Ein Marathon ins Molekül

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Er kämpft sich zu kleinsten Proteinen vor - und fängt ihre Bewegungen mit Ausdauer ein: Über die schweißtreibende Forschung des Gerhard Schütz.

Straßenbahn-Endstation, Slalom durch den Linzer Uni-Campus, TNF-Turm, zehnter Stock: Wer hier oben ankommt, hat einen langen Atem gebraucht - wenn auch nicht zwingend die Kondition des Gerhard Schütz: 15 Kilometer hat er heute früh schon hinter sich gebracht, 15 weitere wird er des Abends bezwingen - mit dem Fahrrad, wie jeden Tag. "Dabei kann man sein Gemüt ein bisschen gehen lassen", meint der Marathonmann in T-Shirt und kurzen Hosen. "Zugleich fallen mir dabei immer so viele Sachen ein." Dem Himmel sei Dank für diese Inspiration, sonst wäre Schütz nicht das, was er heute ist: Professor am Institut für Biophysik der Linzer Johannes Kepler Universität, START-Preisträger des Jahres 2004 - und einer der ausdauerndsten Pendler zwischen der exakten Welt Keplers und dem komplexen Universum der Biologie.

Erkrankung live

Was das heißt, zeigt Schütz in seinem Labor: "Mit diesem Laser bringen wir einzelne Moleküle zum Leuchten", sagt er und deutet auf das Wirrsal auf dem optischen Tisch. Hinter dem Vorhang, geschützt vom Streulicht, verbirgt sich der eigentliche Stolz des Biophysikers: sein hochsensitives Fluoreszenz-Mikroskop. "Unser Ziel ist es, damit die Aktivierung einer T-Zelle zu untersuchen, also den Moment, wann das Immunsystem erkennt, ob es von einem Krankheitserreger befallen worden ist", erzählt der Forscher. Dieser Zell-Zell-Kontakt sei im Prinzip zwar schon gut studiert, aber im Bereich von wenigen Nanometern, also wenigen millionstel Millimetern, wisse man noch nichts. "Und da sind wir dann mit unserer Einzelmolekül-Mikroskopie einfach hineingestoßen."

Fluoreszierendes Leben

Ein Vorhaben mit Tücken, weiß der 37-jährige Forscher: Schließlich sind die einzelnen Proteine, deren Bewegung man verfolgen will, für herkömmliche Mikroskope viel zu kontrastarm und zu dicht: Zehntausende Proteine tummeln sich in einer Zelle. Um einen scharfen Blick ins pulsierende Leben werfen zu können, behilft sich Schütz mit Belichtungszeiten von weniger als einer tausendstel Sekunde, mit einem leistungsstarken Laser - und der Eigenschaft der Fluoreszenz. Wie mit einem Leuchtstift sollen die Moleküle markiert werden - doch mit welcher Methode? "Der beste Marker ist das, was das Immun-System selbst produziert - der Antikörper", lautet die Antwort von Schütz. "Diesen Antiköper markieren wir mit einem organischen Farbstoffmolekül, geben ihn der Zelle zu, er bindet sich dann an die Proteine, die für uns interessant sind - und wir können ihre Bewegung leicht verfolgen."

Ein gefinkeltes Unterfangen. Nur wozu? "Keine Ahnung", lacht der passionierte Bergsteiger später in seinem Büro mit Blick ins Mühlviertel - um dann doch zu präzisieren: "Die Biologie ist im Grundverständnis biologischer Materie noch nicht weit. Man hat die großen Player entdeckt - Proteine, DNA, Ionen -, aber über ihre Struktur und Funktion haben wir nur eine sehr rudimentäre Vorstellung. Jede Information hilft uns da weiter. Das ist wie ein Glücksspiel - aber ein gerichtetes."

So viel Vertrauen in Zufälle kommt nicht von ungefähr. Schon das Studium der Technischen Physik an der Johannes Kepler Universität ist Schütz "einfach so passiert": "Physik war einfach ein forderndes und exaktes Studium - und das hat mir gefallen", erinnert sich der gebürtige Linzer. Der ehrgeizige Student verschlingt Kepler, Philosophie, Wissenschaftstheorie, Belletristik - und empfindet die Präzision der Physik immer mehr als Belastung. Kein Wunder, dass er sich schnell für das Fach Biophysik begeistert, das Hansgeorg Schindler Ende der achtziger Jahre nach Linz gebracht hat - und das bis heute österreichweit nur hier angeboten wird. "In der Biologie gibt es einfach so viel mehr Vielfalt - und so viel weniger Wissen", betont Schütz. "Das hat mich dann gepackt."

Der junge Mann beginnt seine Doktorarbeit im Bereich Biophysik - und gerät nach dem tödlichen Bergunfall seiner Lebensgefährtin in eine Krise. "Da bin ich ausgewichen und habe das Lehramtsstudium für Mathematik und Physik gemacht", erzählt er. Bis heute geht er mit Leidenschaft in Schulen, doch zum Beruf werden sollte es nicht - da war sein Mentor, Professor Schindler, vor. "Der hat gesagt: Herr Schütz, bleiben Sie bei uns."

Attraktive Heimat

Bis heute ist er ohne Unterbrechung in Linz geblieben - eine Heimatverbundenheit, die für Spitzenforscher selten ist. "Es haben sich eben immer Optionen ergeben, die vor Ort attraktiver waren als in der Ferne", meint er zu diesem Umstand. Eine dieser Optionen wird abermals durch einen tragischen Bergunfall ausgelöst: Im August 2001 verunglückt Hansgeorg Schindler tödlich. "Das hat es für mich notwendig gemacht, relativ schnell flügge zu werden", erinnert sich sein ehemaliger Student. Schütz konsolidiert sich als Universitätsprofessor, hält Vorlesungen - und beantragt ein Projekt im Rahmen des Genomforschungs-Programmes "GEN-AU" des Wissenschaftsministeriums. Mit Erfolg: 5,5 Millionen Euro erhält sein Institut gemeinsam mit acht weiteren Gruppen aus Wissenschaft und Industrie zur Entwicklung einer hochsensitiven Mikroskopie-Methode für Biochips. Ein Monsterprojekt, das der erst 34-jährige Gerhard Schütz koordiniert.

Zufälliger START

Bald kommt es zur nächsten glücklichen Fügung - einem gemeinsamen Hotelzimmer mit dem Immunologen Johannes Huppa während einer Konferenz in Spanien. Aus Gutenacht-Gesprächen entstehen die Grundlagen für das START-Projekt - die Fluoreszenz-Mikroskopie an einzelnen Biomolekülen, für die er 2004 1,2 Millionen Euro erhält. "Diese Bestätigung hat sehr gut getan", meint Schütz.

Zu bescheiden? Dieser Mann ist eben ein Grenzgänger - und Ausdauer gewöhnt: Beim Linzer Marathon, den er mit 2:58 Stunden bewältigt hat, wie in seiner Forschung. "Kürzlich hat mir ein Schüler wieder erzählt, was für Einstein einen guten Forscher ausgemacht hat", sagt der Marathonmann, bevor er sich aufs Fahrrad schwingt. "Ein Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration".

Nächste Woche: Alexandra Lusser

Wasserkopf Wien?

In Linz beginnt's - auch im Bereich der Spitzenforschung, wie Gerhard Schütz beweist. Insgesamt sind von den 49 START-Preisen, die seit 1996 vergeben wurden, freilich nur vier nach Oberösterreich gewandert, acht gingen nach Graz, sieben nach Innsbruck und einer nach Salzburg. Der Löwenanteil von 29 Preisen blieb freilich in den Universitäten und Forschungsinstitutionen der Bundeshauptstadt. "Das spiegelt wohl ungefähr den tatsächlichen Wissenschaftsbetrieb wider", meint Christoph Kratky, selbst Professor für Strukturbiologie an der Karl Franzens Universität Graz und derzeit Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, der das START-Programm im Auftrag des Wissenschaftsministeriums abwickelt. "In Wien gibt es eben sehr forschungsstarke Universitäten und Institutionen", stellt Kratky fest. An vorderster Stelle das Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in der Wiener Dr. Bohr-Gasse: Von den 17 renommierten Wittgensteinpreisen, die seit 1996 gleichzeitig mit den START-Preisen vergeben wurden, gingen allein vier hierher - u.a. an den ehemaligen IMP-Leiter Kim Nasmyth (mittlerweile in Oxford) und an seinen Nachfolger, den Australier Barry Dickson.

Gerhard Schütz lässt sich von so viel Internationalität seine Zufriedenheit in Linz trotzdem nicht vermiesen: "Es war nicht geplant, dass ich immer hier bleibe", meint er nüchtern. "Aber es war auch nicht geplant, dass ich dorthin komme, wo ich jetzt stehe." DH

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