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Wenn Krebs spontan heilt

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Dann die Wende: Ohne erkennbare äußere Einwirkung beginnt sich der Krebs zurückzu-bilden. Der Zustand der Patientin bessert sich zusehends. Nach eineinhalb Jahren sind keine Anzeichen der Krebserkrankung mehr nachweisbar. Inzwischen ist die Patientin wieder berufstätig und lebt ihr normales Leben.

Was wie ein Wunder aussieht, nennen Mediziner Spontanremission, spontane Rückbildung von Tumoren. „Wir glauben, daß eine Rückbildung von Krebserkrankungen ein Experiment der Natur ist, aus dem man nicht nur lernen kann, sondern lernen muß", sagt Walter M. Gallmeier vom Institut für Medizinische Onkologie und Hämatologie am Klinikum Nord der Stadt Nürnberg: „Weil wir hier als Modell vorfinden, was die Krebsforschung schon seit langem erreichen will: daß sich Tumoren zurückbilden."

Gallmeier wurde von der Deutschen Krebsgesellschaft beauftragt, eine Arbeitsgruppe „Biologische Krebstherapie" einzurichten. Sie hat drei Aufgaben: zum einen Diagnose-und Therapieverfahren sowie Heilmittel komplementärmedizinischer Methoden auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen (in Deutschland werden sie „unkonventionelle" Methoden oder Methoden „mit unbewiesener Wirksamkeit" genannt), zum anderen eine naturwissenschaftlich begründete „Biologische Krebstherapie" mit immunologisch aktiven Substanzen, Zellen oder Wachstumsfaktoren zu untersuchen.

Zum dritten geht es darum, die Auswirkungen moderner psychotherapeutischer Verfahren auf die Krebserkrankung zu studieren. Im Bahmen dieser Forschungen stießen die Mediziner auf das Phänomen Spontanremissionen. Denn viele der angeblichen Heilerfolge nach der Anwendung unkonventioneller Therapiemethoden dürften solche spontane Bückbildungen gewesen sein, sagt Norbert Kappauf, der ebenfalls an diesem Nürnberger Projekt mitarbeitet.

Spontanremissionen sind seit langem bekannt. Einer der ersten dokumentierten Fälle dürfte die Heilung des Mönches Peregrinus im 13. Jahrhundert gewesen sein, dessen Tumor am Bein sich am Tag vor der Amputation auf wunderbare Weise zurück-zubilden begann. (Peregrinus wurde später zum Schutzheiligen der Krebskranken.)

„Häufig" bei Melanom

Erst in den letzten Jahrzehnten wurden genaue Aufzeichnungen über Spontanremissionen geführt. Sie lassen allerdings noch keine exakten Angaben zu, wSe häufig sie auftreten. Aus diesem Grund wird jetzt von den deutschen Krebsmedizinern ein eigenes detailliertes Bemissions-Begister angelegt werden. Nach gegenwärtigen Erkenntnissen treten Spontanremissionen nur bei einer eingeschränkten Zahl von Tumoren auf: dem malignen Melanom, also dem „schwarzen" Hautkrebs, dem Nierenkrebs, einigen bösartigen Lymphknotenerkrankungen, am häufigsten jedoch bei dem bei Kindern vorkommenden Neuroblastom, einem speziellen Nerventumor. Kaum zu finden sind Spontanremissionen bei den in Mitteleuropa häufigsten Krebsarten: Brust-, Darm-, Lungen- oder Prostatakrebs.

Stichhaltige Erklärungen, warum sich Tumoren plötzlich und spontan zurückzubilden beginnen, fehlen bis heute. Auch auf der medizinischen Konferenz im April im Deutschen Krebsforschungszentfum Heidelberg - übrigens erst die zweite nach einer ersten Tagung 1974 in Baltimore -konnten sie noch nicht gegeben werden. Es gibt jedoch Hinweise, welche Forschungs-Strategien zur Klärung eingeschlagen werden sollen.

Die Tumorarten, bei denen Spontanremissionen besonders häufig auftreten, deuten darauf hin, daß Immunreaktionen eine große Bolle spielen, sagt der Direktor des Instituts für Immunologie an den Heidelberger Universitätskliniken, Stefan Meurer: „Wir wissen jedoch angesichts der extremen

Komplexität der Beaktionen, die dabei ablaufen, noch zuwenig, als daß wir das in entsprechende therapeutische Strategien umsetzen könnten."

Neben dem Immunsystem sollen genetische Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Einflüsse von außen, zum Beispiel Hormone, können einzelne Gene in den Körperzellen ein-und ausschalten. Diese sogenannte Genregulation könnte zur unerwarteten Abwehr von Krebszellen führen.

Auch sogenannte Adhäsionsmoleküle könnten plötzlich wieder wachsen. Dann würden die körpereigenen Abwehrzellen die entarteten Zellen wieder erkennen und vernichten können. Meurer ist jedoch skeptisch, ob Spontanremissionen tatsächlich die Forschung weiterbringen können. Er führt als Argument an, daß das Phänomen einfach zu selten sei, als daß überprüfbare Ergebnisse in kontrollierten Versuchen mit größeren Patientengruppen durchgeführt werden können.

Ein weiterer Ansatz zur Erforschung der Spontanremissionen: Die Apoptose, das programmierte Selbstmordprogramm jeder Zelle, wodurch sich Zellen, die ihre Funktion erfüllt haben, selbst ausschalten und durch neue ersetzt werden können. Bei Tumorzellen ist dieses Programm abgestellt. Ein bislang noch unbekannter Faktor könnte bei Spontanremissionen die Apoptose wiederum in Gang setzen. Auch die Versorgung der Tumoren mit Blut könnte bei einer Spontanremission eingestellt werden. Denn sobald ein Tumor wächst, müssen neue Blutgefäße, die die Geschwulst autonom, sozusagen zum Selbstversorger machen, entstehen.

Nur wenige der Krebszellen in der Blutbahn, sagt Kappauf, bilden, gesteuert von verschiedenen Botenstoffen, tatsächlich auch Metastasen. Tumorzellen müssen sich an den Wänden der Gefäße anhaften, diese durchdringen und die umgebenden Zellen davon „überzeugen", daß sie an der Blutversorgung teilhaben dürfen. All das funktioniert mit bestimmten Signalen. Es-gibt jedoch auch sogenannte Hemmstoffe in den Krebszellen, die plötzlich Auftrag geben, daß sich die neuen Gefäßbäume um die Tumoren wieder zurückbilden. Diese Hemmstoffe könnten im Falle einer Spontanremission zu arbeiten beginnen.

Hilft positives Denken?

Spontanremissionen sind sehr geheimnisvolle Vorgänge. Aus diesem Grund sind sie für viele komplementärmedizinische Verfahren auf esoterischer Basis interessant, Methoden, die die Selbstheilungskräfte des Organismus aktivieren, durch positive Lebenshaltung das Immunsystem stärken, durch überlieferte Heilmittel die Krankheit beeinflussen wollen. Mehr als die Hälfte aller Krebspatienten nimmt solche Komplementär-Methoden in Anspruch. Manfred E. Heim, der ärztliche Leiter der Sonnenberg-Klinik in Bad Sooden-Allendorf in Hessen, der selbst etliche Patienten mit Spontanremissionen beobachten konnte, betont jedoch, daß sich dabei nicht feststellen ließ, daß eine bestimmte komplementäre Therapie besonders häufig angewendet worden wäre.

Mehr Hoffnungen setzen die Mediziner in die Psycho-Onkologie, eine noch junge - und nach wie vor sehr umstrittene - Disziplin, die den Zusammenhang von Psyche und Krebs untersucht; umstritten deshalb, weil hier die Grenzen zur naturwissenschaftlichen Medizin verschwimmen. Dennoch gibt es neuere Forschungsergebnisse, sagt Norbert Kappauf, die zeigen, daß psychische Einflüsse auch molekularbiologische Abläufe in den Zellen beeinflussen, daß selbst Bepa-raturmechanismen im Zellkern durch psychische Einflüsse verändert werden.

All das gibt jedoch keinen Hinweis, daß die Krebsentstehung durch psychische Faktoren erklärt werden könnte. Aus der täglichen Praxis kennt der Mediziner jedoch die Bedeutung psycho-onkologischer Methoden zur Verbesserung der Lebensqualität der Patienten. Nicht zustimmen kann er Meinungen, daß etwa ein spezieller Persönlichkeitstyp die Wahrscheinlichkeit erhöhe, bei sich selbst eine Spontanremission auslösen zu können.

Dreiundzwanzig Jahre nach der ersten Konferenz zur Klärung der „ganz natürlichen Wunder" heißt es: Zurück zur Grundlagenforschung. Walter M. Gallmeier verlangt eine „konzertierte" Aktion: Gemeinsame Forschungsanstrengungen verschiedener Fachrichtungen, um das so unendlich komplizierte Zusammenspiel von Signalen, Botenstoffen und Be-gulationen zu verstehen, das einsetzen muß, bevor eine Tumorrückbildung stattfindet. Am Nürnberger Klinikum Nord wird jedenfalls weitergearbeitet werden.

Der Autor ist

Wissenschaflsjournalist

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