Die großen Festivals waren schneller

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Zeitgenössischer Tanz boomt in Österreich. Doch den heimischen Compagnien fehlt es an Bekanntheit und einem eigenen Haus für ihre Aktivitäten.

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Zeitgenössischer Tanz boomt in Österreich. Doch den heimischen Compagnien fehlt es an Bekanntheit und einem eigenen Haus für ihre Aktivitäten.

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Der Blick zurück auf das "ImPulsTanz-Festival '97", bei dem der mit seiner Kreativiät alle Konventionen sprengende flämische Choreograph Wim Vandekeybus, die Meisterin der Konstruktion aus Brüssel Anne Teresa De Keersmaeker, die japanische Butoh-Tanzgruppe Sankai Juku, Ismael Ivo, Bill T. Jones und andere internationale Größen das Publikum in Scharen herbeiströmen ließen. Die Aussicht auf einen neuen Tanzsommer der Superlative - ein noch größeres und längeres Festival - signalisiert vor allem eines: Tanz boomt in Österreich. Doch was ist mit der österreichischen Tanzszene? Diese scheint, zumindest bei den großen und anziehungskräftigsten Festivals wie diesem oder der Tanz-Biennale der Wiener Festwochen derart marginal vertreten, als existiere sie nicht.

Nur vereinzelt und "an den Fingern abzuzählen", so Edith Wolf Perez, die Herausgeberin der Zeitschrift "Tanz-Affiche", traf man hier in den letzten Jahren, vom Staatsopernballett abgesehen, auf heimische Compagnien. Erst im letzten Jahr gab es erstmals einen Österreich-Schwerpunkt bei "ImPulsTanz", in dem unter dem Titel "Some Strange Austrian-Perfomance Art I und II" Solo-Choreographien junger Tänzer und Tänzerinnen vorgestellt wurden. Eine Ausnahme im Festivalzirkus sind die beiden kleinen, dem Nachwuchs gewidmeten und hauptsächlich von Fachkreisen und einem Insiderpublikum registrierten Veranstaltungen "Image-Tanz" im Wiener Künstlerhaus (dietheater Wien) und die "Tanzsprache" im WUK (Wiener Werkstätten- und Kulturhaus).

Als historisch begründet betrachtet Perez die Ursachen für die fehlenden Gemeinsamkeiten der österreichischen Festivalkultur mit ihren hochqualifizierten und renommierten Gästen und der österreichischen freien Tanzszene, die den einzigen Bereich darstellt, wo hierzulande zeitgenössischer Tanz beheimatet ist. "Die Festivals waren zuerst da. Sie haben ein internationales hochkarätiges Programm präsentiert und zeigten sich von Anfang an überlebensfähig - auch ohne die österreichische Szene. Später ist ein Umdenken lange nicht passiert. Man hat die jungen Gruppen nicht gebraucht."

Tatsächlich ist die freie Tanzszene in Österreich sehr jung. Noch in den siebziger Jahren hätte allein die Erwähnung des Begriffes "Tanzszene" nichts als verständnislose Blicke eingebracht. Frühe Spuren lassen sich erst um 1978 orten, als die Freunde der Wiener Staatsoper im Theater an der Wien eine choreographische Werkstatt einrichteten, in der sich jungen Choreographen erstmals die Möglichkeit bot, ihre Arbeiten an die Öffentlichkeit zu bringen. Liz King begann dort und gründete das "Tanzforum Wien" als - auch für Laien - offene Weiterbildungsstätte, aus der sie dann 1882 mit Manfred Biskup, Esther Linlej und Harmen Tromp das legendäre "Tanztheater Wien" entwickeln konnte. Auch andere wie Bernd Bienert, der heutige Ballettdirektor der Züricher Oper, oder Sebastian Prantl, der nach einer Ausbildung in New York im WUK tänzerische Aufbauarbeit leistete und 1988 sein "Tanzatelier" gründete, machten hier ihre ersten choreographischen Gehversuche.

Manfred Aichinger, ein anderer junger Tänzer, Schüler von Rosalia Chladek, kam aus dem Konservatorium Wien. Mit Nikolaus Selimov als Leiter begann er 1981 das "Tanztheater Homunculus" zu entwickeln. Liz King, Prantl, Aichinger bilden gewissermaßen die international anerkannte Basis einer freien Tanzszene in Wien, während man bei jüngeren Compagnien wie Roderich Madls "Pilottanzt" oder Bert Gstettners "Tanz*Hotel", um die bekannteren zu erwähnen, bereits von einer neuen Generation sprechen kann.

Insgesamt gibt es in Wien geschätzte dreißig Freie Tanzcompagnien und eine Reihe von Solotänzern mit eigenen Choreographien. Ihnen allen fehlt ein lebendiges Zentrum, ein Umschlagplatz, der zeitgenössischen Tanz in das Bewußtsein der Öffentlichkeit rückt und kontinuierliche Möglichkeiten zur Nachwuchsförderung, Weiterbildung, Dokumentation und vor allem Proberäume bietet. Sehr viel Basisarbeit in diese Richtung haben in den letzten zehn Jahren das WUK und dietheater Wien geleistet, doch beide Häuser stoßen mittlerweile an ihre Grenzen. "Wir müssen uns ständig zwischen Tanz, der mittlerweile 40 Prozent unseres Programms ausmacht, und Theater entscheiden und werden deshalb natürlich von der Theaterszene stark unter Druck gesetzt, den Tanzteil zu reduzieren", schildert zum Beispiel der Leiter von dietheater, Christian Pronay, sein Problem.

Seit Jahren laufen in Wien Gespräche über ein Tanzhaus, über dessen Notwendigkeit sich alle Beteiligten, Politiker wie freie Szene einig sind. Der jüngste Vorschlag einer möglichen Lösung kam von Kulturstadtrat Peter Marboe, der im Museumsquartier, wo es bereits das Tanzweiterbildungszentrum "T-Junction" gibt, unter der Veranstaltungshalle einen Theaterraum einplanen möchte. Ob es auch die notwendigen Nebenräume, die ein Tanzzentrum braucht, geben oder ob man wenigsten einen Grundkonsens finden wird, bleibt abzuwarten. Eine gezielte und vorausdenkende Strukturförderung des zeitgenössischen Tanzes ist, um international besser anzuschließen, jedenfalls unumgänglich

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