STARTSCHUSS für die ethische Maschine

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Gelingt es, Werte in die digitale Welt einzuprogrammieren, erhält unsere Zukunft ein freundlicheres Gesicht. Ein Forschungslabor an der Wiener WU will dazu beitragen.

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Gelingt es, Werte in die digitale Welt einzuprogrammieren, erhält unsere Zukunft ein freundlicheres Gesicht. Ein Forschungslabor an der Wiener WU will dazu beitragen.

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Gebt mir einen Punkt, wo ich hintreten kann, und ich bewege die Erde", soll der griechische Mathematiker Archimedes im dritten Jahrhundert vor Christus gesagt haben. Seine Aussage erscheint im 21. Jahrhundert hochrelevant: In einer unübersichtlichen Welt rasanter Veränderungen wächst der Wunsch, Ansatzpunkte zu finden, um die Zukunft selbstbestimmt zu gestalten -und nicht von den Entwicklungen überrannt zu werden. Der Spruch des alten Griechen prangt daher sinnträchtig über dem Programm von "Globart", einer Ideenplattform der Zivilgesellschaft, die von 22. bis 25. September in Krems ihre jährliche Akademie abhalten wird. Das Forum will eine "zukunftsfähige" Gesellschaft mit nachhaltigem Denken und Handeln fördern und versteht sich als Dialograum von Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Kunst. In der frühherbstlichen Wachau versammeln sich auch heuer wieder Menschen, die sich theoretisch oder praktisch um eine solche Zukunft bemühen (siehe auch Kasten oben).

Einbindung von Aktivisten

Da ist zum Beispiel Sarah Spiekermann: Die gebürtige Düsseldorferin ist heute Professorin an der Wiener Wirtschaftsuniversität und wird dort bald ein neues Forschungslabor aus der Taufe heben. In Kooperation mit ihrem WU-Kollegen Axel Polleres hat sie das "Privacy & Sustainable Computing Lab" initiiert -ein Experimentierfeld, von dem Impulse für die Sicherheit, Privatsphäre und Wertorientierung der neuen Informationstechnologien ausgehen sollen. Das Ziel: durch interdisziplinäres Denken ethische Technikstandards zu entwickeln. Bei der großen Auftaktveranstaltung am 29. und 30. September in Wien werden Forscher, Experten und Datenschutz-Aktivisten darüber diskutieren, wie man ethisch verträglichere Technikstandards etablieren kann -darunter auch der Jurist und Facebook-Schreck Max Schrems oder Wolfie Christl von "Cracked Labs" (Institut für kritische digitale Kultur), der mit Spiekermann eine erste gemeinsame Studie zum Thema kommerzielle digitale Überwachung präsentieren wird.

Ein ethischer Zugang zur Technik ist bislang kaum verankert: Software-Ingenieure werden bislang nicht darin ausgebildet, Werte wie Transparenz, Fairness oder Sicherheit umzusetzen. Es gibt noch keine einschlägigen Lehrbücher oder Curricula. Im Computer-Labor der WU Wien sollen Wissenschafter nun über Fachgrenzen hinweg kooperieren; schon heute sind Informatiker, Psychologen, Betriebswirte, Ingenieure, Philosophen und Juristen involviert. Vor allem aber soll es unabhängig von der Industrie sein. Denn nur so sei garantiert, dass die Einrichtung zu einem Impulsgeber für neue, kreative Lösungen wird. Das ist nicht selbstverständlich. Viele Forschungslabore zu digitalen Technologien werden von der Industrie finanziert und auch aufgesetzt. Wissenschaftliche Studien haben dann von vornherein einen gewissen Drall: Das beginnt bei der Art der Fragestellung -die Frage ist der Fels, in den die Antwort gemeißelt ist -und endet damit, wie die Ergebnisse präsentiert werden.

Industrie-unabhängige Forschung

Forscher können den für sie relevanten Fragen mitunter gar nicht nachgehen, da sie sich den Interessen der Industrie zu beugen haben. Und die Resultate werden stets im Sinne der Unternehmen kommuniziert: Sind sie unvorteilhaft, verschwinden sie in der Schublade oder werden beschönigt; ansonsten werden sie gern aufgeblasen anstatt kritischdifferenziert betrachtet.

Sarah Spiekermann erinnert sich an ihre Tätigkeit beim Forschungszentrum Internetökonomie an der Berliner Humboldt-Uni, wo es auch Einflussnahmen vonseiten des Sponsors Google gegeben habe: "Industrie-geleitete Forschung segelt dann unter dem Siegel einer altehrwürdigen Uni und missbraucht eigentlich deren Label", kritisiert die Wirtschaftsinformatikerin. Bei der Vorbereitung der europäischen Datenschutzverordnung etwa seien Workshops für das deutsche Innenministerium geplant worden, die stark vom US-Konzern gesteuert wurden. "Das sind subtile Einflussnahmen der Industrie, die nicht unbedingt illegitim, aber doch fragwürdig sind", so Spiekermann. "Es ist extrem wichtig, dass es den Austausch zwischen akademischer Forschung und Industrie gibt. Aber er sollte transparent sein und darf das Denken nicht dominieren. Sonst geht das Kreativpotenzial der staatlich geförderten Forschung verloren."(siehe auch Interview rechts)

Raus aus dem Elfenbeinturm!

Ein weiterer Eckpfeiler des WU-Labors ist die Zusammenarbeit mit den technischen Standardisierungsbehörden, die in der Gestaltung der digitalen Zukunft eine Schlüsselrolle haben. Denn diese Gremien stehen zwischen den Regierungen und der Wirtschaft: Der Gesetzgeber delegiert die Spezifizierung einzelner technischer Probleme an die Standardisierungsbehörden. An deren Maßstäben wiederum orientieren sich oft die Unternehmen, wenn sie neue Systeme einführen. Um das im Labor erarbeitete Wissen auch anzuwenden, sind die Mitarbeiter der WU daher in internationale Standardisierungsgremien wie etwa IEEE, die weltweit größte Ingenieursvereinigung, eingebunden. Diese hat kürzlich den ersten Standard für ethische Systementwicklung ins Leben gerufen. "Das ist eine große Chance, die derzeitigen IT-Systeme wirklich zu beeinflussen", erläutert Sabrina Kirrane, die Direktorin des "Computing Lab".

Ein Kernziel des Forschungslabors ist die Unterstützung offener, freier, nachhaltiger und "Datenschutz-freundlicher" Technikentwicklung, wie auch Lab-Begründer Axel Polleres betont: "Ein echtes 'Commitment' zu offenen Standards und offenen Technologien ist fundamental für die Transparenz in Unternehmen und die Nachhaltigkeit von Plattformen wie dem World Wide Web, die wir täglich nutzen." Aus diesem Grund will das Lab auch aktiv mit NGOs und Aktivisten im Datenschutz-Bereich zusammenarbeiten und den Aktionsradius über die Grenzen des Akademischen hinweg ausdehnen. Gerade an der Arbeit mit innovativen Technologien wird deutlich, wie wichtig der Austausch zwischen Universität und Gesellschaft ist. "Uni-Forscher können nicht mehr nur in ihrem Elfenbeinturm sitzen und sich schöne Theorien ausdenken; sie müssen auch an der sozialen Realität mitarbeiten", sagt Spiekermann. "Das ist die Zukunft."

Ambivalente Visionen

Zumindest ist es ein internationaler Trend, der an renommierten Hochschulen zu beobachten ist: Am "Massachusetts Institute of Technology"(MIT) in den USA etwa findet man Direktoren, die direkt aus der Aktivistenszene kommen und gar keinen akademischen Abschluss vorzuweisen haben. Und die "London School of Economics" hat Simon Davies, einen Pionier der internationalen Datenschutz-Bewegung, aus dem wohl verdienten Ruhestand geholt.

Falls es stimmt, dass die Automatisierung der Gesellschaft unmittelbar bevorsteht, wie dies etwa Computer-Forscher Dirk Helbing von der ETH Zürich prognostiziert, werden Fragen rund um die Privatsphäre und IT-Sicherheit weiter an Bedeutung gewinnen. Folgt man Helbing, steht die Gesellschaft am Scheideweg: Auf der einen Seite droht die totale Überwachung durch unsichtbare, globale Kontrollinstanzen, andererseits gibt es Anzeichen für völlig neue Partizipations-und Entfaltungsmöglichkeiten in der digitalen Welt. Was tatsächlich kommen wird, ist stark von den potenziellen Nutzern der neuen Technologien abhängig -was sie kaufen, wie sehr sie Innovationen hinterfragen und welche Bedingungen sie für deren Einführung fordern. Wie heißt es doch bei "Globart"? Jeder ist sein eigener Lebensdesigner, Gärtner, Kreativdirektor: "Es liegt an einem selbst, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und Dinge anzupacken." An den Früchten werden wir unsere Motive erkennen.

Die Furche: Sie meinen, man kann etwa freundschaftliche Nähe über Skype pflegen, selbst wenn man tausende Kilometer voneinander entfernt ist?

Spiekermann: Ich kann Facebook, Whats-App oder andere Plattformen nutzen, um wirkliche Freundschaften zu fördern -oder die sozialen Medien als Ersatzdroge gebrauchen, um die eigene Einsamkeit zu überwinden. Die wissenschaftlichen Studien, die es zu Facebook gibt, zeigen klar, dass die sozialen Medien für Menschen mit guten Beziehungen eine Bereicherung sind. Für einsame Menschen aber können soziale Medien sogar schädlich sein; da gibt es etwa ein erhöhtes Depressionsrisiko. Hier muss Technologie vorsichtig sein.

Die Furche: Inwiefern können technologische Apparaturen vorsichtig sein?

Spiekermann: Wir müssen digitale Geräte so bauen, dass sie unser Wissen und unsere Gesundheit fördern. Dass sie uns fieserweise nicht immer alles gleich zur Verfügung stellen, oder auch ermahnen, wenn wir übertreiben. Die künstlichen Intelligenzen sollten nicht dazu führen, dass Menschen ihre Kompetenzen auslagern, am Tropf von Wikipedia hängen und nur noch wie die Dummköpfe herumlaufen.

Die Furche: Dass der Computer zum Beispiel warnt, wenn wir schon zu lange im Internet sind, um uns vor Online-Sucht zu schützen? Spiekermann: Das wäre ein bisschen zu platt. Man sollte etwa daran denken, dass echte Freundschaften Privatsphäre brauchen. Warum gibt es bei Facebook keine privaten Räume, in die man sich zurückziehen kann? Wo die ganze Kommunikation verschlüsselt ist, so dass auch Facebook nicht darauf zugreifen kann. Nur so kann man sichergehen, dass man dem privaten Austausch wirklich vertrauen kann. Heute muss ich davon ausgehen, dass meine ganze Kommunikation von Maschinen ausgelesen wird. Dass auch meine intimen Beziehungen dazu benutzt werden, um ein Profil über mich zu erstellen. Das unterminiert das Vertrauen und die Option, echte Freundschaften über so eine Plattform zu leben. Solange die Internetökonomie darauf basiert, dass sie unsere Daten sammelt, auswertet und weiterverkauft, ist keine dieser Anwendungen gut im Sinne ethischen Handelns. Sie schenken uns zwar Freude, hauen uns aber hinterrücks in die Pfanne.

Die Furche: Ungeachtet dessen schreitet die Digitalisierung munter voran. Werden wir bald in einer Welt leben, in der auch alle Gebrauchsgegenstände vernetzt sind?

Spiekermann: Wir sehen seit 20 Jahren eine Marketing-Maschinerie, die immer neue Hypes bewirbt: Das "Internet der Dinge","Industrie 4.0","Big Data", die "Cloud", etc. Derzeit ist es die "Digitalisierung": Die Begriffe werden immer schwammiger. Ein Treiber dafür ist der Sandkasten der Ingenieure, die total viel Spaß daran haben, jedes Sandkorn zu digitalisieren. Die spielen halt und tüfteln herum. Aber es gibt auch handfeste Machtinteressen. Wenn man alles digitalisiert und dadurch über alles und jeden Informationen sammeln kann, werden diejenigen, die über diese Daten verfügen, unglaublich mächtig. Zudem gibt es die finanziellen Interessen der Industrie, die einfach nur ihre Produkte verkaufen will. All das sorgt dafür, dass die Unternehmen und privaten Konsumenten wie Kühe durchs Dorf getrieben werden. Den CEOs wird den ganzen Tag erzählt, dass sie in ein paar Jahren pleite sind, wenn sie da nicht mitmachen. Das ist der größte Quatsch des Jahrhunderts. Auch wenn es technologische Potenziale gibt -man kann doch nie wissen, was wirklich passieren wird.

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