Katholisch und subversiv

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Zum 100. Geburtstag von Graham Greene.

Mit Graham Greene starb am 3. April 1991 im Alter von 86 Jahren einer der großen Vertreter der englischen Romantradition von Charles Dickens über Thomas Hardy zu Joseph Conrad, D.H. Lawrence und Virginia Woolf, die nicht nur ihr eigenes Land repräsentierten, sondern auch unbestrittener Teil des weltliterarischen Kanons wurden. Auf den am 2. Oktober 1904 in der Kleinstadt Berkhamsted nordwestlich von London geborenen Greene trifft diese globale Bedeutung auf besondere Weise zu. Von Mexiko über den ihn immer wieder herausfordernden Kontinent Afrika bis nach Vietnam und - natürlich - Wien reicht sein Erzählwerk, das seine Grundlage in vielfältigen journalistischen, politischen und geheimdienstlichen Tätigkeiten und Erfahrungen hat.

Widersprüchlicher Geist

Natürlich war dieser weltumspannende fiktionale Entwurf zunächst vom britischen Empire geprägt, und Greene hat sich in verschiedenen Aussagen zwar skeptisch über die Rolle seines Landes und der europäischen Leitkultur im Allgemeinen geäußert, gleichzeitig aber betont, dass es dazu keine Alternative gäbe. Der Grund, warum er im Unterschied zu den Dichtern des Empire wie Rudyard Kipling nicht der Vergessenheit anheim fiel, liegt in der vielschichtigen Diskursivität seiner Werke begründet, die Sprachrohre' des Autors nicht nur vermeidet, sondern auch scheinbar privilegierte Stimmen in seinen Büchern immer wieder raffiniert in Frage stellt. So zeigt sich in der Rezeption Greenes eine seltene Kombination von imperialen Diskursen und der Subversivität der so genannten postcolonial literatures, die den Angehörigen nichteuropäischer Völker Gehör verschaffen sollen.

Greeneland scheint vor allem von Biografen bevölkert zu sein, und das nicht erst seit dem Tod des Autors. Auf den ersten Blick ist dies verständlich, denn die Faszination eines widersprüchlichen Geistes, der als katholischer Konvertit Ehebruch und käuflichen Sex mit lustvoller Intensität auskostete und als Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes MI6 Sympathien für politische Revolutionäre hegte (daneben aber auch für einen britisch-sowjetischen Topspion, seinen Freund Kim Philby), ist ungebrochen. Die Biografie Greenes, sein weltmännisches Auftreten und sein vielfältiges Netzwerk aus Freunden, Kollegen, Theologen und Politikern, darunter Fidel Castro und sogar einige Päpste, hat viele Autoren fasziniert, allen voran seinen offiziellen' Biografen Norman Sherry, dessen dreibändiges Werk fast 2000 Seiten umfasst.

John Updike, ein Greene weltanschaulich und literarisch verwandter Autor, hat angesichts dieser Attraktion respektlos von einer "hellen Flamme" gesprochen, die Biografen gleich "forscherischen Motten" unwiderstehlich anziehe, ohne dass dadurch für das Verständnis des Werks Wesentliches gewonnen sei. Auch die jüngste, vom Augstein-Biograf Ulrich Greiwe zum Jubiläum vorgelegte Darstellung Graham Greene und der Reichtum des Lebens betont programmatisch das "Erleben" des Autors, wobei die Erzählwerke herhalten müssen, die Löcher der Biografie mehr schlecht als recht zu stopfen.

Rätsel Biografie

Aufschlussreicher ist es da schon, zu Greenes eigener biografischer Darstellung zu greifen, die gerade bei Zsolnay in einer neuen Übersetzung durch Dieter Hildebrandt erschienen ist. Auch wenn der bereits 1971 unter dem Titel A Sort of Life (Eine Art Leben) erschienene Band die Darstellung mit dem Alter von 27 Jahren abbricht, ist sie sehr aufschlussreich - und zwar weniger als Information über Kindheit, Jugend und beginnendes Schriftstellertum, sondern vor allem hinsichtlich der Art und Weise, wie Greene "Wirklichkeit" narrativ modelliert. Greenes Hinweis, er habe seine Selbstdarstellung an diesem Punkt seines Lebens beendet, weil alle wichtigen Voraussetzungen für die Entwicklung des Schriftstellers bereits geschaffen worden waren und weil er seine Bekannten und Freunde schützen wollte, trifft den Sachverhalt vermutlich nur teilweise. Genau so wichtig war dem seine Privatsphäre sorgsam schützenden Greene wohl, das Augenmerk des Publikums stärker auf das Werk selbst zu lenken.

Gerade für einen Autor wie Greene gilt das berühmte Diktum von D.H. Lawrence, man möge nicht dem Erzähler (und schon gar nicht dessen Biografen), sondern der Erzählung vertrauen. Greene mag für eine zunehmend voyeuristisch eingestellte Öffentlichkeit zwar sehr anziehend sein, seine literarische Bedeutung erschließt sich allerdings nicht durch biografisches Nachgraben. Zwar freuen sich Studierende literaturwissenschaftlicher Seminare, wenn sie in den Texten Ehekonflikte vorfinden, von denen ihnen die Biografen - wiederum teilweise aus denselben Quellen - berichtet haben. Die gewaltige literarische Erkenntnisleistung Greenes erfährt jedoch nur der genaue Leser seiner Romane.

Von Rom verurteilt

Dies gilt ganz besonders für die so genannten "katholischen" Bücher. Greene gilt als bedeutender Vertreter der katholischen Literatur Europas im 20. Jahrhundert, auch wenn er diese Apostrophe nicht sonderlich schätzte. Wer nämlich dieses Werk unter theologischem Blickwinkel beurteilt, wird schnell auf Ungereimtheiten und Widersprüche stoßen, die etwa - wie im Falle des Mexiko-Romans Die Kraft und die Herrlichkeit (1940) - von der römischen Autorität verurteilt wurden, von Papst Paul VI. jedoch in einer Audienz mit dem Hinweis bedacht wurden, "durch Teile Ihrer Bücher werden sich einige Katholiken immer beleidigt fühlen, aber davon sollten Sie sich nicht stören lassen". In Greenes Roman über die Katholikenverfolgung in Mexiko geht es nämlich nicht um dogmatische Fragestellungen, sondern um die Rolle des Katholizismus und der christlichen Religion in einem feindlichen bis gleichgültigen Umfeld und um die seelsorgerischen Möglichkeiten in dieser Situation. Der dem Alkohol verfallene "WhiskyPriester" des Romans, der dazu noch Vater einer Tochter ist, vermag trotz weitgehender Verunsicherung seiner priesterlichen Identität und seiner Persönlichkeit nämlich beträchtliche seelsorgerische Hilfe zu erbringen.

Man ahnt, warum ein solcher Roman der Hierarchie unangenehm sein könnte, kann sich aber auch trösten, dass die päpstliche Rezeption den literarischen Diskurs freier interpretiert. Der Roman wird von der Dialektik zwischen Glauben und Nichtglauben bestimmt. Denn gerade über den Gegenspieler des "Whisky-Priesters", einen mexikanischen Leutnant, erfahren wir in einem beeindruckenden Dialog mit dem Seelsorger die Macht dieser Befreiungstheologie.

Die Romananalyse eröffnet differenzierte Sichten der Welt, darunter im berühmten Afrikaroman Das Herz aller Dinge (1948) und im Vietnamroman Der stille Amerikaner (1955), der die politische Intervention in Südostasien lange vor dem militärischen Eingreifen der USA thematisiert und der auch aufgrund seiner nationalpsychologischen Überlegungen besonders im Umfeld der aktuellen Afghanistan- und Irakpolitik der Vereinigten Staaten eine neue Lektüre verdient.

Damit ist jedoch nur eine von Greenes literarischen Qualitäten angesprochen. Sein Millionenpublikum in aller Welt hat er vor allem durch die ungeheure Spannung seiner Texte erreicht, die die Lösung oft längstmöglich aufschieben und dann noch hintersinnig in Frage stellen. Dazu kommt die innere Gespaltenheit seiner Charaktere, die - Greenes Psychoanalyse schon im Jugendalter sei's gedankt - als literarische Protagonisten trotzdem folgerichtig wirken. Sein Blick in die Abgründe und die Gespaltenheit der menschlichen Seele hat Greene zu einem der interessantesten Autoren für die Filmindustrie gemacht - von Fritz Langs Ministry of Fear (Ministerium der Angst, 1944) über Brighton Rock (Finstere Gassen, 1947) bis zu Phillip Noyces Neuverfilmung von Der stille Amerikaner (2002) unter dem gleichen Titel mit Michael Caine in der Hauptrolle des amerikakritischen britischen Korrespondenten Thomas Fowler.

Wien illusionslos

Mit seinem Text für einen der besten und eindrücklichsten Filme aller Zeiten, Der Dritte Mann (1949) von Carol Reed, ist Graham Greene schließlich auch zu einem Schriftsteller mit signifikantem Österreichbezug geworden. Angesichts der bereits in den fünfziger Jahren beginnenden operettenhaften Selbstdarstellung des Landes, die ursprünglich wohl für die internationale Konsumtion gedacht war, aber sehr bald Teil des Selbstbildes des Landes wurde, wirkt die düstere, illusionslose Welt der Wiener Nachkriegszeit wie deren dauerhafter dekonstruktiver Vor-Wurf: die Suche nach dem dritten Mann ist auch eine nach der Identität Österreichs bzw. seiner Bewohner. Carol Reeds Verständnis für den filmischen Genius von Greenes Texten und die geniale und gleichzeitig diabolische Zithermusik von Anton Karas hat diesen Film zu einem Gesamtkunstwerk der besonderen Art gemacht, dessen komplexe Entstehung von Frederick Baker in einer gerade entstandenen britisch-französisch-japanischen Koproduktion, betitelt Shadowing the Third Man, dokumentiert wurde. Der Weltbürger Graham Greene steht mit der von ihm entworfenen großartigen moralischen Landschaft auch am Beginn der nationalen Traditionssuche des befreiten Österreich.

Der Autor ist Amerikanist an der Universität Dortmund.

Grahame Greene und der Reichtum des Lebens. Von Ulrich Greiwe. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2004, 215 Seiten, kart., e 15,50

Eine Art Leben. Von Graham Greene. Aus dem Englischen von Dieter Hildebrandt. Zsolnay Verlag, Wien 2004, 223 Seiten, geb., e 20,50

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