"Wir denken diese Zeit in Schwarzweiß"

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Religion und Fanatismus: Michael Hanekes "Das weiße Band" legt die Wurzel des Terrors offen. Der Regisseur im Interview.

* Das Gespräch führte Matthias Greuling

Nach mehreren Anläufen war es diesmal so weit: Michael Haneke konnte für seinen Film "Das weiße Band" die Goldene Palme aus Cannes mitnehmen. Der Film legt die protestantische Spielart des Christentums als Wurzel von Terror offen.

Die Furche: Lässt sich "Das weiße Band" als Kommentar zu Terrorismus und Fanatismus verstehen?

Michael Haneke: Es geht um die Wurzeln des Faschismus, aber nicht nur. Es geht um die Wurzel jeder Art von Terrorismus. Die Gefahr, eine positive Sache zu verabsolutieren. Protestantische Religion wie in diesem Fall ist nichts Negatives. In dem Moment, in dem ich sie zum Maß aller Dinge mache und sie fanatisch verabsolutiere, wird sie unmenschlich. Menschen, die innerhalb einer philosophischen Gemeinschaft oder einer Religion leben, wissen um die Regeln, an die sie sich halten sollten. Nur sie halten sich nicht daran, sonst wären sie ja keine Menschen, sondern Götter. In dem Moment, in dem ich sage, alle Menschen müssen sich an die geltenden Regeln halten, werde ich unmenschlich und fühle mich legitimiert, all jene zu bestrafen, die sich den Regeln nicht fügen wollen. Eine Idee kann etwas sehr Schönes sein, doch sobald sie Ideologie wird, kippt sie ins genaue Gegenteil.

Die Furche: Sie erzählen hier in Zusammenhang mit Religion auch von Schuld.

Haneke: Die Schuldproblematik ist ein wesentliches Merkmal der jüdisch-christlichen Tradition. Doch das Problem der Schuld ist nicht allein ein religiöses, sondern auch ein philosophisches. Schuld muss auch nicht immer ein negatives Gefühl sein. Das Bewusstsein, schuldig zu sein, kann auch dazu provozieren, mitmenschlicher zu sein. "Schuldig werden" heißt nicht, absichtlich böse zu sein. Wir in der westlichen Welt mit unserem Wohlstand leben zum Beispiel auf den Schultern der Dritten Welt. Wir sind letztlich schuld daran, können ein schlechtes Gewissen haben, aber es ändert nichts.

Die Furche: Und wieso schwarzweiß?

Haneke: Ich drehte in Schwarzweiß, weil alle Bilder aus dieser Zeit, in der der Film spielt, schwarzweiß sind. Wenn Sie heute einen Film über das 18. Jahrhundert drehen, dann werden Sie das in Farbe tun, weil die einzigen Bilddokumente von damals Gemälde sind, und die sind im Allgemeinen farbig. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Film erfunden, daher denken wir diese Zeit in Schwarzweiß.

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