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Gedanken zur Gestaltung des Stephansplatzes

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Unter den zahlreichen städtebaulichen Problemen, die im Gefolge der Kriegszerstörungen teils entstanden, teils mittelbar oder unmittelbar in den Vordergrund gerückt worden sind, nimmt die Frage der zukünftigen Gestaltung des Stephansplatzes eine Sonderstellung ein. Während zum Beispiel die Formung des Karlsplatzes, seit vielen Jahrzehnten heftig erörtert, durch die Kriegsereignisse keineswegs akut geworden, erneut — diesmal hoffentlich allen Ernstes — zur Debatte steht, während die notwendige Neugestaltung der Kaiviertel des Donaukanals infolge gigantischer Zerstörungen zur Klärung grundsätzlicher Regulierungsfragen aufruft, hat der Stephansplatz an seinen westlichen und südlichen Platzwänden wohl sehr bedeutende Schäden erlitten, ohne aber dadurch Probleme aufzurollen: die Figur des Platzes war eben, einige Einzelheiten ausgenommen, immer so gut befriedigend, daß Vorschläge, die Lage der Platzwände wesentlich zu verschieben, in der Öffentlichkeit Überraschung auslösen.

Die Gestaltung der heutigen Baulinien erfolgte schrittweise im Bestreben, den ursprünglich freistehenden, allseits von verschieden breiten Freiflächen umgebenen Baukörper des Gotteshauses wieder aus der allzu engen Umklammerung zu befreien, die stellenweise später entstanden war. Man ging dabei mit großem Veihnt wortungsbewußtsein zu Werke, um der kostbarsten Architektur Wiens den bestmöglichen Rahmen zu schaffen. An der Entstehungsgeschichte des zuletzt festgelegten Baulinienstückes — Stock- im-Eisen-Platz 1 Stephansplatz 2 — läßt sich besonders deutlich ablesen, welches allgemeine und große Interesse das Volk unter Führung seiner geistigen Repräsentanten an dem städtebaulichen Schicksal des Stephans- domes als dem ältesten Wahrzeichen Wiens bekundete.

So richtig es ist, daß gotische Türme auf kleinen Plätzen, also in Steilperspektive nach oben, gewaltige künstlerische Erlebnisse vermitteln, so wahr ist es auch, daß die Gestaltung dieser Bauwerke sich im Aufriß un- gemein reich und von adeligster Proportion darstellt; und zwar am eindrucksvollsten nicht nur in genauer Orthogonal-, sondern auch in genauer Diagonalansicht der Fassaden, da ja jede wirkliche Baukunst dem räumlichen Betrachten ihrer Werke voll Rechnung trägt.

Der Stephansturm, vielleicht die feinste und stärkste Symphonie gotischer Großarchitektur, bietet sich genau diagonal dem Blick von der Ecke Spiegelgasse-Graben Braun-Ecke dar; wohl in der Höhe verkürzt, aber von elementarer Wirkung, da wegen des geringen Abstandes selbst noch kleine Figurationen vom Sockel bis zur Spitze sichtbar und damit dem polyphonen Gefüge dienstbar bleiben.

Unter dem Eindruck solchen Erlebnisses, das erstmalig nach Abbruch des Lazansky- Hauses im Jahre 1893 zustande gekommen war, brachte die Öffentlichkeit bei Festlegung der neuen Baulinie für das Haus Stephans- platz 2 das große Opfer von mehreren hunderttausend Gulden, um eine Wiederverbauung der früheren Fläche, soweit möglich, zu verhüten. Gute Blicke zum Turm gibt es in der Umgebung viele, aber die freie Sicht vom Sockel bis zur Kreuzblume in so idealer Entfernung, genau diagonal, gibt es nur einmal, und sie war, soweit damals erreichbar, des riesigen Ablösungsbetrages wert. Ohne Zweifel hätte ein breiteres Freilassen des Platzes vor der westlichen Parzellenfrenze des Churhauses die Blickfreiheit Wesentlich verbessert; ganz abgesehen davon, da?, die zur Churhausflucht am Stephans- plati schräge Lage der Baulinie reichlich schwäch ist und das Hauptgesimse an das Churhäusdach unverzeihlich grob anstößt, deckt es nämlich die Sicht der unteren Turm- „Stockwetke“ bedeutend höher ab als dieses. Ein Mißstand, der sich beseitigen läßt, indem man mit dei betreffenden Hauskante so weit abrückt, daß die Südecke des Turmes neben der Gesimskane — in Höhe des Churhausgesimses — überm First des Churhausdaches frei aufsteigt siehe Skizze Punkt A. Die außerordentliche Wirkung des erstmalig zur Gänze sichtbar gevordenen Turmes auf die Wiener kann sich jeder vergegenwärtigen, der Bilder der früheren Verbauung kennt und daneben die heutig’, allerdings durchaus nicht ideale Situation stellt. Wieviel stärker noch muß aber der Eindruck gewesen sein, als der Turm damals, nur wenig von der noblen Churhausfassade angeschnitten, dastand!

Mehrfache Versuche haben eindeutig ergeben, daß eine der Churhausarchitektur verwandte Fassade des an dieser Stelle anzustrebenden Neubaues im Vergleich zum Bestand geradezu erlösend wirken würde. „Der Jahrmarkt der Eitelkeiten“ — so kennzeichnete Dombaumeister Hofrat Holey einige Fassaden an der Westseite des Platzes — muß auch an dieser Stelle verschwinden. Wie könnte man es vertreten, gerade hier falsche Rücksichten walten zu lassen, wo es um den besten Blick zum Stephansturm geht! Das Erdgeschoß des Neubaues wäre als Stützenhalle auszubilden, welche eventuell zur Aufnahme der Treppen der zukünftigen U-Bahn geeignet scheint, wobei eine sehr große Gehsteigfläche auf der Seite des Stephansplatzes in ihrem vorderen Teil die Abwicklung großen Verkehrs gestattet und in ihrem zurückliegenden Teil ruhige Standpunkte zur Betrachtung des Domes ergibt; besonders der Turm zeigt hier — in genauer Diagonale und ganz frei sichtbar — sein gewaltiges Maestoso vergeistigter organischer Formen, die in herrlichen Rhythmen himmelwärts ziehen, berückend schön.

Was den Blick zu Dom und Turm an der Ecke des Teppichhauses Haas anlangt, so liegt der beste Standpunkt, also wieder der mit genau diagonaler Sicht, nahe der bestehenden Trottoirkante auf der Fahrbahn. Die vorgeschlagene Zurücknahme der Baulinie an dieser Stelle erscheint insofern nicht konsequent, als hinsichtlich des Singerhauses zugleich der Gedanke vorgebracht wurde, eine neue Baulinie in der „Flucht des Churhauses zu schaffen; und zwar mit der an sich richtigen Begründung, die Platzwände rund um gotische Kirchen seien nahe an diese heranzurücken; da damit im gegenständlichen Falle jedoch der beste, sehr teuer erkaufte Turmblick wieder verbaut und Wien um eine große, wesentliche Wirkung ärmer würde, so schließt sich weitere Erörterung wohl aus. Es ist nicht leicht einzusehen, warum in Durchbrechung eines allgemein anerkannten Grundsatzes gerade an der Ecke Stock-im-Eisen- Platz 6 eine Erweiterung der Verkehrsfläche geschaffen werden soll, um so mehr als dabei die wenig glückliche Form der westlichen Platzbaulinie mit dreifacher Abtreppung entstünde; Architekt Josef Frank hat diesem Bedenken Ausdruck gegeben und ohne Zweifel die Zustimmung weiter Kreise gefunden.

Bei Abbruch des Hauses Stephansplatz 2 müßte für Entschädigung des Eigentümers und Unterbringung der Mieter Sorge getragen werden, da für die Ablösung ihrer Rechte nur schwer die entsprechenden Beträge aufgebracht werden könnten.

In der unmittelbaren Umgebung des Stephansplatzes gibt es nur einen Ort, wo Bauflädie zu gewinnen wäre, ohne Verkehrsoder städtebauliche Belange negativ zu berühren: nämlich durch teilweise Überbauung des Trottoirs und der Straße vor dem Hause Graben 30. An dieser Stelle war früher der Graben durch eine Gebäudegruppe so geschlossen, daß nur schmale Verbindungen ungefähr entlang der jetzigen Baulinien dem Verkehr dienten. Selbstredend muß die Fahr-bahn wie sie heute besteht, erhalten bleiben; dagegen gibt es wohl kaum stichhaltige Bedenken gegen den teilweisen Verlust von Wagenparkplätzen; zu anderen Zwecken kann nämlich der Straßenstreifen zwischen Fahrbahn und nördlichem Trottoir nicht verwendet werden, ohne den Brunnen und — ganz undenkbar! — die Pestsäule zu verlegen. Ein zweiter Grund, gerade dieses Haus zu erweitern, liegt darin, daß es derzeit eine sehr kleine Baufläche hat, jedoch weder an den Trattnerhof noch an den anderen Nachbar angeschlossen werden sollte.

Die städtebaulichen Vorzüge einer solchen Lösung siehe Skizze Punkt B liegen auf der Hand. Das gerade Stück des Grabens — der alte Graben — wird wieder wirksam geschlossen, ohne im geringsten den Verkehr zu behindern. Auf der anderen Seite bietet der vorgezogene Trakt, von der Kärntnerstraße aus gesehen, in der unvermittelten, platzartigen Erweiterung des Straßenraumes Stock-im-Eisen-„Platz“ ebenfalls Begrenzung und formklaren Abschluß.

Die Abschrägung an der Ecke des Teppichhauses Haas erfüllt dabei insofern eine wesentliche Funktion, als sie berufen ist, durch bauliche Betonung einen Mittelpunkt des „Platz“-Bildes zu schaffen; von da gleitet der Blick einerseits entlang der Westwand des Stephansplatzes bis zum Abschluß an der Rotenturmstraße und würde nun auch andererseits die Schließung des Grabenstückes von der — wenig schönen — Krümmung angenehm empfinden.

Die einzige Veränderung der Baulinie des Teppichhauses Haas, die unbedingt anzustreben ist, besteht in ihrer genauen Einfluchtung zum Nachbargrundstück Ecke Goldschmiedgasse. Damit würde nicht nur eine wesentliche Voraussetzung für die wünschenswerte einheitliche Fassadengliederung der beiden Häuser gewonnen, sondern, auch der formlose dreifache Bruch der Baulinie zugunsten der Wirkung eines klaren, schräggestellten Eckrisalits behoben werden, der das Bild des Stephansturmes, im weltbekannten Anblick vom Graben aus, zur Linken bedeutsam rahmt.

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