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Digital In Arbeit

Ich war Baugeselle...

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MEIN „GROSSES ABENTEUER“ begann im Sommer des Jahres 1957 und hieß Bauorden. Ich war noch nicht 16 Jahre alt. An unserer Kirchentür warb ein Plakat für die Mitarbeit im Bauorden. Schon damals faszinierte mich die Idee seines Gründers, hilfsbedürftigen Menschen ein eigenes Heim bauen zu helfen. Ich wollte mich sofort melden, einen Teil meiner Ferien für diese Arbeit zur Verfügung zu stellen. Nun, ich war zu jung, denn das vorgeschriebene Mindestalter lautet 17 Jahre. Zwei Jahre später nahm ich mit dem Sekretariat des Bauordens in Wien Kontakt auf und meldete mich für ein Baulager in Salzburg an, das vom 13. Juli bis zum 9. August 1959 dauern sollte.

UNSER LAGER war etwa fünf Kilometer außerhalb von Salzburg — in Aigen.

Ein schwerer belgischer Autobus brachte über den schlechten Weg zu unserer Baracke einen Priester und 20 Baugesellen aus Flandern und Deutschland, dazu noch zwei flämische Mädchen, die zusammen mit einem deutschen Mädchen für unser leibliches Wohl zu sorgen hatten. Es begann ein gegenseitiges Vorstellen Und eine erste Kontaktaufnahme. In einer Baracke, zum Teil noch bewohnt, waren wir untergebracht. Aber wie sah sie aus?! Das Holz war fast durchweg morsch und brüchig. Der Verputz — wenn überhaupt vorhanden — rieselte von den Wänden.

Für uns, die wir vier Wochen in diesen Räumen einquartiert waren, hatte diese Art zu wohnen sicherlich einen gewissen Reiz, konnten wir doch unserer Improvisationsgabe freien Lauf lassen. Neben uns allerdings wohnten Leute, die bereits seit Kriegsende mit den gleichen Problemen fertigzuwerden hatten. Wir alle, die wir hier helfen sollten, für die hn Entstehen begriffene Siedlung eine Straße zu bauen, fühlten sehr wohl, daß diese Menschen hier es satt hatten, bei jedem Wind die Türen zu verspreizen, damit sie nicht immer aufgingen und zuschlugen. Sie hatten es satt, bei jedem Regen Gefäße aufstellen zu müssen, die das Wasser aufflngen. Sie hatten es satt, jedes Jahr mehrere Male die Dachpappe auszubessern oder zu erneuern, damit die Wohnung halbwegs trocken blieb. Sie waren der brütenden Hitze überdrüssig, die sich in den Räumen ausbreitete, sobald die Sonne nur eine halbe Stunde auf das Dach niederbrannte.

Das, was für uns den Reiz des Neuen, des Ungewohnten hatte, war für diese älteren Menschen bereits zur täglichen, kaum mehr tragbaren Last geworden ...

So begannen wir mit der Arbeit. Anfangs ging es ziemlich rasch, später wurde unser Tempo doch langsamer: Wir waren das Graben nicht gewohnt. Nach ein, zwei Stunden hatten wir bereits Blasen an den Händen. Die Arbeitsfreude sank merklich ab.

Allmählich aber — und für unsere Begriffe erstaunlich rasch — gewöhnten wir uns an die Arbeit.

Unser Baukaplan, ein echter, sonniger Flame, unterstützte uns in allem, half uns, Probleme zu lösen, und arbeitete genauso wie wir mit Krampen und Schaufel.

Die Siedlung, in der wir die Straße bauten, war zum Teil bereits fertiggestellt, es fehlten noch drei Wohnhäuser, und oft kam es vor, daß man uns einlud und bewirtete, so gut es eben möglich war.

Eines Tages rollte wieder der schwere Autobus an unsere Baustelle. Die Flamen und die Deutschen stiegen ein, ein kurzer Abschied, Winken...Der Alltag setzte wieder ein. Eines aber ist geblieben: Der Wunsch, auf einen neuen Einsatz zu fahren, wenn möglich, nach Belgien, um die Heimat der Baugesellen aus Salzburg näher kennenzulernen ...

ZWEI JAHRE SPÄTER war es soweit: Ich hatte mich für einen Einsatz in Mecheln, 25 Kilometer nördlich von Brüssel, gemeldet. Am 6. August fuhren wir abends mit dem Wien-Ostende-Expreß in Richtung Belgien los. Nach knapp achtzehnstündiger Fahrt erreichten wir die belgische Hauptstadt. Hier bestiegen wir einen Lokalzug, der uns nach Mecheln brachte. Da wir mit einem früheren Zug, als geplant war, Mecheln erreichten, stand der versprochene Autobus nicht bereit. So versuchten wir also zu erfahren, wo die Edgar-Tinnellaan zu finden seien, denn dort sollten wir uns bei Franziskanerschwestem melden. Die Auskunft reichte von „Tut mir leid, das weiß ich nicht“ über „Da haben Sie ja noch einen weiten Weg vor sich mit so viel Gepäck!“ bis zum bestimmten „Sie gehen hier fünf Minuten entlang, dann sind Sie dort!“ — Wir waren nicht dort.

Wir fragten auch zwei Burschen, wo denn diese Straße zu finden sei. Ihre Gegenfrage: „Seid ihr vom Bauorden?“ Wir bejahten. Da verschwanden beide auf kurze Zeit und fuhren mit einem Pkw vor. Unser schweres Gepäck wurde im Wagen verstaut. Dann fuhren sie mit unserem Gepäck Richtung Edgar-Tinnellaan. Als sie aber davongefahren waren, hatten wir doch über unser etwas leichtfertiges Verhalten Bedenken: Wir hatten den beiden unser Gepäck übergeben, ohne einen von uns ebenfalls mitzuschicken. Die Bedenken waren aber verflogen, als wir nach einigem Suchen und einem ziemlich langen Fußmarsch das angegebene Ziel doch erreichten und die beiden Helfer samt Auto und Gepäck vorfanden.

Herzlich wurden wir willkommen geheißen. Unsere Wohnstätte lag am Rande der 60.000 Einwohner zählenden Stadt. Es war die Oude Ant- werpsebaan 256, die frühere Straße nach Antwerpen, die heute recht still und verträumt abseits der neuen Straße liegt, unberührt vom Verkehrslärm, der sich, einen halben Kilometer entfernt, auf einer breiten Straße abspielte. Unser Quartier lag in einem großen Park.

Es bestand aus einem einzigen großen Raum, der dringend einer Renovierung bedurft hätte. Betten und Decken hatte das belgische Militär zur Verfügung gestellt, die Kochstelle bestand aus einem alten Gasrechaud und einer Flasche Propangas.

Wir packten das Wichtigste aus; jeder nahm ein Bett „in Besitz“, und dann entwarfen wir unseren „Schlachtplan“, eine Aufstellung der Dinge, um die wir uns zuallererst kümmern mußten.

BEI DER „INSPEKTION“ unseres Arbeitsplatzes wurde uns klar, daß wir bestimmt nicht unter Arbeitsmangel zu leiden haben würden. Das Projekt sah ein „Sozialzentrum“ vor. In einem einzigen Bauwerk, das nicht besonders groß war, sollten eine Kapelle, Klubräume für die Erwachsenen und Seelsorgeräume für die Jugend untergebracht werden. Dazu kam noch eine kleine Wohnung für den Pater, der hier Seelsorge betreiben sollte. Der Bau dieses Sozialzentrums war notwendig, weil die Menschen hier sehr wenig Kontakt zur Kirche gefunden hatten. Die Siedlung ringsherum war erst 1953 errichtet worden, und die Bewohner waren meist aus anderen Teilen Flanderns zugezogen. Die Jugend war in Gefahr, zu verwahrlosen, denn die Erwachsenen gingen meist einer Arbeit nach und kümmerten sich wenig um ihre Kinder.

Singend zogen wir morgens in den weißen Arbeitsgewändern an unsere Baustelle. Dieser Zug wiederholte sich nun Tag für Tag.

Die Arbeit auf der Baustelle war sehr vielseitig. Wir mußten Verschalungen zimmern, Beton mischen, mauern und verschiedene andere Hilfsarbeiten ausführen. Unter der Leitung eines Poliers und mit Unterstützung einiger Facharbeiter ging die Arbeit rasch vorwärts, und wir konnten das Wachsen des Baues von Tag zu Tag verfolgen.

Am Rande der Baustelle hatten wir täglich eine große Kinderschar als Zaungäste, daneben aber kamen auch immer wieder Pensionisten, die — oft stundenlang — an der Baustelle standen und unsere Arbeit verfolgten.

Ich erinnere mich noch, daß der Polier einmal angesichts unseres Arbeitseifers fragte, wieviel Geld wir für unsere Arbeit erhielten. Auf unsere Antwort, daß wir ohne Lohn arbeiteten, blickte er uns zweifelnd an. Dann erkundigte er sich nochmals eingehend, ob diese Behauptung auch der Wahrheit entspräche.

Kopfschüttelnd nahm er unsere abermalige Antwort entgegen.

Da vor uns bereits eine Gruppe holländischer Baugesellen an dem Projekt gearbeitet hatte, waren wir den Leuten, die rund um unsere Baustelle in der Siedlung wohnten, keine Unbekannten mehr.

EIN KLEINER BUB brachte uns täglich in einem kleinen Kübel Trinkwasser aus seinem Haus. Er zeigte sich sehr anhänglich und be suchte uns oft in unserem Quartier. Wie wir nach und nach herausbekamen, war er bereits 15 Jahre alt. Er hieß Fernand, sein Vater war Arbeiter; über seine Mutter konnten wir nie Genaues in Erfahrung bringen. Vielleicht fehlte ihm die häusliche Geborgenheit, so daß er in uns eine sehr willkommene Abwechslung für seinen Alltag fand. Ferdinand hatte im Sommer 1962 Gelegenheit, nach Österreich zu kommen. Die Baugesellen aus dem Jahr 1961 hatten ihm die Fahrt finanziert. Für seine Unterkunft in Wien war schon vorgesorgt. Für diesen Buben ging ein Traum in Erfüllung, den er vielleicht nie zu träumen gewagt hätte.

Auch das gehört als wesentlicher Punkt zum Aufgabenkreis eines Baugesellen: Freundschaftsbande zu knüpfen zwischen den Ländern. Neben unserer Arbeit hatten wir reichlich Gelegenheit, die Mentalität des Volkes kennenzulernen, seine Geschichte zu erfahren und für kurze Zeit mit diesem heiteren Völkchen zu leben. Tag um Tag verging. Der 30. August — der Termin unserer Abreise — rückte näher.

DER ABSCHIED VON „UNSEREN“ Menschen, für die wir durch mehr als drei Wochen gebaut hatten,

war nicht besonders leicht. Wir sangen Lieder aus Österreich.

Zum Abschluß erklang noch einmal das „Lied der Baugesellen“:

Wir sind die Baugesellen, uns ruft die große Not. / Auf Schutt und Trümmerstellen steht unser Aufgebot./Der Haß zerriß die Welten, versengte Heim und Haus / und wies die Ungezählten aus ihrer Heimat aus. / Wir bauen die neue Erde, wir bauen die neue Welt. / Den Brüdern helle Heime und Gott den lichten Dom, / so fügen wir die Steine und kargen nicht um Lohn./Wir weben allen Wänden den Geist der Liebe ein / und stehn in Feuerbränden, wenn wir dem Werk uns weihn. / Wir bauen die neue Erde, wir bauen die neue Welt...

Diesmal hatte das Lied, das wir sonst immer zu Beginn und Ende unserer Arbeit gesungen hatten, einen wehmütigen Klang.

Immer wieder kommt in all unseren Erinnerungsgesprächen an Belgien die — vielleicht subjektiv gefärbte, aber ehrliche — Überzeugung zum Ausdruck, daß der Bauorden in den Herzen der Menschen in den zehn Jahren seines Bestehens viel mehr erreicht hat als so manche andere „organisierte Hilfe“. Denn der Bauorden ist organisierte und sinnvoll geübte Nächstenliebe...

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