Europa muss näher zusammenrücken

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Kunst ist Selbstverwirklichung ohne Anpassung an die Herrschenden, ohne Anpassung an die Beherrschten", schrieb Peter Rosei 1982 in seinem Essayband "Versuch, die Welt zu kritisieren". Von diesem Insistieren auf Unabhängigkeit und der Verpflichtung des Schriftstellers auf seinen eigenen Standpunkt ist er bis heute nicht abgerückt.

DIE FURCHE: 1972 erschien Ihr erstes Buch, der Erzählband "Landstriche". Der fiel in eine Zeit, als die junge Literatur einen ungeheuren Aufschwung erlebte.

Peter Rosei: Als ich angefangen habe, habe ich mich im Verlagswesen so überhaupt nicht ausgekannt, dass ich meine Texte an den Ullstein Verlag in Berlin geschickt habe, wo Gertrud Frank Lektorin war. Die ist dann zum Residenz Verlag übersiedelt und hat mich einfach mitgenommen. Zu Ullstein hätte ich überhaupt nicht gepasst. Die Erwartungen an ein Debüt waren kommerziell gering. "Der Entwurf für eine Welt ohne Menschen" (1975), das Hauptwerk meiner Frühphase wurde ja kaum wahrgenommen. Das Buch hatte damals drei Verrisse, sonst war gar nichts. Der Verleger Schaffler war so mutig, das hinzunehmen. Das war eben so.

DIE FURCHE: Damals war die hohe Zeit der engagierten Literatur. Sie passten nicht dazu.

Rosei: Engagierte Literatur habe ich überhaupt nicht geschrieben. Das hat mir Schwierigkeiten bereitet. Ich wurde damals von den Linken quasi abgelehnt als rechts, und im Lauf der Zeit wurde ich immer weiter nach links gerückt, obwohl ich immer nur meine Position durchgängig gehalten habe. Wenn Sie sich erinnern an das Buch "15000 Seelen", eine Satire -das stieß damals auf völliges Unverständnis, obwohl sich 30 Jahre später alles erfüllt hat: die Geldherrschaft, die Entwertung einer überkommenen Symbolik. Mein Credo ist: Drücke das aus, was dir für wahr vorkommt und das möglichst genau.

DIE FURCHE: In Ihrer frühen Phase spielen Menschen in einer unwirtlichen Welt eine unangenehme Rolle.

Rosei: Die frühen Bücher wirken für mich heute wie fantastische Völkerkunde. Friedrich Achleitner fragte mich, ob ich Claude Levi-Strauss gelesen habe. Was der über Indianer geschrieben hat, habe ich in "Landstriche" in Form einer Parabel von einer Außensicht geschrieben. Was Levi-Strauss über Indianer im Amazonasgebiet geschrieben hat, habe ich in die Bergwelt versetzt. Natürlich war Kafka mein Lehrer.

DIE FURCHE: Und Stifter?

Rosei: Nein, Stifter kam erst später. Dann hat mich Stifter interessiert, weil er nicht psychologisiert. Er beschreibt ein Zimmer und daraus kann man schließen, wie es den Bewohnern geht. Das ist das Moderne an Stifter. Im Grunde hatten wir damals alle einen Ausgangspunkt, Kafka oder Stifter, und wir haben uns jeweils davon wegentwickelt auf eine eigene Art. Erst später ist Wittgenstein dazugekommen.

DIE FURCHE: Sie standen H. C. Artmann nahe. Rosei: Künstlerisch hat uns nie etwas verbunden. Der Lebensstil hat uns einander nahe gebracht. Der Freiheitswunsch war für uns beide so wichtig. Vielleicht sind wir deshalb so gute Freunde geworden, weil wir so verschieden waren. So haben wir immer etwas zu reden gehabt. Wir haben uns ja nahezu jeden Tag getroffen. Ich war Sekretär bei Ernst Fuchs. In der "Grünverschlossenen Botschaft" von Artmann waren Illustrationen von Fuchs. In den frühen Siebzigerjahren habe ich Artmann eher flüchtig kennengelernt. Erst in Salzburg bin ich über den Residenz Verlag mit ihm besser bekannt geworden.

DIE FURCHE: Dann entwickelte sich eine intensive Freundschaft

Rosei: Ich habe einen Film über den Flachgau gemacht, und dafür habe ich mir ein Moped gekauft. Dann hat sich Artmann auch ein Moped gekauft, und miteinander sind wir dauernd herumgefahren. Das war wie eine nachgeholte Kindheit. Vom Krieg hat Artmann nie geredet, erst im Alter hat er damit angefangen. Er war begeistert von der Sprache, ich bin ein Skeptiker. Für mich ist Sprache unverlässlich, verlogen. Artmann hat geglaubt an die Sprache, für ihn war sie eine Schatzkiste. Er hatte immer viele Wörterbücher, hat mich aufmerksam gemacht auf einzelne Wörter, wo sie herkommen. Das war ein Spiel. Er war ein Mann der Begeisterung, meine Rolle war dagegenzuhalten.

DIE FURCHE: Welche Rolle spielte Gerhard Amanshauser, damals auch ein Residenz Verlag-Autor?

Rosei: Er war der einzige autochthone Salzburger, mit dem wir etwas zu tun gehabt haben. Er ist öfter zu uns nach Bergheim gekommen. Er war ein Anreger, weil er sehr belesen war, Italo Svevo verdanke ich ihm. Er hat in Venedig ein Hotel gefunden, ich bin ihm nachgefahren, wir hatten ein gemeinsames Zimmer, am Abend hat er mir vorgelesen, was er geschrieben hat. Er hat gern getrunken, wie wir alle gern getrunken haben. Die Unbürgerlichkeit hat uns fasziniert.

DIE FURCHE: Standen Sie Amanshauser literarisch nahe?

Rosei: Sein Pessimismus war nicht sehr fundiert. Er war auch kein fundierter Kapitalismus-Kritiker. Es gab die totale Ablehnung. Als Schriftsteller hat er mich geschätzt, aber gleichzeitig gab es die Haltung: Wie ist es möglich, dass so ein Mensch so etwas schreiben kann. Was uns an Gerhard gefallen hat, war seine Aufmüpfigkeit. Bei einem Festakt mit dem früheren Landeshauptmann Hans Lechner schwärmte dieser vom Wiederaufbau. Gerhard sagte: Für den Wiederaufbau habe ich keinen Finger gerührt. Dieser Radikalismus hat uns gefallen, mit dieser Wirtschaft nichts zu tun haben. Aber ideologisch waren wir sehr verschieden. Ich habe ja Nationalökonomie gelernt als Jurist. Mich haben die differenzierten Vorgänge in der Wirtschaft immer interessiert. In der "Alten Schmiede" war ich der erste, der einen Geschäftsmann zu einem Gespräch eingeladen hat. Mich interessiert das soziologisch. Was machen diese Leute, die Macht haben, etwas zu bestimmen haben. Die normale Haltung ist Ablehnung, aber eigentlich wenig fundiert.

DIE FURCHE: Wie bringt man Wirtschaft in einen Roman?

Rosei: Das Problem besteht darin, dass ein Roman personengebunden ist. Ich arbeite mit Bildern, eigentlich bin ich ein Bilderkünstler. Die wirtschaftlichen Vorgänge kann man in einem Essay fassen, deshalb gibt es im Roman immer wieder essayartige Einschübe, die möglichst unauffällig in Form eines Rezitativs aufscheinen. Was man in der Zeitung lesen kann, kommt in den Romanen nicht vor. Mich interessiert eher, die Ableitung zu schreiben, wie kommt es zu bestimmten Vorgängen.

DIE FURCHE: Die Vorgeschichte von Menschen, die später solche werden, die die großen Wirtschaftskrisen verursachen?

Rosei: Menschen, die im System drinnen sind. Die Gegenwart verstehst du nur, wenn du die Ableitung miterzählst. Die eigentliche analytische Arbeit betreibe ich in den Essays. Was ist zu halten von Wirtschaftsforschern, sind deren Prognosen überhaupt ernst zu nehmen. Meiner Meinung nach ist das Geschwätz, das gute Stimmung verbreiten soll. DIE FURCHE: Wie sehen Sie Griechenland?

Rosei: In Griechenland sehen Sie die Demagogie. Dass das Land einen großen Reformbedarf hat, kann niemand leugnen. Das hat mit der Geschichte zu tun, mit der fünfhundertjährigen türkischen Besetzung. Wenn du 500 Jahre lang trainierst, dass der Staat zu hintergehen ist, kommst du nicht schnell zu einem positiven Ergebnis. Dazu die Inselsituation, die es für eine moderne Wirtschaft ungeheuer schwierig macht. Das Problem Europas ist, dass sich Europa nicht in Richtung Emanzipation bewegt, sondern dass sich Wirtschaftszwänge immer mehr durchsetzen. Aber Tsipras als Speerspitze des neuen Europa zu verkaufen, ist absurd. Der soll sein Land reformieren. Die Lage von Europa ist extrem schwierig momentan. Es kommt die Migrationsproblematik dazu. Wenn ich meinen humanitären Grundsätzen folge, muss ich alle aufnehmen, wenn ich alle aufnehme, verliere ich mich selber. Solche Mengen kann keine Gesellschaft verkraften. Eine Bewältigung ist nur möglich, wenn Europa zu einem Staat wird mit gemeinsamer Außenpolitik, die nach vorne handeln kann. Schreckliches Beispiel Libyen: die haben Gaddafi weggebombt, für den ich wenig Sympathien habe. Aber was wurde erreicht? Die einzige Chance besteht darin, dass Europa innerlich näher zusammenrückt und zwar nicht in Richtung auf eine neokapitalistische Ausbeutergesellschaft.

DIE FURCHE: Und was richtet Literatur aus?

Rosei: Als Schriftsteller versucht man, die Welt modellhaft noch einmal nachzubauen. Wenn ich schreibe, mach ich das nicht im Chronik-Stil, sondern ich liefere eine Deutung. Figuren sind bei mir ausgeführt als Individuen, müssen aber auch als Typus halten. Jedes Kunstwerk hat einen historischen Kern. Auch die Balzac-Romane sind nicht zeitlos. Man kann das lesen, sich die Charaktere vorstellen und Parallelen ziehen zu der Gegenwart. Balzac war ein aufmerksamer Zeitgenosse und hat gesehen, wohin seine Gesellschaft geht.

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