konsument soll sich zwar so fühlen, als sei er frei, und was auf den Markt kommt, hängt von seiner Nachfrage ab. In Wirklichkeit ist es umgekehrt. Wie ja auch in der Politik die Parteien das Sagen haben und die Wähler immer nur zwischen den Angeboten wählen können, die ihnen vorgesetzt werden. Somit ist auch die „Macht der Konsumenten" nur eine Fiktion und der „passive Konsument" (Karmasin) hat sich eigentlich gar nichts vorzuwerfen.

Einer der berühmten Kritiker der Lehre von der Macht der Konsumenten, John Kenneth Galbraith, vertritt die Auffassung: In der modernen Wirtschaft sind die Unternehmen so mächtig, daß sie sich nicht nach dem Konsumenten zu richten brauchen. Im Gegenteil. Sie richten sich's. indem sie mit den Mitteln und der Raffinesse der Werbung dem Konsumenten einreden, wie er von seiner „Souveränität" Gebrauch machen soll. Auch in deutschsprachigen Büchern zum Thema „Wirtschaftliche Macht" ist von allem Möglichen die Rede. Nur nicht von der Macht der Konsumenten.

Das klingt auch durchaus plausibel, wenn man sich vorstellt, wie sehr man tatsächlich davon abhängig ist, was gerade (nicht) in den Regalen steht. Wenn es Modeschöpfern und Hosenerzeugern gerade nicht paßt, gibt es um keinen Preis eine Bundfaltenhose zu kaufen.

Wereinen ganz „normalen" Weich-spüler für die Wäsche haben will, ist auch arm dran. Er kann nicht wählen, sondern nur mehr zwischen -zig Flaschen mit diesen unberechenbaren Konzentraten entscheiden. So sehen die täglichen Entscheidungsfreiheiten in Wirklichkeit aus. Hat sich das ernsthaft irgendeine Hausfrau so gewünscht? Wohl kaum.

Zwischen diesen beiden extremen Thesen - Der Kunde ist König, der Verbraucher ist ohnmächtig - gibt es aber noch eine dritte Position. Sie wird von Wirtschaftsethikern vertreten, zum Beispiel im Bereich der Katholischen Soziallehre.

Für sie ist die Macht des Konsumenten weder eine faktische Tatsache noch eine Fiktion, sondern eine politische und pädagogische Aufgabe. So meinte Johannes Messner, der Nestor der katholischen Sozialethik in Österreich: In einer „richtigen und guten" Wirtschaftsordnung wäre der Kunde tatsächlich König. Aber er ist es nicht und deshalb muß die Macht des Konsumenten gestärkt werden, indem die Macht der anderen Seite eingeschränkt und unter Kontrolle gehalten wird.

Eine Utopie? Nein, die Entwicklung in dieser Richtung hat mit Bemühungen um Verbraucherschutz und Produkthaftung (siehe Beitrag von Fritz Koppe, Seite 11) bereits eingesetzt und macht Fortschritte.

Der Konsument wird allerdings die Macht, die ihm die Rechtsordnung verschafft, nur dann einsetzen (können), wenn er auch weiß wie. Messner fordert daher einen „neuen Typ des Konsumenten". Ihn zu einem „mündigen" Verbraucher zu erziehen, wäre eine große Aufgabe der Sozialpädagogik.

Im Grunde müßte diese Aufgabe bereits angegangen werden. Denn die Angebote an Waren und Dienstleistungen werden noch viel reichhaltiger, unübersichtlicher und verführerischer sein, wenn wir erst in den grenzenlosen Europäischen Binnenmarkt miteinbezogen sind. Daher müßten auch die österreichischen Konsumenten „Europareife" erlangen und nicht nur Banken, Versicherungen, Elektronikproduzenten et cetera.

Noch etwas: Was wirkliche „Ohnmacht des Verbrauchers" bedeutet, das sehen wir eigentlich auch nur als Konsumenten des Fernsehprogram-mes: Wenn wir die Menschenschlangen in Moskau sehen, wie sie nächtelang ausharren und trotzdem nichts für ihre Rubelscheine kriegen.Und es gibt für sie auch kaum die Qual der Wahl. Die Läden dort sind ebenso leer wie die Mägen der Hungernden in Afrika und anderswo...

Sind da unsere Ohnmachtsgefühle nicht Pseudoprobleme?

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