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IM STREIFLICHT

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KAUM war der „Tag des Baumes“ samt seinen Feiern vorbei, ließ die Gemeinde Wien vor dem Landesgericht einige Bäume fällen: eine Verkehrsregulation sollte die Anlagen vor dem Grauen Haus — grüne Inseln und uralte Bäume in grauester Großstadtumgebung — wegrasieren. Bemerkenswerterweise hat die Gemeinde, die die Aufstellung steinerner Blumenschalen eilfertig in alle Winde ruft, der Öffentlichkeit kein Wort über dieses immerhin nicht unbeträchtliche Vorhaben mitgeteilt — eine Tatsache, die auch durch eine Art von Demidementi nicht widerlegt wurde. Nun, es gab rechtzeitig Proteste, und die Gemeinde Wien beeilte sich, zu versichern, daß sie wenigstens die hundertjährigen Platanen vor dem Landesgericht stehenlassen werde: sie würden zwar der neu zu bauenden Einbahn eine etwas seltsame, aber verkehrstechnisch nicht ungünstige Form verleihen ... Das heißt auf gut Deutsch: Es werden weitere Bäume gefällt und die Verkehrsmisere dadurch auch nicht gemildert werden. — Dieses Ereignis aber scheint uns sehr eindringlich eine Stadtbauplanung tu charakterisieren, die vom „Schutz der Grünanlagen spricht“ und sie zerstört, die einen „Tag des Baumes“ mitfeiert und die Bäume in der Nacht fällen läßt, die den Verkehr regulieren will und das antiquierte Straßenbahnnetz konserviert — ist das nun Naivität, Planlosigkeit oder einfach Bosheit? — PS.: Die Verbauung der Pötzleinsdorfer Grünflächen, des Modenaparks und nun die drohende Zerstörung der Anlagen vor dem Landesgericht sind des Uebels genug. Die Oeffentlichkeit ist vorbereitet — am Schottenring werden keine Bäume mehr gefällt werden, wenn man auch dort noch verkehrt zu verkehrs-regulieren im Sinne haben sollte ...

RUHREND war die Reaktion der Oeffentlich- keit, als eine Wiener Zeitung berichtete, das alte, ins tiefe Mittelalter zurückreichende Schloß im niederösterreichischen Marchegg samt seiner barocken Fassade sei dem Abbruch nahe. Fast die gesamte Wiener Presse griff das Thema leidenschaftlich auf und nicht weniger leidenschaftlich alle möglichen und meist unschuldigen Behörden und Kulturpflegestellen an. Der Erfolg war zunächst nicht sehr ermutigend; wo kein Geld ist, dort haben bekanntlich nicht nur di Kaiser, sondern auch die Denkmalpfleger ihre Rechte verloren — und Geld war zunächst ganz und gar keines da, und doch begannen etliche Arbeiter schon, das historische Gebäude in seine ehrwürdigen Bestandteile zu zerlegen. Aber dann kam der Umschwung; die Besitzer des Schlosses erklärten sich einverstanden, mit dem Kaufpreis herunterzugehen; die Behörde will den Wiederaufbau vorfinanzieren; die Marchegger wollen „Bausteine“ verkaufen, irgendein Institut oder eine Schule wird sich finden, die das Schloß be-wohnen und instand halten wollen. Und wenn nicht alles trügt, wird in letzter Minute einer armen Gemeinde ein kostbares Denkmal erhalten bleiben. — Dank der öffentlichen Meinung, die ausnahmsweise einmal im richtigen Augenblick mobil wurde ...

LOOBESWORTE gebühren der Kurverwaltung und einigen Hoteliers von Badgastein; sie haben auch heuer wieder einen „Gasteiner Musikpreis“ ausgeschrieben und bieten den Gewinnern zwei Akademiestudierenden — nicht nur die Möglichkeit eines Konzertes, sondern auch freie Fahrt und Unterkunft für zehn Tage in Gastein. Und es scheint uns, als ob das ein sehr schätzenswertes Beispiel privater Kunstförderung und Kunstpflege sei. — Bei dieser Gelegenheit sei sie wiederholt: unsere Bitte nämlich, daß Gastwirte, Hoteliers und die Besitzer größerer Güter und Schlösser ein Aehnliches tun und sich entschließen mögen, für ein oder zwei Sommerwochen einen oder mehrere begabte Künstler bei sich aufzunehmen. Nicht, weil die Künstler die gewiß nicht auf Rosen gebettet sind — ein Almosen nötig haben, sondern weil die österreichische Kunst sorgenlose Rasttage sehr gut brauchen kann.

DURCH die Tagespresse ging kürzlich die Meldung, daß sich in Marseille ein „Bettlerkino“ etabliert habe, in das der Eintritt nicht nur gegen die Bezahlung von etlichen Sous, sondern auch die Abgabe — alter Hosen oder Schuhe möglich sei. Nun, diese Meldung war sicherlich allen Redakteuren als kleines auflockerndes „Kuriosum“ zwischen ernsthaftigeren Artikeln willkommen — und wahrscheinlich haben auch viele Leser über sie geschmunzelt. Und doch ist sie, bei Licht besehen, nicht einmal gar so kurios — sie hat mancherlei Parallelen nicht nur im Kulturleben der primitiven Völker, oh nein: in den harten Nachkriegswintern haben, zum Beispiel, ansehnliche deutsche Theater den Eintritt weniger von der Erlegung ohnehin entwerteter Geldscheine, sondern von etlichen Scheiten Brennholz oder einem Brikett abhängig gemacht; und mehr als ein Maler war glücklich, wenn er für seine Bilder nicht Banknoten, sondern Zigaretten und Fleischkonserven erhielt. Und stellenweise mag heute noch di* Frage auftauchen, ob der Besuch mancher Kulturveranstaltungen nicht wesentlich gesteigert werden könnte, gäbe man Jungärzten, Studenten, Gerichtspraktikanten und freischaffenden Intellektuellen Gelegenheit, ihren Kulturkonsum in Naturalien ä la Marseille zu bezahlen...

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