Allergien und Koksnasen

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Der Erzähler Georg Klein porträtiert und parodiert die Aufsteiger in der Fun-Gesellschaft.

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Der Erzähler Georg Klein porträtiert und parodiert die Aufsteiger in der Fun-Gesellschaft.

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Es sind angesehene, reiche, erfolgreiche Menschen, die in den Erzählungen des deutschen Autors Georg Klein herumstolpern und längst aufgehört haben, den Sinn ihres Tuns zu suchen. Besessen davon, "einen guten Job" zu machen, was ihnen durchwegs gelingt, tüfteln sie an "optimalen Lösungen" für Werbetexte, Computerprogramme, Kunstproduktionen oder Pornovertriebe. Hauptsache, es rechnet sich, Hauptsache, man wird Erster, fällt den regelmäßigen "Säuberungen" nicht zum Opfer und gehört dazu. Egal um welchen Preis.

Da ist es selbstverständlich, die Woche über kaserniert zu sein wie ein Internatszögling, um den ultimativen Werbetext abzuliefern. Ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Komfort und Kommunikationsmöglichkeit. Erfolg braucht beinharte Disziplin, die man kaum aufbrächte, wäre da nicht das strenge Diktat des erfolgssüchtigen Chefs, den man gleichzeitig liebt und haßt. Oder man ist davon besessen, das sündteure, hypergeile Bild zu erstehen, samt abstruser Begleitgeschichte vom Maler, der aus unerfindlichen Gründen unauffindbar und gleichzeitig als Insider-Tip berühmt ist. Egal, warum er berühmt ist und alle das Bild wollen. Legal oder illegal, egal.

Kettenrauchend am Balkon zu stehen, wenn man es geschafft hat, das verschafft tiefe Befriedigung, auch wenn man das Bild aus Sicherheits- und Wettbewerbsgründen niemandem zeigen kann. Manche überschreiten nicht nur die Grenze psychischer Normalität, sondern auch ihrer physischen, wie der Videobastler Schnitt, der kunstvolle Geräte zur Erforschung der Brüchigkeit von Rohrleitungen entwickelt und sich schließlich in einer solchen auflöst. Keiner sucht nach ihm. Egal. Der erfolgreiche Manager, der, fixiert auf "innovative Botschaften", auf der Suche nach der Vignette, die einen kunstvollen blinden Fisch darstellt, bloß seinen Verstand verliert, wirkt da ganz harmlos. Ist doch das Leben in der Nervenheilanstalt von seinem Leben als jüngster Unternehmersprecher Deutschlands draußen gar nicht zu unterscheiden. Dort wie da ist es von der Suche nach dem Fisch via Internet, seiner Allergie und seinem "Männerleiden" bestimmt.

Seltsam eingebunkert und abgetrennt von der restlichen Welt sind die Helden Georg Kleins. In ihrer kleinen beruflichen Welt, die alle Kräfte bis zum Raubbau fordert, ist ihnen die Außenwelt abhanden gekommen. Nicht nur im big business wimmelt es von blutleeren Klassenbesten, auch die Kunst haben sie längst erobert. Am deutlichsten und erschreckendsten in der Erzählung "Berlin Scanner", in der ein Scanner-Vertreter und ein Schriftsteller aufeinandertreffen. Aus der wechselnden Perspektive beider erzählt, wird bald klar, daß sich Vertreter und Künstler nicht unterscheiden. Beide sind isoliert, ohne Sekretärin kommunikationsunfähig und abgeschottet von der Außenwelt, was dieser völlig egal ist. Es wirkt sich auf den Erfolg ihrer Produkte nicht aus.

Sehr interessant ist die kalte, gefühllose Sprache der Erzählungen, die, reduziert auf Protokolljargon und Geschäftsberichtsfloskeln, die engen, willkürlich von irgendeinem "da oben" gezogen Grenzen noch unüberwindbarer erscheinen läßt. Daran ist nicht mehr zu rütteln. Wie einen Computercode muß man sie knacken, aber niemals hinterfragen. Das würde vom Tagesgeschäft ablenken und den Erfolg stören. Gefühle finden in dieser virtuellen Welt nicht statt, Lust verschafft das entschlüsselte Computerprogramm oder die Superstory, die man aufreißt, und Sex wird auf einen Quickie mit einer zufällig greifbaren Person auf der Toilette beschränkt. Selbst dazu braucht es eine Nase Kokain.

Das Geschlecht spielt keine Rolle mehr. Auch die Frauen leben bereits im Computer oder versuchen wie Vera auf ihre Art berühmt zu werden. Ihr Rekord, den sie an die meistbietende Zeitung verscherbelt: Sie hat den ganzen Deutschen Bundestag im Bett gehabt und dort fotografiert. Irgendwie muß man ins Fernsehen, in die Schlagzeilen, auffallen. Egal wie.

Nach und nach packt einen das Grauen und man ist versucht, Georg Klein, der mit dem Debüt-Roman "Libidissi" im Vorjahr einen internationalen Erfolg hatte, als großen Übertreiber zu bezeichen. Tatsächlich sind seine Beobachtungen so schonungslos, klar und scharf, daß sie an Ingeborg Bachmanns Erzählung "Unter Mördern und Irren" erinnern. Die Akribie, mit der die Personen "ohne einen Fetzen Seele" gezeichnet werden, verstört hier wie dort. Bachmanns Helden der Nachkriegszeit, Medienleute, Schriftsteller, angesehene Professoren, verleugnen ihre Kriegserlebnisse und "operieren als in zwei Welten und waren verschieden in beiden Welten, getrennte und nie vereinte Ich, die sich nicht begegnen durften". Georg Kleins "Tüchtige und Anständige" gehören zu den Gewinnern der heutigen Arbeitswelt und verleugnen ihr Menschsein nicht, denn sie haben längst vergessen, was zu verleugnen wäre. Sie schaffen die beruflichen Hürden bravourös, in den Pausen ihrer persönlichen Quotenjagd sind sie betrunken, bekokst und serbrechen sich. Auch sie haben - wie Ingeborg Bachmanns "Mörder und Irre" - ihre Wahrnehmung reduziert, blenden Irritierendes einfach aus.

Wobei heute, anders als in den fünfziger Jahren, in denen wenigstens noch gemeinsam im Gasthaus gesoffen und diskutiert wurde, kein Laut, kein Zeichen und kein Signal mehr durch die gepolsterten Gummiwände der Yuppies dringt. Sie sind zu virtuellen Monstern geworden, die sich seltsam schwerelos durch die Erzählungen bewegen. Die Erinnerung an ihr Menschsein äußert sich nur noch in Hautallergien, Koksnasen und Inkontinenz. Klein übertreibt dabei so geschickt, daß sich jeder erfolgsorientierte Mitläufer, der sich noch erdverbunden und gefühlvoll wähnt, unschwer erkennt.

Georg Klein hat in seinen Erzählungen die Fun-Generation erschreckend porträtiert. Zwischen den scheinbar luftig lockeren, tatsächlich aber sicher gesetzten und keinen Widerspruch duldenden Worten strömt eisige Kälte hervor. Er entlarvt die Mischung aus Ignoranz und Selbstzufriedenheit, äußerem Glanz und innerer Zerstörtheit, die alles durchdringende Sinnlosigkeit der Anstrengungen und Erfolge. Er entlarvt den Menschen auf dem Weg zum perfekten Leistungsroboter.

Anrufung des blinden Fisches. Erzählungen von Georg Klein Alexander Fest Verlag, Berlin 1999. 196 Seiten, geb., öS 263,-/e 19,11

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