"Psychotrip" mit Debussy

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Die Mezzosopranistin angelika kirchschlager über Anfänge und Highlights ihrer Karriere, das heurige Mozartjahr, "ihre" Oper "Sophie's Choice" und die weibliche Hauptrolle in Claude Debussys "Pelléas et Mélisande", die sie bei den diesjährigen Salzburger Osterfestspielen unter Sir Simon Rattle singen wird.

Die Furche: Mozart hier, Mozart dort: Weltweit gibt es keine Opernbühne, keinen Konzertveranstalter, der seine Werke nicht aufführt. Ist der Overkill schon vorprogrammiert?

Angelika Kirchschlager: Ich war erschrocken, als ich gemerkt habe, was da so alles abläuft, vor allem wie gnadenlos Mozart vermarktet wird. Da gibt es doch tatsächlich eine Mozart-Melange oder, was noch viel schlimmer ist, eine Sulz und eine Streichwurst, mit seinem Namen. Ich finde das alles hoffnungslos überzogen und geschmacklos abstoßend. Die zahlreichen Aufführungen seiner Werke hingegen haben auch ihre gute Seiten: Er wird vielen Leuten zugänglicher gemacht, und nach diesem Jahr wird es sicher keinen Menschen mehr geben, der Mozart nicht kennt.

Die Furche: Mozart war immer einer Ihrer wichtigsten Komponisten - was werden Sie heuer von ihm singen?

Kirchschlager: Ich habe meinen Beitrag zum Mozart-Jahr mit der Mitwirkung an "Idomeneo" am Theater an der Wien schon geleistet. Und bei meinen Liederabenden in diesem Jahr singe ich jeweils auch Mozart-Lieder. Ich singe nicht mehr Mozart als sonst.

Die Furche: Was bedeutet der Liedgesang für Sie?

Kirchschlager: Ein Liederabend ist im Vergleich zur Oper ein viel intimeres Erlebnis. Er ist aber auch schwieriger und anstrengender, weil man den ganzen Abend nur mit dem Pianisten allein auf der Bühne bestreiten muss. Das Lied - das ich sehr liebe - ist ein persönlicheres und direkteres Kommunikationsmittel zwischen Publikum und Sänger, man kann hier viel mehr Emotionen vermitteln.

Die Furche: Warum wollten Sie Sängerin werden?

Kirchschlager: Das war eigentlich sehr unspektakulär: Musik hat mich immer schon interessiert, gesungen habe ich auch immer gerne. Als ich vor Jahren einmal aus dem Schulbus ausgestiegen bin, da dachte ich, Gesang beziehungsweise Musik zu studieren, wäre keine schlechte Idee. Die Begeisterung meiner Eltern, die zwar sehr musikalisch, aber keine Berufsmusiker waren, hielt sich jedoch in Grenzen. Und so habe ich zur Sicherheit auch Musikwissenschaft und Kunstgeschichte studiert. Da waren sie beruhigt und haben mich unterstützt. Während des Musikstudiums haben sich die Dinge dann ganz von alleine ergeben. Ich begann mit Soli im Chor, später sang ich dann bei Hochzeiten, Dinnerparties und in Operetten, um Geld zu verdienen. Dann begann ich vorzusingen und bekam meine ersten Engagements. Das waren lauter Rollen von Mozart an der Wiener Kammeroper und im Schloss Schönbrunn.

Die Furche: Was waren die Highlights Ihrer Karriere?

Kirchschlager: Sicher die Uraufführung von "Sophie's Choice", bei der ich die Hauptrolle gestalten durfte. Dann, dass mir die Ehre widerfahren ist, als erste Frau überhaupt - unter Riccardo Muti Ende der 90er Jahre - vor dem Papst in der Sixtinischen Kapelle singen zu dürfen. Es war ein unvergleichliches Gefühl! Und schließlich eine Plattenaufnahme von Bach-Arien in Venedig.

Die Furche: Ihnen ist auch die Ehre widerfahren, am Galakonzert "50 Jahre Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper" als Octavian mitwirken zu können ...

Kirchschlager: Ich muss gestehen, dass ich anfänglich nicht einmal wusste, was das für eine große Sache sein wird. Es war dann auch ein großartiges Erlebnis, vor allem, weil ich dabei das erste Mal unter Christian Thielemann singen konnte.

Die Furche: Sie haben die Titelrolle in der Holocaust-Oper "Sophie's Choice" bei der Uraufführung unter Simon Rattle in London gesungen, zuletzt an der Wiener Volksoper, und Sie werden sie demnächst in Washington singen. Was bedeutet die Rolle für Sie?

Kirchschlager: Sie ist eine emotional extrem schwierige Rolle, weil ich mich als Mutter entscheiden muss, welches meiner beiden Kinder getötet wird. Wenn man selber, so wie ich, ein Kind hat, weiß man, was für eine unmenschliche Entscheidung dies ist. Man braucht sehr viel Energie dafür. Aber ich war bei der Entstehung der Oper von Anfang an dabei. Der Komponist Nicholas Maws hat sie eigentlich für mich geschrieben, deshalb ist sie auch mein Baby und etwas ganz Besonderes. Sie war ein großer künstlerischer Erfolg.

Die Furche: Sie singen jetzt die Mélisande bei den Salzburger Osterfestspielen. Wie sehen Sie Claude Debussys Oper, die immer wieder als wenig dramatisch und handlungsarm bezeichnet wird?

Kirchschlager: "Pelléas und Mélisande" ist keine Oper, von der man sich so nebenbei berieseln lassen kann. Sie ist sehr anspruchsvoll: ein Psychotrip mit einer enormen Seelendramatik. Alles, was sich abspielt, findet im Inneren der Menschen statt. Sie ist sehr philosophisch und symbolisch. Es geht, wie so oft im Leben, um die große Sehnsucht nach Liebe. Sie hat eine phantastische Musik und basiert auf dem großartigen Text von Maurice Maeterlinck. Die Mélisande ist derzeit meine Lieblingspartie und hat den Octavian ("Rosenkavalier"; Anm.) auf den zweiten Platz verdrängt.

Die Furche: Sie haben mit Sir Simon Rattle schon zusammengearbeitet. Wie funktioniert das?

Kirchschlager: Neben "Sophie's Choice" haben wir auch einmal eine "Neunte" von Beethoven gemeinsam gemacht. Wenn man von Rattle engagiert wird, hat man quasi die Absolution bekommen. Er weiß, was jeder kann und dass wir alle unser Bestes geben. Die Zusammenarbeit mit ihm ist so unkompliziert, menschlich und freundschaftlich. Jeder wird von ihm respektiert.

Die Furche: Wie gestaltet sich diesmal die immer wieder von Sängern als schwierig empfundene Arbeit mit dem Regisseur?

Kirchschlager: Stanislas Nordey kommt vom Schauspiel und hat auch Filme gedreht, Opern hat er bis dato nur zeitgenössische gemacht. Er hat ein hochsensibles Gespür für psychologische Zusammenhänge. Er erzählt das Stück hochdramatisch und meiner Meinung nach ganz klar für das Publikum. Er hat die riesige Festspielbühne völlig ausgeräumt, arbeitet fast ohne Requisiten, aber mit unfassbaren Lichtstimmungen. Die Arbeitsatmosphäre mit ihm, Rattle und den Kollegen ist wunderbar. Wir sind alle ganz glücklich und freuen uns auf die Aufführungen.

Das Gespräch führte Helmut Christian Mayer.

"Ihr ist die Ehre widerfahren"

Angelika Kirchschlager, 1966 in Salzburg geboren, studierte zunächst am Mozarteum Klavier, ab 1984 war sie Schülerin bei Walter Berry in Wien. Erste Engagements führten sie an die Wiener Kammeroper ("Zauberflöte"), ins Schloss Schönbrunn ("Don Giovanni", "Figaro") und ans Grazer Opernhaus ("Rosenkavalier"). Kirchschlager erhielt zahlreiche Preise bei Gesangswettbewerben, u. a. in Stuttgart und beim Wiener Belvedere Wettbewerb, sowie Auszeichnungen für ihre CD's: zwei Echo Klassik Awards 2005 und einen Grammy Award 2005. Sie zählt mittlerweile zu den führenden Mezzosopranistinnen der Welt und hat Engagements als Opern-, Konzert-und Liedsängerin in allen wichtigen Musikmetropolen der Welt, u. a. in Wien, Salzburg, Berlin, München, Hamburg, Amsterdam, Paris, London, Glyndebourne, New York, Tokio. Kirchschlager verfügt über ein weit gefächertes Repertoire, lebt in Wien und ist Mutter eines Sohnes.

Osterfestspiele Salzburg 2006

Claude Debussy: "Pelléas et Mélisande"

Musikalische Leitung: Sir Simon Rattle; Regie: Stanislas Nordey; mit: Angelika Kirchschlager, Simon Keenlyside, José van Dam u. a.

8. und 17. April 2006, 18.30 Uhr, Großes Festspielhaus Salzburg

Infos und Karten:

Fax: 0662-8045-790; karten@osterfestspiele-salzburg.at

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