Auftanken in den Händen des Hypnos

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Zum "Weltschlaftag" im internationalen Jahr des Lichts: Schlaf- und Lichthygiene gehören untrennbar zusammen.

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Zum "Weltschlaftag" im internationalen Jahr des Lichts: Schlaf- und Lichthygiene gehören untrennbar zusammen.

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Der Früzhlingsbeginn am 20. März ist zunächst ein astronomisches Ereignis: Handelt es sich doch um das so genannte "Äquinoktium", jenes Datum, an dem Licht und Dunkelheit im Tagesablauf gleich verteilt sind. Danach wird der Tag die Oberhand gewinnen und das nächtliche Dunkel bis zur Sommersonnenwende immer mehr zurückdrängen. Nicht zufällig wurde der "Weltschlaftag" unmittelbar vor Frühlingsbeginn angesetzt, um alljährlich auf die gesellschaftliche Last von Schlafstörungen aufmerksam zu machen. "Aktuelle Studien unterstreichen die wichtige Rolle des Lichts bei der Synchronisation des Schlaf-Wach-Rhythmus, weisen aber auch auf die Gefahren der 'Lichtverschmutzung' hin", erläuterte der Schlafforscher Gerhard Klösch von der Medizinischen Universität Wien bei einer Pressekonferenz.

Der Schlaf-Wach-Rhythmus spielt in alle Körperprozesse hinein, von der Genetik bis zu den geistigen Funktionen. Die Taktung der inneren Rhythmen ist dabei für Gesundheit und Wohlbefinden von zentraler Bedeutung. Immer mehr Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass eine Störung dieses Regelwerks an der Entstehung von Diabetes, Fettleibigkeit, Depression, Demenz oder manchen Tumorerkrankungen beteiligt sein kann.

Nährboden für "Frühlingsgefühle"

Das verwundert nicht, wenn man sich vor Augen führt, dass der Zyklus von Tag und Nacht der verlässlichste Ablauf in der Natur ist: Über Jahrtausende der Evolution hat sich der Mensch mit einem ganzen Netzwerk an inneren Uhren daran angepasst. Wie in einem Konzert spielen diese zusammen, dirigiert von einem Nervenkern im Hypothalamus des Gehirns, der die Taktvorgaben aus der Umwelt und dem Körperinneren zu integrieren versteht. Die Reaktion des Organismus auf wechselnde Lichtverhältnisse wird vor allem durch das "Schlafhormon" Melatonin vermittelt, dessen Ausschüttung dazu beiträgt, die Körperfunktionen auf den Nacht-Modus einzustellen.

"Allerdings hat sich die Annahme, dass die Lichtwahrnehmung ausschließlich über die Stäbchen- und Zäpfchen-Zellen des Auges erfolgt, als falsch erwiesen", berichtet Klösch. Denn in der Netzhaut des Auges wurde eine dritte Klasse von Lichtrezeptoren entdeckt, die Lichtinformation weiterleiten, indem sie das Photopigment Melanopsin produzieren. Und bei einigen Tierarten konnten Melanopsin-produzierende Zellen auch in der Haut nachgewiesen werden. Somit stellt sich die Frage, ob nicht auch andere Organe Lichtinformation verarbeiten können - oder ob nicht prinzipiell jede Zelle lichtempfindlich ist, wie Klösch erklärt: "Neu aufgerollt wurde die Diskussion durch Studien, die Licht über den Gehörgang zuführten und damit vergleichbar positive Effekte erzielten wie bei der Lichtwahrnehmung über das Auge. Dies wird als Indiz für eine generelle Lichtempfindlichkeit des Gehirns gewertet." So erwies sich eine über Ohrenstöpsel zugeführte Lichttherapie bei Patienten mit Winterdepression als ebenso wirksam wie die konventionelle Lichttherapie über Röhrenlampen.

Aber auch abseits der Klinik führt Licht zu einer merklichen Stimmungsaufhellung. Der Zusammenhang zwischen der Tageslichtdauer und dem Befinden ist in der Allgemeinbevölkerung gut dokumentiert: Der Tiefpunkt wurde in den dunklen Monaten dokumentiert; ab Mitte Februar zeigte die Kurve steil bergauf. Dies entspricht in etwa der Zeit von "Mariä Lichtmess", wo die Tage wieder spürbar länger werden -nicht mehr nur um einen "Hahnentritt" oder "Hirschensprung", wie es im Volksmund heißt, sondern gleich "um a ganze Stund'". Der Frühling ist somit auch ein Ereignis der Botenstoffe im Gehirn: Bei höherem Serotonin- und Dopamin-Spiegel steigen Antrieb und Energie, Euphorie stellt sich leichter ein. Das ist der biochemische Nährboden, auf dem die "Frühlingsgefühle" gedeihen.

Dass auch Kunstlicht Einfluss auf unser Befinden hat und an individuelle Bedürfnisse angepasst werden kann, ist eine Erkenntnis, die erst langsam Fuß zu fassen beginnt. Denn künstliche Beleuchtung ist meist fix eingestellt und nicht an der Dynamik des Tageslichts orientiert. Während warmes, rötlich gefärbtes Licht (ca. 3000 Kelvin) entspannend wirkt, hat Tageslichtweiße Beleuchtung (ca. 5600 Kelvin) einen aktivierenden Effekt - das gilt insbesondere für das kühl-weiße Blaulicht am anderen Ende des Spektrums. Das Konzept der "dynamischen Beleuchtung" zielt nun darauf ab, Lichtstärke und Farbtemperatur nach dem Vorbild des natürlichen Lichtverlaufs zu variieren: Das bedeutet eher kühles Licht für den "Frische-Kick" am Morgen, helles Licht für Konzentrationsphasen und gedämpftes, warmweißes Licht am Abend, das sanft zur Bettruhe überleiten soll. Wenig zuträglich hingegen erscheint hier das LED-Licht von Computern und Smartphones, das oft hohe Blauanteile aufweist und unter Verdacht steht, Einschlafstörungen hervorzurufen.

Dynamisches Licht in der Schule

Der Lernerfolg von Schülern etwa lässt sich allein durch die Lichtverhältnisse steigern, wie Forscher am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zeigen konnten. Über zehn Monate verglichen sie zwei Schülergruppen, die ihre Aufgaben unter dynamischem Licht oder unter Standardbeleuchtung erledigten. Das Ergebnis: Durch die Steuerung von Farbtemperatur und Lichtintensität sank die Fehlerquote bei Tests um 45 Prozent, deutlich stärker als in der Standard-Gruppe (17 Prozent). Zugleich stieg das Leseverständnis um bis zu 30 Prozent. Motorische Unruhe wiederum verringerte sich bei beruhigendem Dimm-Licht binnen acht Minuten um 75 Prozent. Auf der Basis solcher Erkenntnisse zeichnet sich eine neue Vision ab, die Chronobiologen, Architekten und die Lichtindustrie zu inspirieren beginnt: Die Lichtplanung kann auch dazu eingesetzt werden, die Arbeits-, Schlaf- und Lebensqualität zu verbessern.

Lichthygiene sollte primär darauf abzielen, eine "Über-" oder "Unterdosierung" von Licht zu vermeiden. Für dessen optimale biologische Wirksamkeit sind aber auch andere Faktoren wie Dauer, Timing und Wellenlänge zu berücksichtigen. Der bewusste Umgang mit Licht wiederum zählt zu den elementaren Verhaltensregeln der Schlafhygiene: Zur Schlafenszeit etwa sollte das Licht so weit wie möglich eliminiert werden. Das begünstigt den Übergang: Denn das Reich des Hypnos, in das wir jede Nacht eintauchen, ist ein Schattenreich; in seine innerste Höhle dringt kein Licht und Laut.

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