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Verkarstung - mitten in Wien

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Im Laufe der letzten zwei oder drei Jahre sind sehr erhebliche Teile der Wiener Grünanlagen zerstört, verbaut oder „im Zuge von Verkehrsregulierungen“ eingeengt worden. Diese Eingriffe, die sehr im Gegensatz zu zahllosen offiziellen Erklärungen über den Schutz von Grünflächen stehen, häufen sich vor allem in jenen dichtverbauten Gebieten, in denen allein einige Quadratmeter Rasen und ein halbes Dutzend Bäume sich bemühen, den Eindruck einer bescheidenen Kinderreser-vation zu erwecken; vorzugsweise betroffen sind ferner die Geländezwickel seitlings der in die Vorstädte mündenden Ausfallstraßen.

Im Laufe der letzten Jahre wurden unter anderem seitlich der Khevenhüllerstraße in Pötzleinsdorf eine Reihe mehrstöckiger Wohnblocks (gegen die Proteste nicht nur der Nachbarn) mitten in einen parkähnlichen Baumbestand hineingesetzt. Diese Wohnblöcke sind von einem tüchtigen Architekten entworfen worden und sehen weit besser aus als das meiste, was sonst in Wien gebaut wird. Dennoch wollen sie sich, schon ihrer Größe wegen, nicht in die immer noch biedermeierliche Umgebung mit ihren niedrigen Häusern einfügen. Die Protestierenden haben seinerzeit darauf hingewiesen, daß die baupolizeilichen Vorschriften mehrgeschossige Wohnbauten gar nicht erlaubten. Wie das Exempel lehrt, haben aber auch baupolizeiliche Vorschriften nur relative Gültigkeit.

Links und rechts der mit einem Bogen in L a i n z einmündenden Lainzer Straße wurden auf bis dahin freiem Grund Wohnhäuser der Gemeinde Wien errichtet; der betreffende Architekt hat es zuwege gebracht, dieser Villengegend den Charakter eines übervölkerten Großstadtquartiers zu verleihen und durch geschickte Raumausnützung die künftige Anlage größerer Grünflächen zu verhindern — wiewohl der dahinterliegende Abhang des Küniglbergs mit seinen Bäumen und Spazierwegen jeden guten Architekten zu einer Meisterleistung von Bauwerk- und Landschaftssynthese hätte herausfordern können.

Aehnliche Anlagen hat man vor den Ortskern von G r i n z i n g gestellt. Der Effekt ist in jeder Weise dem in Lainz erreichten ähnlich.

Modenapark und Stadtpark wurden voneinander durch einen Gemeindebau getrennt; die Diskussionen um diesen Bau sind noch in frischer Erinnerung und müssen nicht wiederholt werden. *

An kleineren Eingriffen sind zu erwähnen:

Die Zerstörung einer kleinen Grünfläche vor dem Franz-Josefs-Bahnhof,

die sinnlose, von jedem Verkehrsteilnehmer, je nach Temperament, belächelte oder verhöhnte „Verkehrsregulierung“ vor dem L a n d e s g e r i c h t, der die Bäume reihenweise geopfert wurden, ohne daß damit die wahre Kalamität — die Ueberschneidung von Straßenbahngeleisen — aus der Welt geschafft worden wäre.

Die Liste bedürfte gewiß noch mancher Erweiterungen. Aber diese Sünden, bereits begangen und nicht wieder gutzumachen, sind nichts gegen die offenbar noch beabsichtigten. Von weiteren Restriktionen der Wiener Grünflächen ist die Oeffentlichkeit teils durch Andeutungen in öffentlichen Enunziationen unterrichtet, teils auch durch Gerüchte — was ausdrücklich festgestellt sei; freilich meinen wir, daß die Tatsache, daß es solche Gerüchte überhaupt gibt, bezeichnend für die Haltung zuständiger Behörden ist, die nur in Ausnahmsfällen ihre Vorhaben jenem Publikum mitteilen, das deren Realisierung zu bezahlen haben wird. Wir würden uns freuen, wenn die Zuständigen die folgenden Angaben klar und in vollem Umfange dementieren könnten.

Es besteht die unverkennbare Absicht, den Modenapark im dritten Bezirk in weitere Bauprojekte einzuschließen oder ihnen aufzuopfern — womit zwar „zusätzlicher Wohnraum“ geschaffen, aber einem dicht-

besiedelten Stadtteil das Luftreservoir genommen würde.

Eine amtliche Andeutung läßt darauf schließen, daß der geplanten Regulierung der allerdings völlig durcheinandergeratenen Verkehrsverhältnisse am Schottenring ein weiterer Teil der Ahornalleen in der Universitätsstraße, möglicherweise auch des vorderen Votivparks, geopfert werden sollen. Man möge sich mit seinen eigenen Augen davon überzeugen, was das bedeuten würde: gleichsam die Verkarstung eines Gebietes, das es lediglich seinen Grünanlagen verdankt, wenn seine verfehlte Planung nicht auffällt.

Andere Gerüchte — und wir hoffen, daß es wirklich nur Gerüchte sind — sprechen davon, daß auch an anderen Stellen der Ringstraße Einbahnstraßen über die Stellen führen sollen, wo heute noch Baumreihen stehen. Auf dem Gelände des

Augartens soll in Kürze mit dem Bau einer Siedlung für Bundesbeamte begonnen werden. Die Ausführung dieses Projekts würde diese Grünfläche, die ohnehin durch verschiedene Bauten, Sportplätze und besonders die beiden Flaktürme stark gelitten hat, neuerdings schwerstens gefährden. Der Augarten ist kein „Beserlpark“; er gehört neben dem gleichfalls in den letzten Jahrzehnten sehr reduzierten Prater zu den letzten gewachsenen Augebieten Wiens, die mit allen Mitteln erhalten werden sollten. Das Gebiet ist übrigens sogenanntes Parkschutzgebiet. Auch hier ist wieder zu beobachten, daß man Grünflächen einfach zu Baugeländen macht (siehe Schönbrunn, Prater, Schwarzenbergpark, Schönbrunner Vorpark usw.), statt mit neuen Bauten neues Grünland zu umgeben.

Man nehme zu alledem! die Verwüstung großer Teile des Lobaugebietes durch Industrieanlagen; die fortschreitende „Urbarmachung“ der an die Stadt angrenzenden Wienerwaldränder; die Planlosigkeit, die im Südosten Wiens „Satellitenstädte“ errichten will, aber mit dem Verkehrsproblem der Innenstadt nicht fertig wird, auch wenn sie Dutzende von kleinen und größeren Parks zerstört, die statt Autobussen Straßenbahnsgroßraumwagen“ einsetzen will, um solcherart zwar mehr Menschen befördern zu können, aber die Verstopfung der Verkehrsadern noch gewisser zu machen, die am „Tag des Baumes“ große Reden redet, aber am nächsten Tag ein Dutzend Bäume fällen läßt...

Man nehme all das und betrachte es und die verkarstende Stadt: wahrhaftig, größere Verwirrung, größerer Zwiespalt zwischen Rede und Tat waren selten zu sehen.

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