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Damoklesschwert über der Wiener Altstadt

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Im Jahre 1945, einige Monate nach Kriegsende, als große Teile der „Inneren Stadt“ noch in Schutt und Trümmern lagen, veröffentlichte Architekt Professor Josef Hoffmann — zu diesem Zeitpunkt schon längst zur Institution geword-den — .einen Aufsatz, in dem er forderte,, man möge die Situation , ausnützen und aus dem ersten Wiener Gemeindebezirk kein modernes Stadtzentrum machen, sondern ihn möglichst in seiner ursprünglichen Gestalt — die' gerade zwischen den Trümmern wieder sichtbar wurde — erhalten. Man möge die Innere Stadt zu ■ einem Bezirk vornehmer Restaurants und Spezialgeschäfte werden lassen, in dem die alten Sehenswürdigkeiten, allen voran die Stephanskirche, richtig zur Geltung kämen, und man solle diesen Bezirk für Fuhrwerke vollkommen sperren; man solle nur zu Fuß durch ihn pilgern dürfen, ja man sollte sich in Sänften durch ihn tragen lassen ...

Die Stimme Professor Hoffmanns verhallte ungehört. Gewiß hätte sich ein Vorschlag, wie die Durchquerung der Stadt in Sänften, natürlich nie verwirklichen lassen: aber er war ja auch nur in dem Sinne gemeint, daß er aufmerksam machen wollte auf die vielen Schönheiten der Altstadt, an denen der Fußgänger und erst recht der Autofahrer achtlös vorüberhastet. Professor Ing. Leibbrand, ein international anerkannter Verkehrsexperte aus Zürich, sprach sich unlängst in ähnlichem Sinne aus: Läge die Hofburg in Zürich, sagte er, wäre sie längst für den Durchzugsverkehr gesperrt!

Inzwischen hat die Entwicklung einen Lauf genommen, der den Gedanken Professor Hoffmanns genau entgegen ist: anstatt der Sänften queren riesige amerikanische Autos — treffend „Schlachtschiffe“ genannt - die Stadt; an Stelle der Pflege und Erhaltung der vorhandenen, vom Kriegsschaden verschont gebliebenen Baulichkeiten trat die Arbeit der Spitzhacke. Manches Baudenkmal, das die Bomben überstanden hatte, fiel ihr zum Opfer, An die dadurch frei werdenden Stellen traten halbmoderne Monsterbauten, wie etwa das Haas-Haus, die nicht nur das Stadtbild stören, sondern auch die von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat steigende Verkehrsmisere begünstigen.

Bundesdenkmalamt, Bundesministerium für Unterricht, auch das Kulturamt der Stadt Wien (Referat Denkmalpflege) und der jetzige Stadtplane Ing. Schimka. die berufen sind, über die Ertiltunt des Stadtbildes zu wachen, treten zwar — die ersteren mehr, die anderen weniger

- immer wieder gegen diese Entwicklung auf und für die Erhaltung des einen oder anderen Bauwerks ein. Trotzdem setzt man sich gegen die Handlungen der Gemeinde Wien nicht durch. Man hört immer wieder, daß man „nicht mit dem Kopf durch die Wand könne“. Das verlangt auch niemand: die Faust auf dem Tisch würde manchmal schon genügen.

Gewiß gibt es in der Inneren Stadt eine Fülle von Verkehrsproblemen, die Kreuzungen Kärntner Straße - Stock-im-Eisen-Platz - Singerstraße, Augustinerstraße-Lobkowitzplatz, Reit--schulgasse-Habsburgergasse, Kohlmarkt-Tuch-lauben-Graben, Habsburgergasse-Graben und Rotenturmstraße-Lugeck gelten heute als sogenannte Todeszentren, als gefährliche Verkehrsfallen. Aber gerade hier könnte durch den Abbruch von Gebäuden keine Erleichterung geschaffen werden. Eine Erleichterung könnte hier nur eine Schleifung von ganzen Häuserblocks und -Zeilen bringen (die aber wohl ernstlich nicht einmal der verschworenste Feind der Altstadt in Erwägung ziehen wird) oder, was die vor kurzem in Wien tagende „Verkehrsenquete“ vorschlug, eine Staffelung der Bürozeiten; die Büros und Geschäfte müßten turnusmäßig um 7.30, 8, 8.30. 9 Uhr mit ihren Dienstzeiten beginnen; der beinahe durchgehende Dienstbeginn um 8 Uhr führt zu einer heillosen Verstopfung, insbesondere auch der öffentlichen Verkehrsmittel.

Daß es auch anders geht, beweist das Beispiel Rom; dort werden keine alten Baudenkmäler abgerissen, sondern der Verkehr wird eben im Bogen um sie herum geführt; läge das Forum Romanum in Wien — wer weiß, ob es nicht geschleift würde!

Die Häuser, denen heute — entgegen allen Dementis — akute Abbruchgefahr droht, liegen aber nicht an diesen neuralgischen Punkten, sondern hauptsächlich im Gebiet Sonnenfelsgasse-Schönlaterngasse'-Bäckerstraße; weiter sind unmittelbar von der Demolierung bedroht: der zwei Höfe umfassende Komplex Blutgasse 9-Ecke Singerstraße (in dem sich das erste, von Kolschitzki gegründete Wiener Kaffeehaus befand) und das Haus Seitenstettnergasse-Ecke Rupprechtsplatz 5. Da nun die Verkehrsmisere nicht als Abbruchsgrund angeführt werden kann, werden andere Gründe für den Abbruch gesucht. So hat die Baupolizei etwa den Komplex Blutgasse-Singerstraße für durchfeuchtet erklärt; aus hygienischen Gründen sei

er nicht mehr zu gebrauchen; die Benützungs-criaubnis soll entzogen werden. Würden alle diese Häuser bzw. Hauskomplexe der Spitzhacke zum Opfer fallen, so entstünde dadurch für das Wiener Stadtbild, das in den letzten Jahren schon so sehr gelitten hat, gar nicht wiedergutzumachender Schaden; insbesondere die Singerstraße, der Rupprechtsplatz und die Sonnen-felsgasse verlören ihre Einheit und ihren Charakter.

Gewiß ist es richtig, daß die hygienischen Verhältnisse in den in Frage stehenden Objekten sehr viel zu wünschen -übriglassen. Wir sind die letzten, die etwas anderes behaupten wollen. Aber wir wissen sehr wohl, daß ein Abbruch in fast allen Fällen durch eine rechtzeitige Assanierung vermieden werden kann. Ein Umbau kann mehr Luft- und Lichtzufuhr er-nföglichen, und die jetzt feuchten Wände können trockengelegt bzw. erneuert werden. Das alles ist möglich, und es würde sogar weniger Kosten verursachen als ein Neubau: das 'tat erst unlängst ein Linternehmen bewiesen, das von der Ausstellung „Die Frau und ihre Wohnung“ durchgeführt wurde und sich mit der Alodernisierung von Altwohnungen befaßte. Die Architekten Prof. Otto Niedermoser und Doktor Edith Laßmann berechneten damals die Kosten für einen durchgreifenden LImbau eines mehrstöckigen Wohnhauses in einem konkreten Fall auf zirka 720.000 Schilling. („Die Furche“ berichtete seinerzeit ausführlich über dieses Projekt.) ,

Wenn also eine Assanierung der Wiener Altstadt durch LImbau möglich ist. warum drängt man dann so sehr auf einen Abbruch der alten Häuser? Uns scheinen hier zwei Gründe zusammenzuspielen. Erstens möchte die Gemeinde Wien an Stelle der demolierten Häuser — wenn sie über den Grund verfügen kann — Gemeindewohnungen errichten. Dies ist ein rein politisches Projekt! Zweitens dürften sich die Stellen, die den Abbruch betreiben, sehr wohl

bewußt sein, daß mit jedem alten Haus, das in der Altstadt zerstört wird, auch ein Stück Tradition zerstört wird, und mit den Häusern, mit den Erkern und Höfen sozusagen die Wurzeln ausgerissen werden, mit denen der Wiener an seiner Heimatstadt hängt; auch dies ein „politischer, ein garstiger“ Plan.

Wohnsiedlungen im ersten Bezirk, insbesondere für junge Leute oder kinderreiche Ehepaare, erscheinen ein Wahnsinn; eine vernünftige Wohnpolitik wird sich bemühen, ihnen Wohnungen am Stadtrand — wo entsprechende Grünflächen und Spielplätze für Kinder geschaffen werden können — zu schaffen. Ein Stadtzentrum ist nun einmal der Ort, an dem Geschäftslokale, Büros, Verwaltungsgebäude aller Art, Amtshäuser ihren Platz haben (was wiederum ein Grund dafür sein sollte, keine Hochhäuser zu bauen: denn um Hochhäuser herum bestehen immer Verkehrsengen und Parkraumnot, da sie naturgemäß nicht nur Fuß-

gänger, sondern auch Kraftwagenfahrer in starkem Maße anziehen). Wohnpolitisch gesehen, scheint das Stadtzentrum für alleinstehende Personen, Hausmeisterehepaare, Geschäftsleute und so weiter am geeignetsten.

So scheint uns der Abbruch vieler Althäuser in der Inneren Stadt in erster Linie ein Politi-kum zu sein, ein gefährliches Kampfmittel der Wiener Gemeindepolitik.

Hiergegen müßten alle wachen Kräfte mobilisiert werden, inner- und außerhalb des Gemeinde-rates. Mit sentimentalen, historisierenden Aufsätzen (So war es in der alten Fischerstiege ...) ist nichts getan; sie lenken nur vom eigentlichen Problem ab und leiten die vorhandene Energie in falsche Bahnen. Weinerliche Trauerfeiern für Gebäude, die in den Jahren 1909 bis 1912 abgerissen wurden, lassen nur die Spitzhacke übersehen, die heute schon wieder wie ein Damoklesschwert über manchem alten Hause droht...

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