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Wohnungen mit Garten — warum?

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In klar übersichtlichen Punkten werden hier Forderungen gestellt, die uns beim Lesen als selbstverständlich erscheinen. Und doch, wo werden diese Punkte schon heute erfüllt? Zum Beispiel, daß für alle Wohnungen ein Sonnenstunden-minimum zu bestimmen sei, daß jedes Wohnviertel über eine Grünfläche für Spiel und Sport sowohl für Kinder, afs auch für Erwachsene verfügen muß. Ferner wird eindringlich gefordert, man solle künftig Wohnhäuser nicht längs von Hauptverkehrswegen und Kreuzungen errichten (Lärm, Staub, schädliche Abgase und so weiter). Aber immer noch baut man mit Vorliebe gerade an diesen Stellen große Wohnanlagen, wie zum Hohn! (Musterbeispiel: Salzburg-Alpenstraße und viele andere). Athen jst

Die Architekten Rainer, Göderitz und Hoffmann veröffentlichten 1957 eine wissenschaftliche Arbeit, die sich unter anderem mit den Hausformen und den Freiflächen auseinandersetzt („Die gegliederte und aufgelockerte Stadt“ — Wasmuth-

Verlag, Tübingen). Dabei kamen die Architekten zu dem allgemeinen Schluß: Die beste Wohnform für Familien mit Kindern sind ebenerdige Einfamilienhäuser mit kleinen Wohngärten. Ebenso für gesunde, doch schon alte Menschen, nur natürlich kleinere. Hier sei aber ein Gedanke eingeworfen, den man leider auch am Mauerberg vermißt: Zur Familie gehören nun einmal auch die Alten. Ein gesunder Wohnbezirk darf es sich nicht leisten, seine alten Bewohner von der jüngeren Generation zu trennen. Man nimmt ihnen sonst ihre Daseinsberechtigung und ihren Daseinswunsch. Eine 70jährige Mutter und Großmutter, allein im Heim, hat kaum eine lebenswerte Aufgabe. Sie wird rapid altern. Der selben Mutter wird bei ihrer Familie ein unentbehrlicher Aufgabenkreis, als Großmutter zuteil. Und wenn der Großvater mit dem Enkel ein Vogelhaus baut, so ist dies für das Kind mehr wert als die beste Schulfunksendung auf dem besten Fernsehschirm! Das sollte doch Architekten, die sich mit dem menschlichen

Bauen auseinandersetzen, zu denken geben. Man wird nun wohl das Argument der bösen Schwiegereltern einwerfen. Doch gerade hier läge doch die Chance der Planer, die junge und die alte Generation unter einem Dach so unterzubringen, daß sich beide Teile jederzeit zurückziehen können. Es müßte eine grundrißmäßige Lösung gefunden werden, die ein getrenntes Zusammenleben ermöglicht. So einen Grundriß vermißt man aber am Mauerberg.

Form ohne versklavende Norm

Und nun zur Siedlung selbst. Soll sie vielleicht das klassische Beipiel zur obigen Einführung sein? Keineswegs — doch sie zeigt einen ehrlichen Versuch dorthin. Das Beson-nungsminimum wird weit überschritten, denn alle Wohnräume sind nach Süden ausgerichtet. Die Häuser liegen auch nicht an Hauptverkehrsstraßen, man muß also das geliebte Auto „draußen“ lassen, das heißt, daß am Rande der Siedlung ein großer Parkplatz die Wagen beherbergt. (Er wird hoffentlich noch überdeckt!) Hier stellte auch der Schreiber dieser Zeilen seinen Wagen ab und begann durch die Anlage zu schlendern. Trotz des kalten Windes ein Ereignis! Wohl mag ein Haus dem anderen gleichen, und doch, es wird niemand, kehrt er noch so spät nach Hause, die falsche Eingangstür öffnen wollen. Man konnte darauf verzichten die einzelnen Häuser mit den berühmten Zuckerlfarben zu unterscheiden; alle sind sie blendend weiß. Die Wege winden sich zwischen den kleinen, ebenerdigen Häusern mal nach links, mal nach rechts, immer wieder von einigen (oft zu steilen!) Treppen unterbrochen. Oft denkt man, daß bei diesem Haus die Siedlung wohl zu Ende ist, doch nein, der Weg biegt links ab und neue Ausblicke ergeben sich. Unten angelangt, geht man gerne die gleiche Strecke auf anderen Wegen wieder zurück. Ganz oben, am Nordrand, werden die Bungalows durch eine geschlossene Front von zwei-geschoßigen Reihenhäusern geschützt und abgegrenzt. (Gegen Osten leider von Gemeindebauten.)

Und dann kann man sich einfach nicht mehr halten, man läutet kurz entschlossen an einer Tür und stellt wohl eine sehr dumme Frage an die Hausfrau: „Wie lebt man denn hier?“ Doch die Dame schien zu verstehen, worum es dem Fragenden ging und bat ihn, einzutreten. Und dann kam ein Erguß von Begeisterung aus ihrem Munde: „Ja, wissen Sie, wir sind hier herausgezogen der Kinder wegen. Wir wohnten zuerst in der Stadt, und alle drei Kinder waren kränklich. Einen G.arignjcannten sie nicht, nur ab und zu, wenn ich Zeit hatte, den Burggarten. Nie konnten wir bei offenem Fenster schlafen, der Lärm war zu groß. Spielen konnten die Kinder nur in der Wohnung, doch was ist das schon für ein Spielen? So erfaßten wir die Chance und zogen hier heraus. Sicher, groß

ist unser Garten auch hier nicht, aber wenigstens können wir ihn selbst pflegen. Schauen Sie nur, wie sie sich freuen und wie gut sie nun aussehen. Ist ihnen hier langweilig, können sie, ohne daß ich Ängste auszustehen hätte, auf die ,Straße' gehen, um entweder dort zu spielen, oder um andere Kinder zu besuchen.“

Ein großes Fenster spannt sich Im Wohnzimmer von der linken zur rechten Ecke. Durch die terrassenförmige Stapelung der Häuser mit ihren flachen Dächern wird jedem Besitzer ein ungetrübter Ausblick gewährleistet. Es war ein sonniger Tag, und die Sonne brannte den ganzen Tag lang auf die großen Glasscheiben. Doch wie wird das im Sommer werden? Die Hausfrau fürchtet schon einen Brutkasten. Die Sonne steht zwar im Sommer höher, und die Funktion der Sonnenblenden wäre es, auch diese Strahlen abzufangen, doch werden sie diese Aufgabe erfüllen? Wahrscheinlich nicht, denn sie sind viel zu filigran ausgeführt (und formal in keiner Proportion zum Haus). Ob es nicht günstiger gewesen wäre, man hätte an solch sonnenexponierter Lage das Dach des Hauses etwas vorgezogen?

Betrachtet man die Häuser grundrißmäßig etwas genauer, so findet man — falls man je Gelegenheit zum Studium amerikanischer Häuser gehabt hat — eine gewisse Anlehnung an diese (jedoch unverkennbar ist eine gewisse Wiener Note!).

An der Größe der Vorzimmer wurde zugunsten der Wohnräume sehr gespart. Man kommt fast direkt in das beinahe 30 Quadratmeter große Wohnzimmer, an das noch zusätzlich eine Eßecke anschließt. In diesem Zimmer spielt sich das Leben der Familie ab. Die Amerikaner haben dafür auch das richtige Wort: FaTmlj/room. Obwohl zum Großteil mit vorgefertigten Elementen gebaut wurde, war es möglich, den künftigen Besitzern Variationen im Grundriß einzuräumen. Die Wohnflächen schwanken zwischen 80 und 120 Quadratmetern, die sich in den Wohnraum mit Eßecke und bis zu vier Schlafzimr“ ->rn nebst Küche, Bad und WC aufteilen. Doch in Details sollte sich dieser Aufsatz gar nicht verlaufen — ob-zwar es deren viele gäbe, über die man sich freudig äußern könnte, wie zum Beispiel die quadratische Fenstergliederung, die Lüftungsklappen darüber, oder die geschmackvollen Beleuchtungskörper auf den Wegen. Leider läßt die Ausführung manchmal zu wünschen übrig, doch das dürfte an der Freudlosigkeit unserer Handwerker und Arbeiter liegen. Freudlosigkeit kann man dem Architekten hingegen nicht vorwerfen; er zeigte uns ein bescheidenes, ehrliches Beispiel, ein Beispiel vom menschlichen Wohnen.

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