Stefan Brunnhuber: „Zugang zu unendlichen Parallelwelten“
Künstliche Intelligenz wird den Wissenschaftsbetrieb radikal verändern: Stefan Brunnhuber über eine disruptive Technologie zwischen Weisheit und Wahnsinn.
Künstliche Intelligenz wird den Wissenschaftsbetrieb radikal verändern: Stefan Brunnhuber über eine disruptive Technologie zwischen Weisheit und Wahnsinn.
Über Künstliche Intelligenz wird viel diskutiert. Stefan Brunnhuber will die oft eng geführten Debatten in einen größeren, kulturellen Kontext stellen – im Austausch mit führenden Wissenschaftlern ebenso wie vor einem größeren Publikum, heuer etwa als Vortragender des Ars electronica Festivals in Linz (6.9.–10.9.2023). Brunnhuber ist Ärztlicher Direktor der Diakonie Kliniken Zschadraß in Sachsen und Chefarzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Der gebürtige Augsburger studierte Medizin, Soziologie und Philosophie und ist für sein vielseitiges Denken bekannt. So setzt er sich für ein nachhaltiges Finanzsystem ein und ist u. a. Vollmitglied in der renommierten Denkfabrik „Club of Rome“.
DIE FURCHE: Herr Professor Brunnhuber, was sind für Sie aktuell bahnbrechende Anwendungen von Künstlicher Intelligenz (KI)?
Stefan Brunnhuber: Es reicht ein Blick in die Medizin: Mittels KI lassen sich neue Formen von Antibiotika entdecken. Das ist ein viel versprechender Ansatz für das „postantibiotische Zeitalter“, wenn die herkömmlichen Medikamente aufgrund von Resistenzbildung ihre Wirksamkeit verlieren. Ebenso könnten KI-Programme die Struktur von Proteinen in kurzer Zeit ähnlich präzise bestimmen, wie es Wissenschaftlern sonst oft nur in extrem langwieriger Arbeit gelingt. Auch das wäre ein Durchbruch für die Medikamentenentwicklung. Eine große Rolle spielt KI auch für das Risikomanagement in komplexen Systemen, etwa bei der Vorhersage von Umweltkatastrophen oder der Entwicklungen an den Finanzmärkten.
DIE FURCHE: Sie gehen davon aus, dass die KI nicht nur die Natur-, sondern auch die Geisteswissenschaften massiv verändern wird. Doch in den Letzteren geht es ums Verstehen, und da lassen sich menschliche Intelligenz und Empathie wohl nicht ersetzen...
Brunnhuber: Mit KI haben wir Zugriff auf das komplette Wissen der Menschheitsgeschichte – im Guten wie im Schlechten, in der Weisheit wie im Wahnsinn, im Fakt wie im „Fake“. So verarbeitet ein „Large Language Model“ (LLM) basierend auf „Deep Learning“ und riesigen Datensätzen binnen kürzester Zeit gigantisches Wissen. Ein weiteres Beispiel: Die in Keilschrift verfasste Literatur ist größer als die Literatur der antiken Griechen und Römer zusammen. Müsste ein Akademiker all diese Texte einlesen, so bräuchte er ein Vielfaches der menschlichen Lebenszeit. Mit der KI hingegen kann man sie rasch entziffern.
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