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Falsche Politik um den Arbeiter

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Der politisch interessierte Österreicher hat in den letzten Monaten erstaunt eine neue Anziehungskraft des Kommunismus in bisherigen sozialistischen Schwerpunkten, zum Beispiel in einigen großindustriellen Betrieben und bei den Österreichischen Bundesbahnen, festgestellt, wo die Kommunisten gegenüber der vorletzten Per-sonalvertrerungswahl mehr als viertausend Stimmen gewannen und mehr als 11.000 Stimmen erreichten.

Es überrascht, daß diese Entwicklung bisher wenig Beachtung fand und zu keiner echten politischen und wirtschaftlichen Gewissenserforschung führte. Ich bin dafür, daß man die neuerlich auftretende, wenn auch noch keineswegs zu besonderer Sorge Anlaß gebende Tendenz zum Kommunismus unter der Arbeiterschaft nicht bagatellisieren sollte, zumal ich sie auf Tatbestände zurückführe.

Was sind das für Tatbestände?

Immer wieder hören wir von berufener und verantwortungsbeschwer-ter Seite, daß dem Kommunismus nur durch eine bessere Idee Einhalt geboten werden kann. Die größte Angst hat der Kommunismus nicht vor den Atom-, sondern den geistigen Waffen. Man denke nur an die offenbar sehr heftigen Bemühungen, China der Auffassung des Kremls zu unterwerfen, die Reaktion Moskaus auf die ideologische Abtrünnigkeit Jugoslawiens und an die immer wieder aufflackernden Differenzen mit Ostblockländern. Niemand darf eben anderer Meinung als der Kreml sein, der sonst seine Stellung als Leitstelle des' Weltkommunismus und einer Bolschewisie-rung der Welt, die trotz aller Koexistenzpolitik angestrebt wird, in Ge-.fahr sieht. Man weiß, daß die Einheit der Lehre der sicherste Garant des Sieges ist.

Aber man ist nicht überall der Ansicht Moskaus. Nicht einmal in der Sowjetunion selbst. Ich habe das staunend gelegentlich meiner Besuchsreise durch Rußland erlebt. In ernsten Gesprächen wurden Libeialisierungsten-.denzen im sowjetischen Kommunismus dann offenbar, wenn man sich unbeobachtet fühlte und Vertrauen zum Gesprächspartner hatte.

Wir glauben, daß Anlaß besteht, diese Entwicklung, die unserer Meinung nach nur ein Krieg gegen die Sowjetunion wieder zerstören könnte, interessiert zu verfolgen. Im Falle eines Krieges würden die „Liberalen“ wieder orthodoxe Sowjetkommunisten und stünden trotz aller Neigung zur Kritik am Kommunismus in Rußland zum Vaterland. Was man aber in Rußland mit Leidenschaft tut, ist eine Beobachtung der westlichen Welt, deren Stand und Entwicklung man mit einer geradezu seismographischen Empfindlichkeit registriert und verfolgt.

Die Ergebnisse

Wir kennen sie alle und wissen, daß sie nicht immer freundlich und für den im Glauben an den Sowjetkommunismus wankend Gewordenen ermutigend sind. Der Westen vergeudet seine Kräfte nur zu oft an absolut zweitrangige Probleme, läßt die ihm der kommunistischen Welt gegenüber so nötige Einheit nicht selten an national-egoistischen Empfindlichkeiten scheitern und erweckt nicht im geringsten den Eindruck, daß er seine Gegenwart und Zukunft neugestalten möchte beziehungsweise wird. Bestenfalls redet er davon, tut dafür aber zuwenig oder überhaupt nichts. Was sich dem kritischen Sowjetrussen angesichts der Erscheinungen im Westen soziologisch und ökonomisch zum Vergleich anbietet, ist eine uneinige, tatenarme, wenn nicht gar tatenlose westliche und eine tatenfreudige, wenn auch keineswegs immer einige östliche Welt.

Man glaube nicht, daß es1 dem die Dinge kritisch untersuchenden österreichischen Arbeiter viel anders geht. Auch in Österreich sind kaum ernste Versuche zur Neugestaltung unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens erkennbar; öfter drängt sich vielmehr gleichfalls der Eindruck des mangelnden Willens zu einer Neugestaltung auf. Man übersieht, daß man in einer Welt, die weitgehend dynamisch geworden ist, nicht mit statischen Elementen allein Politik machen kann, und eine solche Politik geradezu Selbstmord bedeutet. Ebenso nimmt

man auch nicht zur Kenntnis, daß sich eine dynamisch gewordene Welt selbst durch verschlossene Türen Eintritt in die Räume der vorwiegend statischen Politik zu verschaffen vermag. Was man sich von der westlichen Welt und was sich der denkende österreichische Arbeiter von seinen Parteien erwartet, sind Aktivität und politische Konzepte, von denen aber nur ganz selten etwas zu bemerken ist.

Politische Müdigkeit

Es ist unbestreitbar, daß sich daher in der Arbeiterschaft eine gewisse politische Niedergeschlagenheit bemerkbar macht. Die Arbeiterschaft kämpft gerne und ist Kampf gewohnt. Um was kann sie aber heute kämpfen? Um ein paar Lohngroschen oder um eine sozialpolitische oder arbeitsrechtliche Verbesserung. Neuland, das es sich zu erkämpfen lohnt, wird nicht betreten.

Für den Sozialisten gibt es kein echtes Kampfziel mehr, daher trabt man in den alten, ausgetretenen Pfaden dahin und tut so, als würde sich in der Welt seit Karl Marx nichts mehr geändert haben. Das macht verdrossen, zumal beim sozialistischen Arbeiter noch dazukommt, daß er seinen Kampf nicht selten gegen den Genossen Generaldirektor oder gar den Genossen Minister führen müßte, was er aber nicht darf, weil das die Parteidisziplin schädigen würde. Also versucht er es einmal mit anderen.

Und der christliche Arbeiter leidet darunter, daß innerhalb seiner politischen Gesinnungsgemeinschaft immer noch der Liberalismus maßgeblich mitpolitisiert, der sich jeder gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Neuerung gegenüber geradezu hermetisch verschließt und sich im besten Fall für eine ,,Sozialreform zu ermäßigten Preisen“, die es aber nicht gibt, ausspricht. Geht es hoch, dann liest und hört man, was die Päpste und Bischöfe zur sozialen Problematik sagten und sagen, und stellt dann die Rundschreiben in die Bibliotheken, wo sie mit anderen Büchern verstauben. Hielte man es anders, ginge man zur sozialreformatorischen Tat über, dann würde in Österreich nach meiner Überzeugung eine ganz neue politische

Entwicklung eingeleitet werden. Man würde staunend erleben, wie weitgehend gerade die sozialistischen Arbeiter ideologisch schon heimatlos geworden sind.

Und im Wirtschaftlichen?

Man verzeihe uns das harte Wort: Hier wird geradezu unverantwortlich Schindluder mit dem Vertrauen der Arbeiterschaft getrieben. Denken wir hier zum Beispiel nur an das, was sich auf der „bürgerlichen“ Seite Lohnpolitik nennt. Wird eine Lohnforderung erhoben, lehnt man sie zuerst in der Überzahl der Fälle ab. „Geht nicht“, sagt man, „der Betrieb hält es nicht aus, es würden gefährliche Beispielsfolgen entstehen oder es würde gar die Währung gefährdet werden.“ Dann rasselt man auf der anderen Seite ein bißchen mit der Warn-

streikkette; oft streikt man sogar ein paar Tage, und schon ist auf einmal möglich, was früher völlig unmöglich war. Die Lohnforderung wird genehmigt, und der Betrieb geht nicht zugrunde. Beispielsfolgerungen werden trotz ihrer früheren Unerträglichkeit in Kauf genommen, und die Währung bleibt auch stabil. Ja, glaubt denn wirklich jemand, daß eine solche Lohnpolitik ein denkender Arbeiter noch ernst nimmt? Sie zwingt ihm ja geradezu die Meinung auf, daß es einfach am guten Willen, ihn am Wirtschaftserfolg teilhaben zu lassen, mangelt, und daß jeder Betrieb an allen Ecken und Enden einsetzbare stille Reserven hat, die der Arbeiter miterarbeiten muß, Reserven, aus denen die anfänglich „untragbare“ Lohnforderung honoriert wird. Diese Praxis verdirbt unendlich viel ehrliches Vertrauen, das wir für die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zum beiderseitigen Vorteil so nötig hätten.

Ein anderes Beispiel auf dem gleichen Sektor

Der Liberalismus hat die Arbeit zur Ware, wie jede andere, erklärt. Eine grausame und unsittliche Auffassung. Der Preis der Ware Arbeitskraft wird ' daher nach seiner Behauptung von marktpolitischen Tatbeständen, dem angeblichen Preisgesetz von Angebot und Nachfrage, bestimmt. Plötzlich läßt man bei Lohnverhandlungen, bei den Auseinandersetzungen über den Preis der Arbeit, dieses angebliche Preisgesetz, die marktpolitischen Tatbestände, aber nicht mehr gelten und führt die Preisverhandlungen nur noch nach machtpolitischen Grundsätzen. Und wieder die Frage: Glaubt ein Mensch, daß die Arbeiterschaft das nicht merkt und die Benachteiligung, die ihr aus dieser Inkonsequenz erwächst, nicht verärgert registriert? Sie, die Arbeiterschaft, muß eine Ware, wenn sie knapp vorhanden ist, teurer bezahlen, weil es das angebliche Preisgesetz so erzwingt. Wenn die einzige ..Ware“ der Arbeiterschaft, ihre Arbeitskraft, zur Mangelware geworden ist. will man deren Preis womöglich noch vermindern. Eine solche Praxis muß verärgern und alles Vertrauen zerstören. Sie läßt erkennen, wie sich der wirtschaftliche Liberalismus immer mehr in seiner eigenen Falle fängt und zum Abtreten qualifiziert.

Das fehlende Vertrauen

Das Vertrauen der Sozialpartner zueinander fehlt heute, aber nicht aus Schuld der Arbeitnehmer. Die Arbeitnehmer möchten vielmehr gerne vertrauen. Tatsächlich ist heute das gesamte Betriebsgeschehen für die Arbeiterschaft ein Buch mit sieben Siegeln. Die Zeiten sind aber längst vorbei, in denen der Arbeiter dem Unternehmer das höhere Emkommen, wenn es echtes Arbeitseinkommen ist, neidet. Ebenso ist die Zeit vorüber, in der man die Höherwertigkeit der Unternehmertätigkeit, wenn sie wirklich geleistet wird, bestritten hat. Man will als Arbeiter auch jetzt zum Betriebsgeschehen gehört weiden und man will mitverdienen, wenn es gut geht, wi man auch bereit ist, Opfer zu bringen, wenn es einmal schlechter ist und diese Opfer nicht einseitig gefordert werden. Das ist die Gesinnung der Arbeiterschaft von heute. Wir kennen einen Fall in einem Beteiligungsbetrieb, in dem die Arbeiterschaft zum Chef ging und ihn aufforderte, sich ein repräsentativeres Auto anzuschaffen, weil es nach ihrer Meinung das Ansehen des Betriebes so - erforderte. Der Einwand, daß dieser Ankauf ihr Einkommen schmälern werde, wurde mit dem Hinweis, daß man das sehr wohl wisse, aber in, Kauf nehme, beantwortet. Den Chef dieses Unternehmens hat man übrigens, als er seine Beteiligungsmethode vor seinen Standesgenossen in Wien vortrug und zur Nachahmung empfahl, ausgepfiffen (!)• Auch ist uns ein Fall bekannt, daß Arbeiter einer Lohnreduktion zustimmten, weil es der Betrieb im Augenblick so erforderte. Solche Betriebsgesinnung ist das Produkt des Vertrauens.

Wir hielten es an der Zeit, würde man auch in Österreich einmal Erwägungen über die von uns'aufgezeigten Tatbestände anstellen und aus den Erfahrungen lernen, die man anderswo mit Beteiligungsbetrieben 'machte.

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