Deutscher Mythos, französische Musik

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Der Dirigent Bertrand de Billy über seinen heftig diskutierten Salzburger "Don Giovanni", den neuen "Faust" an der Wiener Staatsoper, die Auseinandersetzungen rund um "sein" Radio Symphonieorchester (RSO) Wien und künftige künstlerische Pläne.

Zu Silvester und Neujahr die "Fledermaus" an der Staatsoper, im Jänner eine Neuproduktion von Debussys "Pelléas et Mélisande" im Theater an der Wien und Mahlers Siebente im Konzerthaus, im Februar eine Serie von Donizettis "Lucrezia Borgia" mit der Gruberova an der Bayerischen Staatsoper, im März dort Verdis "Otello", im April Berlioz' "La Damnation de Faust" im Wiener Konzerthaus, im Mai ein neuer "Lohengrin" an der Frankfurter Oper, im Juli "Ariadne" und "Otello" bei den Münchner Opernfestspielen, im August ein Konzert des RSO bei den Salzburger Festspielen: Dicht gedrängt präsentiert sich der Terminkalender des heute 43-jährigen, in Wien lebenden Bertrand de Billy.

Dabei hat der aus Paris stammende Dirigent, der seine Musikerkarriere als Orchestermusiker begann, erst kürzlich für drei Jahre seine Engagements an der New Yorker "Met" abgesagt, um mehr Zeit für seine Familie zu haben. 1994 hat de Billy mit einer Neuproduktion von "Carmen" an der Wiener Volksoper erstmals auf sich aufmerksam gemacht. Mittlerweile zählt er zu den führenden Operndirigenten und hat das RSO Wien auf eine zuvor nie für möglich gehaltene Höhe geführt. Konflikte hat das nicht ausgeschlossen. Als ruchbar wurde, dass der ORF Stellen beim Orchester abbauen wolle, stieg der Chefdirigent für seine Musiker und die Qualität des längst auch international hoch geschätzten Klangkörpers auf die Barrikaden. Das Thema ist nach wie vor am Tisch, ein Nachfolger für den 2010 scheidenden RSO-Wien-Chefdirigenten zumindest in Sicht. Geklärt ist dagegen, dass de Billy auch nach der Ära Holender zu den ständigen Dirigenten der Wiener Staatsoper zählen wird. Dort eröffnet er am 11. Oktober mit Gounods "Faust" den Premierenreigen der neuen Saison mit einem Traumpaar der Opernwelt: Angela Gheorghiu als Marguerite und Roberto Alagna.

DIE FURCHE: Herr de Billy, im Sommer dirigierten Sie mit "Don Giovanni" die Eröffnungspremiere der Salzburger Festspiele, jetzt beginnen Sie mit Gounods "Faust" die Premieren der Wiener Staatsoper, das muss doch ein besonders gutes Gefühl sein?

Bertrand de Billy: Es gibt Schlimmeres im Leben (lacht)! "Don Giovanni" in Salzburg war eine schöne Sache, wurde viel diskutiert, sehr polemisch in jeder Hinsicht, was ich im Prinzip sehr gut finde. Die Einladung ging von den Wiener Philharmonikern aus, so etwas kann man nicht ausschlagen. Ich arbeitete mehr als zwei Monate an dieser Produktion, von Mitte Juni bis Ende August. Und jetzt gleich "Faust" - der für mich eines der interessantesten französischen Stücke ist. Dieser deutsche Mythos, gesehen durch französische Brille - das ist schon eine besondere Sache. "Faust" ist von der Dramaturgie her eines der perfektesten Stücke, vom Gleichgewicht von Text und Musik.

DIE FURCHE: "Faust" begleitet schon seit längerem Ihre Karriere.

de Billy: Meine erste "Faust"-Premiere habe ich 1994 in Dessau dirigiert, noch unter dem Titel "Margarethe" - dabei habe ich übrigens meine Frau kennengelernt. Dann habe ich "Faust" mit Alagna und Gheorghiu an der New Yorker "Met" gemacht. Beide singen auch die Premiere, das hat den Vorteil, dass wir bereits von einem gewissen Niveau ausgehen konnten. "Faust" hat auch in Wien eine große Tradition, erst kürzlich habe ich nachgelesen, wer aller hier aufgetreten ist.

DIE FURCHE: Wo liegen für den Dirigenten die spezifischen Herausforderungen bei diesem Gounod, wenn sich schon der Komponist nicht entscheiden konnte, welche Operngattung er damit bedient?

de Billy: "Faust" ist ein bisschen wie "Carmen" - mit dem Unterschied, dass "Carmen" für mich ein Patchwork ist, bis auf den letzten Akt. "Faust" ist eine Mischung aus verschiedenen Stilen: Operette, Folklore, große Dramatik. Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass es sich hier um Dialoge handelt, die in Musik gesetzt wurden. Plötzlich kommen große Arien, eine weite Kantilene. In diesem Wechsel liegt die große Herausforderung für Dirigent und Orchester.

DIE FURCHE: Werden Sie auch in der Direktion Meyer an der Staatsoper gastieren?

de Billy: Wir sind jetzt in konstruktiven Gesprächen.

DIE FURCHE: "Faust" ist Ihre letzte Premiere in der Ära Holender?

de Billy: Ja, Direktor Holender hat mich nach Wien geholt und in einer Zeit an die Staatsoper engagiert, als ich noch völlig unbekannt war, und damit etwas riskiert. Ich verdanke ihm sehr viel, auch drei Premieren: "Don Carlo", "Manon" und jetzt "Faust".

DIE FURCHE: Wie geht es mit dem RSO Wien weiter?

de Billy: Ende August 2010 endet mein Vertrag als Chefdirigent des RSO Wien, das ist schon seit längerem bekannt. Zum Abschied hätte ich gern ein Stück gemacht, das ich in der deutschen Version im Wiener Musikverein, in der französischen bei den Salzburger Festspielen aufführen wollte. Ich empfinde es als einen Skandal, wie mit dem RSO Wien umgegangen wird. Die Reaktionen waren hart, es wurde mir sogar eine Livesendung gestrichen. Mir geht es nicht um mich, sondern um das Orchester. Der Nachfolger ist hoffentlich bald klar, es ist fünf vor zwölf. Es ist wichtig, jemanden mit Profil zu haben, der auch Hoffnung geben kann. Ich werde Hand in Hand mit ihm arbeiten und ihn in meiner letzten Saison auch in die Probespiele mit einbinden. In einem ersten Gespräch mit ihm wurde allerdings schon über Kürzungen bei den Orchesterstellen gesprochen. Er muss hart bleiben, ich werde ihn darin bestärken.

DIE FURCHE: Und Ihre Pläne ab 2010?

de Billy: Meine enge Zusammenarbeit mit dem Theater an der Wien geht weiter, dazu kommen Gastspiele in Covent Garden, an der Bayerischen Staatsoper und bei mehreren Orchestern, darunter dem Cleveland Orchestra, dem Orchestre de Paris, SWR und BRS. Künftig geht es mir weniger um Orte als darum, mein Repertoire zu verbreitern, vor allem Strauss und Wagner. Es kommen in den nächsten Jahren "Lohengrin", "Tannhäuser" und "Parsifal", nach langer Zeit wieder "Ariadne" und hoffentlich endlich "Der Rosenkavalier".

Das Gespräch führte Walter Dobner

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