Elke Erb - © Foto: Kritzilina (cc)

Elke Erb: Bis die Sprache ihr Okay gibt

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Elke Erb ist achtzig. Dieser Satz ist schier unglaublich! Zumindest für mich.

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Elke Erb ist achtzig. Dieser Satz ist schier unglaublich! Zumindest für mich.

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Ich habe Elke Erb Anfang der 1990er-Jahre kennengelernt: Christian Pixis, der Verleger meines zweiten Prosabuchs auf Deutsch ("Der Frankfurter Stier", 1996), hatte ihr vorgeschlagen, dieses Buch zu übersetzen. Sie und Sergej Gladkich, der einzige Russe, den ich kenne, der Deutsch akzentfrei spricht, haben das gemacht, was selbstverständlich zu vielen Telefongesprächen mit mir und in erster Linie mit meiner Frau Olga Martynova und auch zu einigen Besuchen von Elke bei uns in Frankfurt führte.

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In der DDR übersetzte man oft famos. Die Ossip-Mandelstamm-Übersetzungen von Rainer Kirsch sind für meine Begriffe besser als die von Paul Celan. Das ist nur ein Beispiel, ich könnte mehrere anführen, will aber zurück zu Elke Erb. Sie gehörte zu dieser starken Nachdichtungsschule, was später meinen von ihr übersetzten Gedichten sehr zugute kam.

Kommt Elke für ein paar Tage vorbei, beginnt das "Arbeiten" beinahe sofort. Das Arbeiten ist die Grundform ihrer Existenz und auch die Grundform jeglicher Kommunikation mit ihr. Man spricht eine Stelle in einem Gedicht an, eine kleine Übersetzung will geprüft werden, ein neuer Text gelesen und besprochen und vielleicht geändert sein. Etwas macht "klick", und Elke ist eingeschaltet, sie arbeitet, und bei ihr bedeutet das: Sie berät sich ununterbrochen und unermüdlich mit der gesamten deutschen Sprache. Dieser Prozess ist überwiegend mündlich. Elke spricht mit der Sprache. Das hören wir aus ihrem Zimmer, aus dem Flur, aus dem Badezimmer Die Sprache antwortet. Das können wir später lesen.

Jetzt höre ich: Die Vögel arbeiten

Jeder, der einmal mit der arbeitenden Elke Erb in einem Raum eingeschlossen war, weiß: Das ist wie mit einem kleinen, leisen, unermüdlich zwitschernden, wispernden, klappernden -schlagenden! - Vogel eingeschlossen zu sein. Jedes in Frage kommende Wort, jede Phrase, jede Zeile wird in den Mund genommen, in allen möglichen Tonlagen wieder und wieder wiederholt - mündlich geprüft. Bis eine richtige Lautfolge, eine richtige Intonation, ein richtiger Rhythmus da ist. Bis die Sprache ihr Okay gibt. Oder bis Elke sagt: Sprache, du bist blöd. Das ist besser so, wie ich es dir sage!

Jedes in Frage kommende Wort, jede Phrase, jede Zeile wird in den Mund genommen, in allen möglichen Tonlagen wieder und wieder wiederholt - mündlich geprüft.

Oleg Jurjew

Seit ich Elke kenne, glaube ich nicht mehr, dass die wirklichen Vögel da in den Bäumen einfach so "singen", um ihre überschäumende Lebensfreude mitzuteilen (die romantische Version war noch nie meine Sache), oder um fioriturenbegierige Fräuleinvögel anzulocken (die Version meiner Leningrader Biologielehrerin Lenina Fjodorowna). Jetzt höre ich: Die Vögel arbeiten da in den Bäumen.

Sie war kaum fünfundfünfzig, eine junge Frau eigentlich, als wir uns kennengelernt haben, und so dumm, wie ein junger Mensch eben ist, sah ich eine alte Frau in ihr. Diesen blöden Fehler werde ich nicht noch einmal machen. Elke Erb ist achtzig, und sie ist keine alte Frau. Sie ist genauso jung wie damals, als wir uns kennengelernt haben!

Oleg Jurjew war ein russischer und deutscher Lyriker, Romancier, Dramatiker, Essayist und Übersetzer. Er ist im Juli 2018 verstorben.

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